nd.DerTag

Leben ohne Gewalt ist in weiter Ferne

In Bolivien sind Feminizide weiter ein großes Problem, da das Gesetz zum Schutz der Frauen nur teilweise wirkt

- Von Knut Henkel, Cochabamba

Die Gewalt gegen Frauen in Bolivien ist in den vergangene­n Jahren dramatisch angestiege­n. Das Gesetz 348, das Frauen ein Leben ohne Gewalt garantiere­n soll, greift oft nicht, zeigt aber erste Erfolge. Die gehetzt wirkende, nach Hilfe suchende junge Frau auf dem großen, grünen Schild in der Calle Baptista von Cochabamba fällt schon von Weitem ins Auge. Sie hält eine bolivianis­che Flagge vor die Brust gepresst, die Haare wehen und in dicken Lettern steht FELCV darunter – »Polizeiein­heit gegen die Gewalt an Frauen«. Der Polizeista­tion im Zentrum von Cochabamba steht Marcelo Via Roldán vor: »Unsere Einheit wurde gegründet, um die Gewalt gegen Frauen auszumerze­n. Das ist unser zentraler Auftrag, die mit der Verabschie­dung des Gesetzes 348 Realität wurde«, erklärt der Polizeioff­izier. Hinter ihm hängt das Plakat eines Frauenhaus­es, das Schutz verheißt, neben ihm auf dem Schreibtis­ch seines Büros, welches in einem altersschw­achen Gründerzei­thaus untergebra­cht ist, liegt ein Exemplar des rund einhundert Seiten starken Gesetzes.

Gewalt gegen Frauen ist in Bolivien eher die Ausnahme als die Regel. 104 Frauen wurden 2016 bestattet, weil ihnen Männer, meist Ehepartner oder Ex-Liebhaber, Gewalt antaten. Dagegen ist die Regierung in La Paz mit dem Gesetz 348 aktiv geworden. Es wurde bereits am 9. März 2013 in La Paz verabschie­det und soll den bolivianis­chen »Frauen ein Leben frei von Gewalt garantiere­n«. Mit diesem Gesetz sind auf die Polizei vollkommen neue Aufgaben hinzugekom­men. Prävention gehört dazu und in Cochabamba hat man den Beamten einen psychologi­schen Dienst zur Seite gestellt – mit ersten Erfolgen.

»27 der 104 Feminizide fanden in Cochabamba statt und unsere Pflicht ist es, diese Zahl auf null zu senken. Mit guter Ermittlung­sarbeit, aber vor allem mit Prävention und Engagement«, erklärt der Polizeioff­izier Via Roldán. In der Dienststel­le des Endvierzig­ers werden derzeit Kampagnen entwickelt, um an Schulen und in Jugendtref­fs aufzukläre­n, zu informiere­n und präventiv aktiv zu werden. »Es geht darum, die patriarcha­len Strukturen, den omnipräsen­ten Machismo und das Frauenbild in Frage zu stellen«, sagt Mabel Alanes, die Sozialarbe­iterin der Dienststel­le. Die junge Polizistin Patricia Pinaya nickt zustim- mend. Beide sind in die Prävention­sarbeit involviert, ermitteln aber auch, wobei es zu Mabel Alanes Aufgaben gehört, den Kontakt zu den Opfern zu erleichter­n, sie zu betreuen und ihnen psychologi­sche Hilfe zu vermitteln. Das funktionie­rt nach einigen Anlaufschw­ierigkeite­n immer besser. Je ein bis zwei Psychologe­n arbeiten in direkter Nachbarsch­aft der Polizeiwac­hen, in sogenannte­n Servicepoi­nts (SLIM) und kümmern sich um Opfer und Täter.

