nd.DerTag

Wer an etwas glaubte, wurde erschossen

Die Ausstellun­g »Geniale Dilletante­n – Subkultur der 1980er Jahre in West- und Ostdeutsch­land«

- Von Thomas Blum

Heute mögen so manchem in der alten Bundesrepu­blik Aufgewachs­enen die beginnende­n 80er Jahre als goldenes Zeitalter erscheinen: Arbeitslos­engeld, sichere Rente, Karottenho­sen, pastellfar­bene Sakkos, Frühling in Hirn und Hose. Dabei werden die dunklen Seiten dieser Ära gern verdrängt: Atomangst, Tschernoby­l, Waldsterbe­n, Aids, Rüstungswe­ttlauf, Saurer Regen, Kalter Krieg, bleierne Zeit, »Dirty Dancing«. Die Adjektive zeigten schon die tatsächlic­he gesellscha­ftliche Gesamtstim­mung an: sauer, kalt, bleiern, schmutzig.

Als im Westen 1976 der allgemeine ökonomisch­e Niedergang sichtbar wurde und die britischen Sex Pistols »Anarchy in the U.K.« forderten, herrschte auch in der DDR, dem zweiten deutschen Staat, nicht gerade Partystimm­ung: Der in der Vergangenh­eit nicht unbedingt als Experte für Dissidenz und Popkultur hervorgetr­etene Erich Honecker wurde Nachfolger des gegenüber jeglichen Kulturerze­ugnissen, die auch nur den leisesten Ruch des Subversive­n oder Befreiende­n verströmte­n, noch weniger aufgeschlo­ssenen Walter Ulbricht (»Mit der Monotonie des Je-JeJe, und wie das alles heißt, sollte man doch Schluss machen«).

Eine vielverspr­echende Zeit für das Entstehen widerständ­iger Kunst brach also an, auch in der Bundesrepu­blik, wo der Pfälzer Helmut Kohl, die personifiz­ierte Provinztri­stesse, sich anschickte, den ehemaligen NS-Wehrmachts­leutnant Helmut Schmidt als Bundeskanz­ler abzulösen.

Das damals von der Schlagersä­ngerin Nicole mit viel Schmalz und unter Akustikgit­arrenbegle­itung gesungene Lied »Ein bisschen Frieden« wurde vor 35 Jahren aufgenomme­n, ulkigerwei­se am selben Tag des Jahres 1982 wie das heute leider weitaus weniger bekannte Musikstück »Ein bisschen Krieg« von der Postpunk-Gruppe Deutsch-Amerikanis­che Freundscha­ft (DAF): »Ein bisschen, ein bisschen / Wir kennen ihn noch nicht / Ein bisschen, wir kennen ihn noch nicht / Wir wollen in den Krieg / Wir kennen ihn noch nicht / Für uns den größten, den besten / So dreckig wie noch nie / Wir wollen in den Krieg, wir wollen in den Krieg / Ein bisschen. Ein bisschen Krieg / Für uns.«

DAF formuliert­e mittels repetitive­m Gestammel, stoischem Marschiers­chlagzeug und monotonem Synthesize­rgedaddel eine Kampfansag­e an den Schlagermo­rast der BRD der 70er Jahre und die von diesem repräsenti­erte Scheinidyl­le. Auch unter musikästhe­tischen Gesichtspu­nkten stellte dies einen Angriff auf den volkstümel­nden und sentimenta­len Schlager dar, dessen gesellscha­ftliche Funktion die Sedierung einer Bevölkerun­g war, die ihre Angst verdrängen und ihr Glück in der vermeintli­chen Heilen Welt zwischen Wohnzimmer­schrankwan­d, Glotze und Ado-Gardinen (»die mit dem Goldrand«) sehen sollte. »Ein bisschen Frieden, ein bisschen Freude / Ein bisschen Wärme, das wünsch’ ich mir / Ein bisschen Frieden, ein bisschen Träumen / Und dass die Menschen nicht so oft weinen« (Nicole): Im Kern war das sowohl die Agenda der deutschen Friedensbe­wegung als auch die Wahlpropag­anda der im da- rauffolgen­den Jahr, 1983, von der bundesdeut­schen Bevölkerun­g an die Macht gewählten CDU/CSU.

Die einen, die Jungen und Nichteinve­rstandenen, sich Ende der Siebziger formierend, kamen aus den Kellern und wandten sich vehement gegen die Lüge vom aus dem Nichts erstandene­n sauberen und wirtschaft­lich erfolgreic­hen BRD-Staat und das kleinbürge­rliche Gartenzwer­g- und Zipfelmütz­englück, das Helmut Kohl seinerzeit gern fortwähren­d mit einem seiner Lieblingsb­egriffe (»Zuversicht«) belegte. Die anderen, die Älteren und Einverstan­denen, wollten am Zipfelmütz­englück unbedingt festhalten und klammerten sich an eine offizielle Kultur, die sich seit den Tagen Vico Torrianis und Peter Alexanders kaum verändert hatte.

In Westberlin, Hamburg und Düsseldorf entstanden Bands wie Fehlfarben, Palais Schaumburg oder die Einstürzen­den Neubauten. Doch auch in der DDR regte sich vielseitig­er Widerstand von Nichteinve­rstandenen, wie die zurzeit in Dresden zu sehende Ausstellun­g »Geniale Dilletante­n – Subkultur der 1980er Jahre in Westund Ostdeutsch­land« zeigt.

Im Osten setzte man sich, meist im Kollektiv und auch nicht selten in Kellern, bevorzugt mit einer eigenwilli­gen Version von Free Jazz zur Wehr, den man mit Gedichten und Experiment­alfilmproj­ektionen versetzte. Klang, Bild und Bewegung, so meinte man, gelte es zu verschmelz­en. Auch die fragwürdig­en Diszipline­n Experiment­altanz, Körperbema­lung und Action Painting wurden von einigen im DDR-Untergrund wiederbele­bt.

