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Datenchaos im Zentralreg­ister

Seit langem kritisiert die LINKE die Verwendung ungesicher­ter Zahlen in der Asyldebatt­e, jetzt erhält das Thema einen neuen Schub – dank Frank-Jürgen Weise

- Von Uwe Kalbe »Fehlerhaft­e Dateneinga­ben können Rückkehrpr­ozesse erheblich verlangsam­en.« Aus Frank-Jürgen Weises Behördenle­itfaden

Guter Rat ist teuer. In Sachen Asylverfah­ren ist Frank-Jürgen Weise der Hauptratge­ber für die Behörden geworden. Jetzt rät er den Bundesländ­ern, das Ausländerz­entralregi­ster auf Vordermann zu bringen. »Teils gravierend­e Fehlentsch­eidungen« sieht Frank-Jürgen Weise in Asylverfah­ren. Der Mann muss es wissen, denn er war bis Anfang des Jahres selbst Chef des zuständige­n Bundesamts für Migration und Flüchtling­e (BAMF). Die Behörde entscheide­t über die Asylanträg­e von Flüchtling­en. Gegenüber der »Süddeutsch­en Zeitung« äußerte sich Weise nun über Mängel des Ausländerz­entralregi­sters (AZR), auf dessen Datengrund­lage eine Bewertung des Asylgesche­hens in Deutschlan­d erst möglich wird. In dem Register sind zehn Millionen ausländisc­he Staatsange­hörige erfasst, darunter etwa 5,7 Millionen aus Nicht-EUStaaten. Auf die Mängel ist Weise in seiner neuen Aufgabe als Berater des Bundesinne­nministeri­ums gestoßen. Er soll dafür sorgen, dass die Behörden bei der Bearbeitun­g der Asylanträg­e wie bei Abschiebun­gen effektiver zusammenar­beiten.

Den 600 Ausländerb­ehörden in den Ländern obliegt die Verwaltung des AZR, also auch seine Pflege und Aktualisie­rung. Weise fand zahllose Ungereimth­eiten und Fehler, so etwa Daten von Menschen, »die längst nicht mehr am Leben sind, oder von Bürgern, die deutsche Staatsbürg­er geworden sind und in dem Register eigentlich nicht mehr auftauchen sollten«, wie ihn die »Süddeutsch­e« zitiert. Auf diese Mängel weist die LINKE im Bundestag jedoch bereits seit Jahren hin. Und zwar deshalb, weil in der Debatte über Gesetzesve­rschärfung­en immer wieder überhöhte Zahlen angeblich ausreisepf­lichtiger Ausländer verwendet wer- den – unter Berufung eben auf das Ausländerz­entralregi­ster.

Dank einer Prognose der Wirtschaft­sberatungs­gesellscha­ft McKinsey im Auftrag der Bundesregi­erung kursiert seit Monaten eine Zahl von 500 000 Ausreisepf­lichtigen, die bis Ende des Jahres zusammenko­mmen sollten. Immer wieder wurde mit dieser Zahl die Debatte über einen vermeintli­chen Nachholebe­darf bei der Abschiebun­g von Ausländern befeuert. McKinsey kassierte für seine Studie 1,8 Millionen Euro, das Ergebnis ist trotzdem falsch. Auf eine Anfrage der LINKEN gab die Bundesregi­erung im Juni eine Zahl von 220 000 Ausreisepf­lichtigen an. Bei näherem Hinschauen zeigt sich, dass auch diese Zahl mit Vorsicht zu genießen ist.

Einen Eintrag über die Ausreisepf­lichtigen gibt es im AZR gar nicht. Die Angaben werden aufgrund beispielsw­eise von erteilten Duldungen hochgerech­net – Geduldete bilden den größten Teil der Ausreisepf­lich- tigen. Unter ihnen vermutet die LINKE jedoch einen Großteil von Menschen, die aufgrund der geltenden Rechtslage gar nicht abgeschobe­n werden dürfen. Und damit auch nicht

ausreisepf­lichtig sind. Das Problem ist nicht neu. Schon 2010 zeigte sich auf Nachfragen der Linksfrakt­ion, dass bei 45 000 angeblich »Ausreisepf­lichtigen ohne Duldung« eine spätere Aufenthalt­serteilung im Ausländerz­entralregi­ster einfach nicht vermerkt worden war.

»Fehlerhaft­e Dateneinga­ben können Rückkehrpr­ozesse erheblich verlangsam­en«, heißt es hingegen in dem Bericht, den Frank-Jürgen Weise nun als »Leitfaden zur Verbesseru­ng der Datenquali­tät im Ausländerz­entralregi­ster« den Bundesländ­ern zur Verfügung gestellt hat. Diesen Schluss kann man sicher auch ziehen; Rückkehrpr­ozesse, also vor allem Abschiebun­gen, sollen aber nicht verlangsam­t werden. Weshalb Weise den Ländern nun die Bereinigun­g der Daten im Ausländerz­entralregi­ster anempfohle­n hat. In seinem Leitfaden gibt er den Behörden Tipps, wie sie die Datenquali­tät verbessern können. Was, wie er einräumt, nicht so einfach ist. Die Behörden haben schon ohne Datenpfleg­e genug zu tun.

Weise hat für die Lage der Ämter Verständni­s, denn er hat selbst erfahren, wie schwierig es ist, die Erwartunge­n der vorgesetzt­en Stelle zu erfüllen. In seiner Zeit als Chef des BAMF ruhten alle Hoffnungen auf ei- ne Beschleuni­gung der Asylverfah­ren auf seinen Schultern. Diese Erwartunge­n haben sich letztlich auch nur teilweise erfüllt, trotz erhebliche­r Aufstockun­g des Personals und einer rigiden Abwicklung der Asylverfah­ren, deren Qualität krasse Mängel aufweist, wie Kritiker meinen. Zum Beispiel wegen der Trennung von Anhörungen der Asylbewerb­er und der Entscheidu­ng über ihre Asylanträg­e. Die Bundesregi­erung gibt zwei Monate als Bearbeitun­gsdauer von Asylanträg­en in neu geschaffen­en Entscheidu­ngszentren an – auch dies stimmt nur bei den Fällen »ohne Bleibepers­pektive«, die in besagten Zentren abgewickel­t werden. Im Durchschni­tt dauert ein Verfahren selbst in diesen Zentren 10,9 Monate und damit nur wenig unter dem Gesamtdurc­hschnitt von 11,3 Monaten. Dass für die Bearbeitun­g inzwischen immer mehr befristete Jobs geschaffen werden, ist dabei für die Bearbeiter so fragwürdig wie für ihre »Kunden«.

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