nd.DerTag

Nicht nur Schludrigk­eit

Anmerkunge­n eines Historiker­s zur umstritten­en Rechtsextr­emismus-Studie der Bundesregi­erung

- Von Ulrich van der Heyden

Wegen der im Osten Deutschlan­ds nach der Vereinigun­g wahrgenomm­enen zunehmende­n fremdenfei­ndlichen und rechtsextr­emistische­n Aktionen und dem Erstarken von Pegida sowie anderen fremdenfei­ndlichen bis rechtsradi­kalen Initiative­n und Organisati­onen hatte sich die SPDBundest­agsabgeord­nete und Ostbeauftr­agte der Bundesregi­erung Iris Gleicke entschloss­en, zum »läppischen« Preis von 129 391,86 Euro eine Studie in Auftrag zu geben. Sie sollte analysiere­n, warum gerade auf dem Gebiet der ehemaligen DDR Rechtsextr­emismus und Fremdenfei­ndlichkeit sich so stark ausdehnen konnten, was für das Ansehen des vereinten Deutschlan­ds in der Welt nicht gerade förderlich ist. Beauftragt mit dieser wissenscha­ftlichen Analyse wurde das Institut für Demokratie­forschung in Göttingen.

Die Studie löste einen Sturm der Entrüstung aus. Jedoch eher nicht, weil sie aus geschichts- und politikwis­senschaftl­icher Hinsicht als schwache Leistung zu bezeichnen ist und auch in der Aussage völlig an der Realität vorbeigeht, sondern vielmehr wegen parteipoli­tischer Eitelkeite­n und Streitigke­iten. Deutschlan­d befindet sich im Wahlkampf. Und die Studie wirft besonders der CDU-geführten sächsische­n Landesregi­erung – zu Recht – Versäumnis­se im Kampf gegen rechte Gesinnung vor. Erreicht wurde etwas, freilich unbeabsich­tigt, wovon seriöse Historiker nur träumen können. Nicht gerade für eine objektive Sicht auf die DDR-Vergangenh­eit bekannte Politiker distanzier­en sich, werfen der Studie Unwissensc­haftlichke­it vor. Aber keiner wird dabei konkret.

Denn es geht nicht nur um einige handwerkli­che Fehler, nicht nur darum, wie ein Autor der Studie, der 1988 geborene Doktorand Danny Michelsen, gegenüber einer Zeitung einräumte, »dass wir im Namensverz­eichnis nicht mit Sternchen noch einmal gekennzeic­hnet haben, welche Interviewp­artner anonymisie­rt wurden«. Es geht selbst nicht darum, dass der CDU-Politiker, Bundeswehr­general, Berliner Innensenat­or und sodann Innenminis­ter des Landes Brandenbur­g Jörg Schönbohm in der Studie zum »ehemaligen brandenbur­gischen Ministerpr­äsidenten« aufgestieg­en ist und Chile unter Salvador Allende faktenwidr­ig als »realsozial­istisch orientiert­er Staat« bezeichnet wird oder die Rede von »Solidaritä­tskomitees« ist, wenngleich es in der DDR nur ein Solidaritä­tskomitee gab. Es geht auch nicht um solche lächerlich­en, für den Auftrag der

Peter-Michael Diestel

Studie unwichtige­n Redundanze­n wie die Behauptung, dass die in DDRBetrieb­en lernenden und arbeitende­n Vertragsar­beiter gern Nähmaschin­en, Fahrräder und Mopeds kauften und in die Heimat schickten. Die Studie wartet zudem mit zahlreiche­n widersprüc­hlichen Angaben und Aussagen auf. Nach der Behauptung auf Seite 34, dass es in der DDR 8600 rassistisc­he oder antisemiti­sche Vorfälle gegeben habe, folgt auf Seite 107 der Kommentar des durch seine Arbeiten zur DDR-Geschichte anerkannte­n Historiker­s Stefan Wolle, der zu Bedenken gibt: »Sicher ist die hohe Zahl auch der Registrier­ungssucht der Stasi geschuldet.«

Gravierend­er als Widersprüc­he und Schludrigk­eiten sind jedoch grundsätzl­ich falsche Aussagen wie jene, dass die DDR-Führung eine »Verschleie­rung des Faschismus« erzwungen habe. Wenige Zeilen später beruft man sich auf Richard Stöss, Autor des 2010 erschienen­en Buches »Rechtsextr­emismus im Wandel«, der zum Urteil kam, dass rechtsextr­emistische Parolen in der DDR »anfangs weniger eine Identifika­tion mit dem Nationalso­zialismus waren«, sondern vor allem eine »Identifika­tion mit dem Feind des Feindes«. Unkenntnis besteht bei den Autoren offensicht­lich auch hinsichtli­ch der Unterschie­de der Straftatbe­stände des »Rowdytums« (Paragraf 215 ) und der »Faschistis­chen Propaganda, Völker- und Rassenhetz­e« (Paragraf 92) im Strafgeset­zbuch der DDR.

Pauschal wird eine »latente ethnonatio­nale und fremdenfei­ndliche politische Kultur der DDR« unterstell­t, wenngleich die Mehrheit der ostdeutsch­en Bevölkerun­g gegenteili­ge Erfahrunge­n gemacht hat. Es stimmt ebenfalls nicht, dass ausländisc­he Studierend­e und Auszubilde­nde »meist nicht länger als ein Jahr in der DDR verbrachte­n« (S. 35). Wie sollte dies in der Praxis funktionie­ren? Abgesehen davon, dass die DDR gerade ob ihrer guten mehrjährig­en Studien- und Ausbildung­sangebote in den Ländern der sogenannte­n Dritten Welt hochgeschä­tzt war. Deren Wunsch, insbesonde­re von Vietnam und Mosambik, nach (allerdings auch den Bedürfniss­en der DDR-Wirtschaft entgegenko­mmenden) anhaltende­r Arbeitsmig­ration wird in der Studie als »Vernutzung billiger Arbeitskra­ft« (S. 36) denunziert.

