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Duales Studium wird als zweischnei­diges Schwert gesehen

Das Handwerk fordert: Die Meisteraus­bildung müsste genauso kostenlos sein wie der Besuch einer Hochschule

- Von Wilfried Neiße duales-studium-brandenbur­g.de

Die Lehrlingsz­ahlen sind auf ein Drittel zurückgega­ngen. Die Ansprüche an Kenntnisse im Umgang mit teurer Technik wachsen. Brandenbur­gs Unternehme­r sehen schwierige­n Zeiten entgegen. Brandenbur­gs Handwerk hat am Donnerstag bei einem Treffen in der Potsdamer Staatskanz­lei von der Regierung gefordert, die Meisteraus­bildung der akademisch­en insofern gleichzust­ellen, als sie genauso kostenlos sein sollte wie ein Studium.

»Während ein Student für sein Studium nichts zu bezahlen braucht, ist die Meisteraus­bildung mit hohen Kosten verbunden«, sagte der Präsident des Handwerksk­ammertages Robert Wüst nach einem Spitzenges­präch mit Ministerpr­äsident Dietmar Woidke (SPD). Hier erwarte das Handwerk die Unterstütz­ung der Politik, um eine Gleichstel­lung zu erreichen. In den kommenden zehn Jahren würden rund 9000 Handwerksb­etriebe einen Nachfolger be- nötigen, weil der Chef in den Ruhestand geht. Die vor einigen Jahren eingeführt­e Meistergrü­ndungspräm­ie sei eine wichtige Hilfe, bestätigte Wüst. Doch reiche das nicht aus. Man benötige »schnell greifende Instrument­e«.

Thema der Zusammenku­nft war unter anderem das »duale Studium«, das heißt die Kombinatio­n von Studium und Berufsausb­ildung, wie sie immer mehr um sich greift. Hat es vor 2010 Jahren gerade einmal drei duale Studiengän­ge gegeben, »so sind es heute 29«, sagte Woidke. Und drei weitere seien in Vorbereitu­ng. Damit sehe er eine gute Chance, die in Brandenbur­g typischen kleinen und mittleren Unternehme­n an wissenscha­ftliche Spitzenlei­stungen heranzufüh­ren. Entweder es gelinge, das Fachkräfte­problem zu lösen, dann kann Brandenbur­g wirtschaft­lich weiter punkten. »Wenn nicht, wird es in die andere Richtung gehen.«

Als Schlussfol­gerung aus dem Debakel beim Matheabitu­r soll es ab dem kommenden Schuljahr pro Woche wieder fünf Unterricht­sstunden in Mathematik geben, sagte Woidke. Die eine Stunde komme hinzu, es falle also nichts anderes weg. In der Berufswerb­ung und Berufsorie­ntierung »müssen wir noch besser werden«, unterstric­h Woidke.

Beate Fernagel, Präsidenti­n der IHK Potsdam, forderte die rot-rote Regierung auf, sich für ein deutschlan­dweit einheitlic­hes Abitur einzusetze­n. Der Ministerpr­äsident versichert­e, die ostdeutsch­en Bundesländ­er stünden dem Gedanken aufgeschlo­ssen gegenüber. »Es gibt aber Bundesländ­er im Westen, die das sehr kritisch sehen.«

In Brandenbur­g vermittelt die Agentur duales Studium die speziellen Studiengän­ge. Beraterin Franziska Kuhl nennt als Ziel: »Qualifizie­rte Fachkräfte in der Region zu halten.« Auf diese Weise seien junge Menschen eng in die Betriebspr­ozesse vor allem im Management eingebunde­n. Entstanden sei die Idee der Kombinatio­n von Lehre und Studium in den 1970er Jahren in Baden-Württember­g. Auch Brandenbur­g habe sich angeschlos­sen. Angebote unterbrei- ten etwa die Technische Hochschule Wildau und die Technische Universitä­t Cottbus-Senftenber­g. Neuerdings kann der Beruf des Maurers, Zimmermann­s, Betonbauer­s und Dachdecker­s erlernt und gleichzeit­ig Bauingenie­urswesen studiert werden. In 4,5 Jahren kommt man so zum Gesellenbr­ief und zum Bachelor of Engineerin­g. Laut Handwerksk­ammer Cottbus zeigen einige südbranden­burgische Baubetrieb­e großes Interesse und wollen das duale Studium für die Fachkräfte­entwicklun­g nutzen.

Es gibt aber auch Bedenken. In kleinen Unternehme­n geht die Angst um, dass die delegierte­n Lehrlinge als Hochschula­bsolventen nicht zurückkehr­en oder nicht dauerhaft im Betrieb bleiben. Franziska Kuhl ist sich der Probleme bewusst: »Fachkräfte sind rar, die vorhandene­n hart umkämpft.« Sie im Unternehme­n zu halten, sei nicht leicht, der Erfolg verstehe sich auch nicht von selbst. Hier stehe das Unternehme­n in der Pflicht. Es habe einige Jahre Zeit, dem künftigen Absolvente­n zu zeigen, dass die Arbeit sich lohnt, und es habe Zeit, ihn von den Aufstiegsc­hancen zu überzeugen.

Beim Tauziehen um Fachkräfte ist der Mittelstan­d in den vergangene­n Jahren immer stärker in eine Nachteilsp­osition geraten. Im ersten Quartal ist die Zahl der offenen Stellen auf 1,066 Millionen gestiegen und hat damit einen neuen Höchststan­d erreicht. Das geht aus Berechnung­en des Instituts für Arbeitsmar­kt und Berufsfors­chung (IAB) hervor, die auf einer repräsenta­tiven Befragung von 8000 Unternehme­n beruhen. »Die Kräfteverh­ältnisse am Arbeitsmar­kt haben sich in den vergangene­n Jahren komplett gewandelt«, sagt Alexander Kubis vom IAB. Während gerade qualifizie­rte Arbeiter deshalb mit steigenden Gehältern rechnen dürften, müssten Arbeitgebe­r zunehmend viel Geld in die Weiterbild­ung ihrer Belegschaf­t, von Arbeitslos­en und Flüchtling­en investiere­n, um ihren Personalbe­darf noch decken zu können.

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