Kern kontra Kurz: Der Wahlkampf wird spannend
Österreichs Sozialdemokraten müssen sich gegen die ÖVP tüchtig ins Zeug legen
Nach einem anfänglichen Hype startet der Sozialdemokrat Christian Kern angeschlagen in Österreichs Wahlkampf, während sich ÖVP-Star Sebastian Kurz im Umfragehoch sonnt. Vor einem Jahr herrschte Aufbruchsstimmung bei Österreichs Sozialdemokraten. Der eloquente und fesche Christian Kern hatte gerade den farbund glücklosen Kanzler Werner Faymann abgelöst. Im Slimfit-Anzug polierte der studierte Kommunikationsexperte und Eisenbahnmanager das angestaubte Image der alten Tante SPÖ auf, während die ÖVP im Umfragejammertal auf ihren Erlöser Sebastian Kurz wartete.
Inzwischen hat der die ÖVP handstreichartig übernommen, hält sich nicht lange mit programmatischem Kleinkram auf, sondern klettert nett lächelnd und stets den Ruf nach Schließung der Mittelmeerroute auf den Lippen im Popularitätsranking hoch. Und die Sozialdemokraten sind wieder dort, wo sie vor Kerns hoffnungsvollem Start waren.
Das Nachrichtenmagazin »profil« schrieb schon vom Wunder, das Kern am 15. Oktober für einen Verbleib an der Macht brauchen wird. Denn momentan geht es den Genossen ein wenig wie den vom Zerfall heimgesuchten Grünen: Man ist mit sich selbst und Richtungsstreit beschäftigt. Unmittelbar vor dem Bundesparteirat am Donnerstag, einer Art kleinem Parteitag, hatten die internen Querelen zu einem nicht mehr kaschierbaren Bruch geführt: Der erst im Juni angeheuerte Wahlkampfmanager Stefan Sengl warf »aus privaten Gründen«, wie es hieß, das Handtuch.
SPÖ-Insider sehen den Abgang als Ausdruck chaotischer Zustände in der SPÖ-Zentrale. Dies erklärt sich zum Teil aus zu vielen Köchen am politischen Brei. Nach Sengls Ausscheiden sind noch der israelische PR-Berater Tal Silberstein, Bundesgeschäftsführer Georg Niedermühlbichler, Kern-Pressesprecher Jürgen Schwarz und Kanzleramtsminister Thomas Drozda in die Kampagne involviert. Die eigentliche Erklärung für den Verlust des Wahlkampfmanagers sind aber die von Kern nur zeitweise überstrahlten Flügelkämpfe. Vor ein paar Wochen war es im Parteibüro in der Wiener Löwelstraße zwischen einem Mitarbeiter des Kanzleramtes und einem der SPÖ-Zentrale sogar zu Handgreif- lichkeiten gekommen, in deren Folge einer der Beteiligten zu Boden gegangen sein soll. Die Streithähne haben sich zwar inzwischen beruhigt, doch die Kluft zwischen linkem und rechtem Flügel ist offensichtlich. Es geht um die Frage, ob sich die Sozialdemokratie zwecks Machterhaltung zur Not auch mit der FPÖ einlassen solle.
Obwohl Kern sich schon grundsätzlich für Koalitionsverhandlungen und eine Urabstimmung über ein allfälliges Ergebnis ausgesprochen hat, bestehen weiter gültige Partei- tagsbeschlüsse, welche ihm das untersagen.
Das Tohuwabohu findet Niederschlag in den Umfragen. Während die ÖVP seit Übernahme von Kurz im Mai in allen Umfragen auf konstant über 30 Prozent segelt, liefern sich SPÖ und FPÖ an der 25-ProzentMarke ein Duell um Platz zwei. Der Kern-Effekt ist offenbar verpufft.
Zweieinhalb Monate vor der Wahl versucht der Kanzler nun, das Ruder herumzureißen. Der SPÖ-Bundesparteirat startete mit der Verabschiedung des »Programms für Wohlstand, Sicherheit & gute Laune« den Intensivwahlkampf. Das ist erstaunlich detailliert und zielt auf die sozialdemokratische Kernwählerschaft. Der zentrale Slogan »Ich hol‘ mir, was mir zusteht« wird zwar vom politischen Gegner als Förderung einer Selbstbedienungsmentalität kritisiert, soll aber die kleinen Leute animieren, die SPÖ wieder als die Partei zu verstehen, die ihnen ein größeres Stück vom Kuchen verschafft.
Auffallend: Das zentrale Thema Migration mit der Forderung nach einer gerechten Verteilung der Flüchtlinge in Europa, Sicherung der EUAußengrenze und einem Marshallplan für Afrika findet sich in dem Dokument erst auf Seite 184.