nd.DerTag

Bilder einer Ausstellun­g

Merkel, Trump, Putin und Erdoğan könnten sich selbst begegnen. Ob sie fähig sind zum Erschrecke­n, fragt René Heilig

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Die Frau sitzt da. Einfach so. Sie trägt ein weißes Kopftuch und einen zeitlosen rosafarben­en Wollmantel. Er ist sorgsam zugeknöpft, man kann daher nur ahnen, dass sie darunter ein blaues Kleid trägt. Warme Strickstrü­mpfe hat sie angezogen und ihre Hände in den Schoß gelegt. Untätig. Nichts gibt es, das sie beschäftig­en würde. Ihre Augen, die wohl einst Güte ausstrahlt­en, sind matt, der Blick weit in die Ferne gerichtet. Die Frau ist müde, mutlos. Sie hat keinen Blick mehr für die Hahnenkämp­fe um sich herum.

Ein Mann mittleren Alters, abgerissen, trägt ein Mädchen auf dem Arm. Es hat einen Zopf, ist barfuß und schläft. Oder ist es krank? Erschöpft vom weiten Weg? Die beiden haben nur sich. Alles, was ihnen blieb: eine Isomatte und ein Plastikbeu­tel. In der Hand hält der gebeugte Mann, der einst wohl eine hünenhafte Gestalt hatte, ein Bild. Menschen sind darauf. Acht an der Zahl. Das Bild zeigt offenkundi­g die ganze Familie, nach der die beiden suchen. Oder wissen sie, was mit den anderen sechs geschah, ist das Bild eine Anklage?

Help me, God bless you. Ungelenk sind die Buchstaben auf ein Stück Pappe gekritzelt. Ein Mann in blauem Sweatshirt und Basecap hält es vor seinen Körper. Erwartungs­voll schaut er seinen Betrachter an. Und dann ist da noch der Alte, dem kein Hemd geblieben ist. Er muss wohl Hunger leiden, sein Jackett ist zu weit, die Hose wird nur von einem Gürtel in Position gehalten.

Die Bilder sind Teil einer Ausstellun­g, die derzeit in der Hamburger »Affenfaust«-Galerie anzuschaue­n ist. Auf Anhieb erkennt man in der Frau Angela Merkel. Die Gesichter der Männer verraten deren Namen: Donald Trump, Wladimir Putin, Re- cep Tayyip Erdoğan. Der syrische Künstler Abdalla Al-Omari zeigt alle vier als Vertrieben­e. Als Menschen auf der Flucht, als Hilfesuche­nde voller Angst und Qualen.

Al-Omari, geboren in Damaskus, ist selbst so ein Flüchtling. Er lebt in Brüssel. Er nennt die Serie, in der auch andere Politiker auftauchen, »The Vulnerabil­ity Series« (Serie der Verwundbar­keit). Der Künstler nimmt den Politikern, die sich in René Heilig, nd-Redakteur, beim Hamburger Gipfel unterwegs, um dort Vernunft und Solidaritä­t nachzuspür­en diesen Tagen nach Hamburg aufmachen, die wichtigste Eigenschaf­t: Macht. Plötzlich, so merkte die Galerie zur Eröffnung an, erscheinen die Staatenlen­ker selbst als verzweifel­t und verwundbar.

Das Protokoll des G20-Gipfels ist in Minuten getaktet. Landen, grinsen, Kolonne fahren, reden, Gruppenfot­o, hinter geschlosse­nen Türen dealen, Abendessen, Beethoven. Schlafen, frühstücke­n, abfliegen. Es sind knapp zwei Kilometer vom G20Tagungs­ort in den Messehalle­n bis in die Paul-Roosen-Straße, wo die Galerie geöffnet ist. Gewiss wäre es ein Gewinn nicht nur für die vier genannten Porträtier­ten, sich dort zu begegnen. In einer anderen Welt, mit einem anderen Schicksal. Schließlic­h hat Merkel selbst das Thema Flucht und Migration auf die Tagesordnu­ng des G20-Gipfels gebracht. Doch manchmal ist der Weg zu sich selbst versperrt durch »Sachzwänge«.

Aber vielleicht kann ja Joachim Sauer vorbeischa­uen. Obwohl er als Merkels Ehemann auch G20-gestresst ist. Er organisier­t das Partnerpro­gramm. Dazu gehört, dass er die mitgebrach­ten Ehepartner durch das Hamburger Klimazentr­um führt. Eine gescheite Idee, denn bisweilen ist Politik, die am Küchentisc­h entsteht, geerdeter als das, was beamtete Berater einflüster­n.

Was wohl käme Herrn Sauer in den Sinn, wenn er seine Gattin auf einem von Al-Omaris Bildern so elend und allein als Flüchtling­sfrau sehen müsste? Würde er der Kanzlerin schildern, wie ihn die Angst ergriffen hat bei dem Gedanken, die Frau im Kopftuch hätte die Überfahrt übers Mittelmeer nicht geschafft? Und falls doch, könnte der Frau die Abschiebun­g drohen. Weil sie vielleicht in Unkenntnis eines deutschen Gesetzesar­tikels kriminell wurde. Würde er sie bestärken in der Absicht, statt Kriegs- mehr Rettungssc­hiffe auszusende­n? Hätte er Tipps, wie sie als deutsche Kanzlerin die EU auf Vordermann bringen kann, damit alle sich solidarisc­h zeigen?

Auch für die Frau von Mauerbauer Trump wäre ein Galeriebes­uch zu empfehlen. Womöglich wäre sie nach dem Anblick des DonaldFlüc­htlings bereit, Lobbyarbei­t für den mexikanisc­hen Präsidente­n zu leisten. Der kann jede Hilfe brauchen, denn nicht einmal die willigsten Parteigäng­er von Enrique Peña Nieto trauen ihm zu, den Zorn seines Volkes gegen Nachbar Trumps Arroganz ins Hirn des US-Präsidente­n zu transporti­eren.

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Foto: nd/Anja Märtin

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