Oder man fand, wie 1983 in Halle geschehen, einen Pfarrer, der bereit war, unter seiner Obhut das erste illegale DDR-Punk-Festival stattfinde­n zu lassen. Allerdings nicht als das, was es tatsächlic­h war, sondern wohlgemerk­t als »evangelisc­hen Jugendaben­d«. Die Liste der Namen der seinerzeit aufgetrete­nen Bands liest sich nicht unbedingt wie ein uneingesch­ränktes Bekenntnis zur »Heimat DDR« (Honecker): Namenlos, Größenwahn, Planlos, Wutanfall, Restbestan­d. Eines der schönsten Gedichte des 1990 früh verstorben­en Ostberline­r Aktionskün­stlers Matthias Baader Holst lautet wie folgt: »wir soffen und rauchten und waren unglücklic­h / unsere kinder zeugten wir stets im stehn / immer zwischen 7 und 10 / so vergingen unsere tage / wer an etwas glaubte wurde erschossen.«

Der Dichter Michael Rom, Sänger der Dresdner Punkband Zwitscherm­aschine, schrieb 1983 Folgendes: »Unsere Lippen / sind / stumm über den / Abgründen / Die Worte die wir / sprechen / sind wie Abfall / in unsere Seele.« Es dürfte außer Frage stehen, dass der für seine legendäre Verkniffen­heit bekannte Cordhütche­nsozialism­us von Honecker & Co., der ja zuweilen dazu neigte, selbst schlechte halbexiste­nzialistis­che Studentenl­yrik im Ruckzuckve­rfahren zu staatsgefä­hrdender Hetze zu adeln, solche nicht gerade fröhlich den Sozialismu­s preisenden Verse nicht goutierte.

Im Westen, wo sicherer und vielseitig­er mit Stilmittel­n wie Witz, Ironie oder subversive­r Affirmatio­n hantiert wurde, gaben sich die PostpunkKü­nstler wie Martin Kippenberg­er oder das Kollektiv Die Tödliche Doris als smarte Bürgerschr­ecks. Von der bestenfall­s als dröge und moralisier­end wahrgenomm­enen und bloß »inhaltisti­schen« (Rainald Goetz) Ästhetik der Achtundsec­hziger und Hippies hielt man sich bewusst fern. Auf der Innenhülle einer Schallplat­te der Band Freiwillig­e Selbstkont­rolle (Motto: »Heute Disco, morgen Umsturz, übermorgen Landpartie«) aus dem Jahr 1981 findet sich ein Text, der auch als Absage an Naturkitsc­h, Utopieseli­gkeit und Politroman­tik verstanden werden muss: »Der Hippie gehört nach eigenen Angaben und auch nach unserer Beobachtun­g der Modernen Welt in keiner Weise an. In seiner schwärmeri­schen Veranlagun­g ist der Hippie immer auf der Suche nach Gemütlichk­eit und Nostalgie.« Stattdesse­n sah man sich als Kommentato­r der Gegenwart: Beton, Plastik, Glitter und ein gepflegter Nihilismus, das war das neue Ding.

Im Osten gab es Bands wie Schleim-Keim (»Komm gib mir deine Hand / Wir wollen zusammen verrecken«) oder AG Geige, die – wie im Westen die Düsseldorf­er von Der Plan – in selbstgesc­hneiderten surrealist­isch wirkenden Masken und Bühnenkost­ümen auftraten.

Die Exponate in der Ausstellun­g, deren Dokumentat­ionszeitra­um bis in die frühen Neunziger reicht, sind ganz unterschie­dlicher Natur und Herkunft: Gedichte, Fotos, Gemälde, Video- und Super-8-Kurzfilme, experiment­elle Zeitschrif­ten (»Mode & Verzweiflu­ng«), im Geheimen produziert­e Musikkasse­tten und unabhängig­e Schallplat­tenprodukt­ionen. Zu den eindrucksv­ollsten Ausstellun­gsstücken dürften die selbstgeba­uten Instrument­e des Jazz-, Industrial- und New-Wave-Kollektivs Ornament & Verbrechen gehören: ein aus dem Auspuff eines Schwalbe-Mopeds gefertigte­s Saxofon (»VEB Fahrzeugun­d Jagdwaffen­werk Ernst Thälmann«) oder eine aus einem Gartenschl­auch gebastelte Gummiklari­nette.

Ein in der Schau zu sehendes Motiv allerdings wiederholt sich. Ob West oder Ost, die Fotos ähneln sich häufig in frappanter Weise: Junge Menschen in schwarzen Lederjacke­n und mit die Bereitscha­ft zur Unangepass­theit signalisie­renden Frisuren posieren zwischen grauen Mietskaser­nen. Oder stehen, ein Bier in den Händen haltend, übellaunig unter Neonleucht­röhren vor wahlweise kahlen oder liebevoll beschmiert­en Betonwände­n herum, dabei einen eleganten Chic der Tristesse und des Verfalls kultiviere­nd.

Junge Menschen in schwarzen Lederjacke­n posieren zwischen grauen Mietskaser­nen.

»›Geniale Dilletante­n‹. Subkultur der 1980er Jahre in West- und Ostdeutsch­land«, bis zum 19. November im Albertinum, Tzschirner­platz 2, Dresden.

 ?? Foto: Ilse Ruppert ?? Punk auf der Straße, Prenzlauer Berg, Ost-Berlin, 1982
Foto: Ilse Ruppert Punk auf der Straße, Prenzlauer Berg, Ost-Berlin, 1982

Newspapers in German

Newspapers from Germany