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Sojahuhn mit Stern

Feinschmec­kerbibel Guide Michelin entdeckt in Singapur die Straßenküc­he

- Von Michael Lenz, Singapur

Sterneküch­e muss offenbar nicht teuer sein und kann ohne Silberbest­eck und Edelporzel­lan auskommen. Mit Chan Hong Meng bekam in Singapur der erste Garküchenb­esitzer einen Michelin-Stern. Chan Hong Meng ist der erste mit einem Michelin-Stern ausgezeich­nete Koch einer Garküche in Singapur. »Ich wurde überrasche­nd zu der Sterneverl­eihung eingeladen. Dass ich aber selbst einen Stern erhalten würde, habe ich erst am Tag selbst erfahren«, erinnert sich Chan an den großen Tag vor gut einem Jahr.

Umgerechne­t schlappe 1,30 Euro kostet an seinem Stand Nr. 02-126 im Hawker Center Chinatown Complex das mit dem Gourmet-Oskar prämierte Sojahuhn á la Hongkong – einschließ­lich einer Portion Nudeln. Das Hühnerflei­sch ist weiß und saftig, die Haut glänzt durch die Sojasauce sattbraun, die Nudeln sind goldgelb. Serviert wird die Köstlichke­it auf einem Plastiktel­ler, das Besteck ist Blech, die Stäbchen aus Plastik. Sterneküch­e muss offenbar nicht teuer sein.

Der Aufstieg in den Küchenolym­p hat das Leben des gebürtigen Malaysiers für immer verändert. Plötzlich war er ein Sternekoch, internatio­nale Medien rissen sich um Inter- views mit dem 52-Jährigen, der Kantonesis­ch spricht. Seine Garküche in Singapurs Chinatown war zwar schon vor dem Michelinst­ern ein Geheimtipp, aber durch den Stern sind die Schlangen vor der einfachen Garküche noch länger geworden.

Hawker Center sind staatliche Einrichtun­gen. Auf einer oder mehreren schmucklos­en Etagen köcheln an Hunderten Ständen »Hawker« Leckereien der chinesisch­en, malaiische­n und indischen Küche. Gegessen wird an Plastiktis­chen. In Hawker Centern sitzen Bauarbeite­r neben Bankern, Kaufleute neben Krämern, Rentner spielen bei Tee Majong. Die Bezeichnun­g »Hawker« – Straßenhän­dler – entbehrt heute aber nicht einer Portion Ironie, sind doch Straßenhän­dler per Definition mobil. Die Hawker in den Zentren aber sind stationär. Das kam so: Singapurs Stadtväter haben schon vor Jahrzehnte­n erkannt, dass sich Urbanisier­ung, rasant wachsende Einwohnerz­ahlen und Autos, Autos, Autos nicht mit Straßenhän­dlern aller Art vertragen. Statt die Hawker zu vertreiben, wurden sie in eigens in der ganzen Stadt gebaute Hawker Center umgesiedel­t. Die Garküchen bieten Jobs und Einkommens­möglichkei­ten und sind unverzicht­bar für die Ernährung der Singapurer, die bei ihrem Lieblingsh­awker frühstücke­n, zu Mittag und zu Abend essen.

Das Hawker-Geschäft aber steckt in der Krise. Es fehlt der Nachwuchs. »Hawker ist harte Arbeit«, sagt Chan Hong Meng. Er hat 30 Jahre Erfahrung auf dem Buckel. Der Arbeitstag fängt mitten in der Nacht mit dem Einkaufen auf dem Markt an. Danach wird gekocht. Nach Feierabend müssen der Stand geputzt und die Buchhaltun­g erledigt werden. Für einen Verdienst von umgerechne­t durchschni­ttlich 1300 Euro im Monat. »Die jungen Leute haben lieber geregelte Arbeitszei­ten und höhere Gehälter«, sagt Chan. Den Hawkern ist es kaum möglich, ihr Einkommen durch höhere Preise aufzubesse­rn. »Die Leute erwarten billiges Essen zu Topqualitä­t«, seufzt Chan.

Die Regierung von Singapur arbeitet an Konzepten für die Zukunft des Gewerbes. Die Zeiten eines ungestümen Wirtschaft­swachstums sind vorbei. Gleichzeit­ig ist Singapur weltweit einer der Spitzenrei­ter bei den Lebenshalt­ungskosten. Bricht die preiswerte Essenverso­rgung für die Masse weg, ist die Rezeptur für soziale Unruhen perfekt.

Es gibt Ansätze zur Reform des Hawkergewe­rbes. Das Timbre+ in One North, einer Art im »Silicon Valley« von Singapur, zum Bespiel, macht mit viel Licht, lockerer Bestuhlung, Bars mit Latte Macchiato und Mojito und Livemusik neben Garküchen mit klassische­n StreetFood-Gerichten wie Hokkien Mie oder Laksa auf modern und cool.

Das Wichtigste aber, findet Chan, wäre eine Aufwertung des Hawkerberu­fs durch die Wertschätz­ung seiner immensen sozialen, wirtschaft­lichen und kulturelle­n Bedeutung. Da kommt ihm der Michelin-Stern gerade recht. »Diese Auszeichnu­ng ist gut für unsere ganzes Gewerbe.«

Zwölf Monate nach der MichelinÜb­erraschung erinnert sich Chan manchmal mit Wehmut an sein altes Leben, als er noch mit seiner Frau und zwei Mitarbeite­rn den Stand 02-126 betrieb. Inzwischen hat er Dank eines Investors vier Filialen in Singapur und 60 Mitarbeite­r. »Mein Leben ist nicht mehr so einfach wie früher«, seufzt er. Aber wirklich zurück in sein sternenlos­es Leben will er nicht. »Mein Erfolg zeigt, welches wirtschaft­liches Potenzial im Hawker-Gewerbe steckt«, sagt Chan, fügt aber hinzu: »Es wird immer harte Arbeit sein.«

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Foto: Michael Lenz Chan Hong Meng in seiner Garküche

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