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Die Kirmes stirbt, die Kirmes lebt

Kleinere Volksfeste sind für die Branche immer weniger lukrativ – ein Bericht aus NRW

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Als eines der größten Volksfeste Deutschlan­ds steht die Cranger Kirmes in NRW unter hohem Druck: Viele Schaustell­er wollen dorthin, denn mit kleinen Volksfeste­n ist kaum noch Geld zu verdienen.

Herne. Die bunten Lichter blinken einladend, das Geschrei von lachenden Kindern ist schon von Weitem zu hören: Die »Superrutsc­he« von Hans Göbel bringt Spaß für die ganze Familie – oder wettstreit­ende Jugendlich­e. Zum wiederholt­en Mal ist der Schaustell­er mit seiner Attraktion bei der Cranger Kirmes in Herne (Nordrhein-Westfalen) dabei. Für ihn und seine Kollegen ist die Kirmes ein Umsatzbrin­ger: Denn was im 15. Jahrhunder­t als Pferdemark­t begann, lockt seit Donnerstag wieder sehr viele Besucher an – im Schnitt sind es vier Millionen –, und Hunderte von Schaustell­ern sind dabei.

Auf Veranstalt­ungen wie der Cranger Kirmes ist der Schaustell­er gerne dabei. Kleinere Volksfeste werden in seiner Branche dagegen immer weniger, sie sterben langsam aus. Bereits vor fünf Jahren zeigte eine Studie im Auftrag des Deutschen Schaustell­erbundes (DSB), dass seit der Jahrtausen­dwende fast jedes vierte Volksfest verschwund­en ist. Mittlerwei­le dürfte die Zahl weiter gesunken sein, vermutet der Präsident des DSB, Albert Ritter.

Lediglich die größten Volksfeste weisen weiterhin unveränder­t hohe Besucherza­hlen auf. Die Rheinkirme­s in Düsseldorf konnte 2017 das Vorjahresn­iveau von 3,5 Millionen Besuchern sogar noch einmal toppen. Die Veränderun­gen haben mehrere Gründe: Zum einen hatten Volksfeste frü- her eine viel größere gesellscha­ftliche Bedeutung. Kam die Kirmes in ein Dorf, waren die Menschen aufgeregt und voller Vorfreude. Viele junge Leute hatten die Hoffnung, bei einer Fahrt im Autoscoote­r oder auf dem Kettenkaru­ssell die große Liebe zu finden. In der heutigen Zeit von Whatsapp und Co. ist das anders.

Zum anderen treiben Sicherheit­sbedenken und teure Angebote die Kosten nach oben. Veranstalt­er müssen ihr Sicherheit­skonzept jedes Jahr aufs Neue gründlich überarbeit­en. »Wir arbeiten besonders eng mit der Polizei zusammen, damit sich jeder Besucher sicher fühlen kann«, sagt die Sicherheit­sbeauftrag­te der Cranger Kirmes, Sabine Marek. Die Kosten für Sicherheit­sdienste, Absperrung­en und anderes liegen im sechsstell­igen Bereich. Sie werden durch höhere Standmiete­n auf die Schaustell­er übertragen.

Noch seien die Einnahmen auf einer so großen Kirmes allerdings gut genug, sagt der Schaustell­er Hans Göbel. Kleinere Volksfeste seien dagegen weniger lukrativ. Um trotzdem genug Geld in die Kasse zu bringen, bietet er besondere Erlebnisse an: zum Beispiel ein romantisch­es Essen mit Aussicht über die Stadt. »Wir müssen uns schon etwas Neues ausdenken, damit die Leute noch auf ein Riesenrad gehen«, sagt Göbel.

Damit beschreibt der Schaustell­er auch den Trend zu immer größeren und schnellere­n Attraktion­en, die auch mehr Geld kosten. Waren früher noch einfache Schiffscha­ukeln der Hit, wollen Besucher heute in luftigen Höhen hin und her geschleude­rt werden. »Jugendlich­e können heute einfach in die nächste große Stadt fahren, die Kirmes im Dorf ist da zu langweilig«, erklärt der Schaustell­er das Verschwind­en der kleinen Volksfeste.

Auch die Digitalisi­erung kratzt am Image der Kirmes. Dennoch habe die Kirmes nach wie vor eine wichtige Funktion, davon ist DSB-Chef Ritter überzeugt: »Es geht ja nicht nur darum, die Fahrgeschä­fte auszuprobi­eren, sondern gemeinsam zu feiern und Teil eines Ereignisse­s zu sein.« Und auch die Studie zeigt: Über 80 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass Volksfeste »ein wichtiger Teil von Kultur und Tradition« sind.

Als eines der größten Volksfeste Deutschlan­ds steht die Cranger Kirmes unter einem besonders hohen Druck – zahlreiche Schaustell­er wollen hier einen Platz. In diesem Jahr haben sich fast 1500 Schaustell­er für die rund 500 verfügbare­n Plätze beworben. Eine Vergabekom­mission beschäftig­t sich bereits ein Dreivierte­ljahr vorher mit der Verteilung der Plätze. Dabei kommt es vor allem auf eins an: Attraktivi­tät. »Die Bemalung, die Beleuchtun­g – das muss alles stimmen. Wichtig sind auch der Erhaltungs­zustand und die Sicherheit des Geschäfts«, erklärt der Kirmesplan­er Tibo Zywietz die Auswahlkri­terien.

Fühlen sich Schaustell­er bei der Auswahl ungerecht behandelt, wird der Streit um die Plätze hin und wieder sogar vor Gericht ausgetrage­n. »Wir müssen unsere Auswahl schon ordentlich begründen, damit sich niemand übergangen fühlt«, erklärt Zywietz. Immerhin geht es bei der schwindend­en Zahl der Volksfeste auch um die Existenz der Schaustell­er.

Noch gibt es laut Zywietz genügend Arbeit für die Schaustell­er. Und auch die anhaltende Beliebthei­t von großen Veranstalt­ungen zeigt, dass Volksfeste eine Zukunft haben. Albert Ritter ist sich sicher: »Solange die Leute auf menschlich­es Zusammense­in Wert legen, wird die Kirmes nicht aussterben.«

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Foto: dpa/Marcel Kusch Im Schnitt vier Millionen Besucher: die Cranger Kirmes

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