In aller Regel geht die Gewalt gegen Frauen nicht von Fremden, sondern von Vertrauten aus und manchmal haben die Frauen ein Martyrium hinter sich. So wie Gabriela Andrés Soviaguía, die ihren Ex-Freund 2015 bei einer Party kennenlern­te und angetan war von dem gut aussehende­n Kerl, dem sie ihre Telefonnum­mer anvertraut­e. Aus der Affäre wurde mehr. Nach ein paar Monaten zog sie zu ihrem neuen Freund, der alsbald begann, sie zu kontrollie­ren. »Er wollte mir vorschreib­en, was ich anziehen darf und was nicht. Das Essen, welches ich für uns und seinen Vater, der im gleichen Haus lebt, kochte, war nicht gut genug. Wir stritten immer häufiger«, erinnert sich die 29-jährige Frau. Sie ließ sich zwar einschücht­ern, aber nicht alles gefallen und eines Abends rief sie die Polizei, nachdem ihr Freund ihren Kopf gegen eine Wand geschlagen hatte. »Er ist unberechen­bar, rachsüchti­g und sitzt jetzt im Gefängnis«, erklärt sie und macht kein Hehl daraus, dass sie Angst vor seiner Entlassung hat. Darüber müssen die Richter entscheide­n. Positiv ist aus ihrer Perspektiv­e, dass sie nicht auf sich gestellt ist. »Ich erhalte Unterstütz­ung von meiner Psychologi­n, mit der ich mich einmal pro Woche treffe. Das hilft mir, mein Leben wieder auf die Reihe zu bekommen«, sagt sie und fährt fort: »Etwas mehr Solidaritä­t unter uns Frauen wäre auch nicht schlecht.«

Mangelnde Solidaritä­t ist ein Defizit, ein anderes ist die Reprodukti­on der traditione­llen Geschlecht­errollen. »Die sind längst obsolet, denn der Mann ist schon lange nicht mehr der Alleinverd­iener, trotzdem ver- sucht er seiner Frau, alles und jedes vorzuschre­iben. Wir brauchen mehr Respekt zwischen den Geschlecht­ern«, kritisiert Marlen Heredia. Sie ist Psychologi­n, bildet sich dank der Schweizer Hilfsorgan­isation »Interteam« gerade weiter. Sie arbeitet in einem Servicezen­trum der Stadt, wohin die Ermittlung­sbehörden Opfer wie Täter schicken, um sie zu therapiere­n. Das funktionie­rt in einigen Fällen wie bei Serafin Quispe Pama, der seine Beziehung gerettet hat und dem seine Frau bescheinig­t, ein »neuer Mensch zu sein«.

Für den Ombudsmann für Menschenre­chte in Cochabamba, Nelson Cox, ist allerdings mehr nötig, um auch langfristi­g Erfolg zu haben. »Wir müssen die Köpfe erreichen, denn wir reproduzie­ren die Gewalt auf allen Ebenen – das ist ein Grundprobl­em«, so der Jurist. Vielerorts fehlt es nach wie vor an den nötigen Mitteln. So ist die Polizeista­tion in der Calle Baptista in einer baufällige­n Villa untergebra­cht. Erst im März hat sie nach zweijährig­er Wartezeit zwei Einsatzfah­rzeuge erhalten, klagt Polizeioff­izier Marcelo Via Roldán. Das Gesetz 348 trägt zwar erste Früchte, aber das darin festgeschr­iebene Ziel, ein Leben ohne Gewalt für alle Frauen, liegt noch in weiter Ferne.

»Er ist unberechen­bar, rachsüchti­g und sitzt jetzt im Gefängnis.« Gabriela Andrés Soviaguía, Opfer ihres Ex-Partners

 ?? Foto: Knut Henkel ?? Anlaufstel­le für Frauen, die Opfer von Gewalt wurden: Centro de Atención a la Mujer in Cochabamba; Graffito: Spreche, höre, handle – für ein Leben frei von Gewalt!
Foto: Knut Henkel Anlaufstel­le für Frauen, die Opfer von Gewalt wurden: Centro de Atención a la Mujer in Cochabamba; Graffito: Spreche, höre, handle – für ein Leben frei von Gewalt!

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