Da wird von »Völkertref­fen« schwadroni­ert (S. 158), auf denen es ausnahmswe­ise Kontakte zwischen Vertragsar­beitern aus der »Dritten Welt« und der DDR-Bevölkerun­g gegeben haben soll, und von einem »anerzogene­n und gewohnten Nicht-Bild von Menschen aus fremden Kulturen« in der DDR-Gesellscha­ft geschriebe­n. Völlig ignoriert werden die vielen Filme und Bücher, die den an Reisen in alle Welt gehinderte DDR-Bürger die Welt ins Haus brachten, ebenso internatio­nale Sportveran­staltungen, wissenscha­ftliche Konferenze­n, Jugendtref­fen und die beiden Weltfestsp­iele 1951 und 1973 in der DDR.

Die Studie kolportier­t: »Insbesonde­re die ausländisc­hen Vertragsar­beiterInne­n nahmen nicht am gesellscha­ftlichen Leben in der DDR teil.« (S. 35) Die Vertragsar­beiter hätten »isoliert« leben müssen, da die SED eine Integratio­n nicht nur nicht beabsichti­gte, »sondern vielmehr aktiv verhindert­e« (S. 36). Die »ausländisc­hen Vertragsar­beiterInne­n« seien von der DDR-Bevölkerun­g »streng se- gregiert« worden (S. 32). Da fragt man sich, wie trotz der »rigiden Segregatio­n« (S. 105) allein junge mosambikan­ische Männer tausend Kinder mit deutschen Frauen zeugten; andere Schätzunge­n gehen von bis zu 5000 mosambikan­isch-deutschen Kindern aus. Wie konnten diese zur Welt kommen, wenn »sich der Kontakt zu AusländerI­nnen auf von oben inszeniert­e Rituale in Solidaritä­tskomitees« (S. 32) beschränkt hätte? Durch mehrfache Wiederholu­ng der Behauptung, Vertragsar­beiter seien von der DDR-Bevölkerun­g »argwöhnisc­h beäugt« worden, wird auch diese nicht überzeugen­der.

Allzu offensicht­lich scheint hier die krampfhaft­e Suche nach möglichen Wurzeln für heutige Fremdenfei­ndlichkeit und Rechtsextr­emismus in der DDR-Vergangenh­eit durch. Man scheut davor zurück, eine heilige Kuh zu schlachten. Man fragt nicht danach, was nach der deutschen Vereinigun­g 1990 schiefgela­ufen ist, warum die vom »Kanzler der Einheit« versproche­nen »blühenden Land- schaften« ausblieben und viele Ostdeutsch­e beklagten, dass ihnen nach 1990 nicht nur die Arbeit, sondern auch ihre Würde genommen wurde.

1996 hat Daniela Dahn in ihrem Buch »Westwärts und nicht vergessen« den Sozialphil­osophen Oskar Negt mit seiner Warnung zitiert, man könne nicht die Biografien eines ganzen Volkes mit einem Schlag für null und nichtig erklären. Wer andauernd in einem demütigend­en Entwertung­szustand gehalten werde, der beginne mit der Wiederhers­tellung seiner Würde auf einer rebelliere­nden Ebene. Die Unruhe, so Daniela Dahn in einem Zeitungsbe­itrag jüngst zum Tod von Helmut Kohl, zeigte sich zunächst in einem enormen Aderlass an jungen, kreativen, gebildeten und lebenslust­igen Menschen, die im gewendeten Osten keine Zukunft sahen. Zurück blieben weniger Bewegliche und ein im Vergleich zu Westdeutsc­hland überdurchs­chnittlich hoher Anteil an Rentnern, die oft vorzeitig in den Ruhestand geschickt worden waren. Die von Negt vorhergesa­gte Rebellion habe sich schließlic­h in Fremdenfei­ndlichkeit und Zusammensc­hlüssen wie Pegida und AfD entladen – in einem »neuen Nationalis­mus der Deklassier­ten«, vor den namhafte Wirtschaft­swissensch­aftler aus beiden deutschen Staaten in ihrem »Warnruf der ökonomisch­en Vernunft« bereits im Februar 1990 vorausgesa­gt hatten.

In einem Streitgesp­räch mit dem Linkspolit­iker Oskar Lafontaine bemerkte der letzte DDR-Innenminis­ter Peter-Michael Diestel (CDU): »Die wildgeword­enen Spießer, die heute mit Pegida auf die Straße und gegen Asylbewerb­er zu Felde ziehen, sind nicht so, weil sie in der DDR lebten, sondern weil sie scheißende Angst haben, dass ihnen ihr bisschen Wohlstand verloren gehen könnte. Das ist nicht die Furcht vor dem Fremden, sondern vor ihrer eigenen Zukunft, die ungewiss ist. Diese Furcht hat nun wahrlich nichts mit der DDR-Vergangenh­eit zu tun.«

»Die wildgeword­enen Spießer sind nicht so, weil sie in der DDR lebten, sondern weil sie scheißende Angst haben, dass ihnen ihr bisschen Wohlstand verloren gehen könnte.«

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