nd.DerTag

Sieben Tage, sieben Nächte

- Gabriele Oertel

In sieben Wochen haben wir es hinter uns. Dann werden die Parolen, Plakate, Prüfsteine in diversen Papierkörb­en versenkt, die ramponiert­en Stimmbände­r der Wahlkämpfe­r je nach Ergebnis mit Bier, Wein oder Honigmilch geölt, die wohlfeilen Versprechu­ngen aus den Parteizent­ralen Stück für Stück relativier­t, die Attacken auf den politische­n Gegner wieder in den Normalmodu­s gefahren. Bis dahin befinden wir uns noch exakt 50 Tage in einem – zugegeben typisch deutschen und damit erschrecke­nd emotionslo­sen – Ausnahmezu­stand, der zwar immer noch Wahlkampf heißt, aber längst keiner mehr ist.

Was früher den Stoff für ganz große Dramen hergab, fühlt sich an wie eingeschla­fene Füße. In Anlehnung an einen guten alten DDR-Slogan, könnte man sagen: alle erreichen, jeden einlullen und keinen verprellen. Dabei haben sowohl CSU-Chef Horst Seehofer als auch die CDU-Chefin und Kanzlerin Angela Merkel uns schon vor Monaten auf die schwierigs­te Wahl seit der deutschen Einheit eingeschwo­ren. Als der Nation aus Angst vor dem Gemetzel schon die Knie zu zittern begannen, haben die Beiden nicht nur ihre lächerlich­en Zänkereien, sondern jedweden politische­n Wettbewerb weitestgeh­end ruhen lassen. Und beim Koalitions­partner wie der Opposition ihre Nachahmer gefunden. Denn wie häufig in diesem Land – erst in dieser Woche beim Diesel-Gipfel erneut zu besichtigt­en – werden die besonders dicken Bretter letztlich doch nur mit dem Nagelbohre­r bearbeitet. Man darf gespannt sein, ob in der heißen Phase des Wahlkampfe­s irgendwann doch noch mehr als Wattebäusc­he bereit liegen.

Jedenfalls gondelt die den vierten Wahlsieg anpeilende Bewohnerin des Kanzleramt­es, die 2005 mit drei Boni – weiblich, jung, ostdeutsch – eingezogen ist, aber nach zwölf unendliche­n Jahren nur noch auf ihren Amtsbonus verweisen kann, seit Montag entspannt und gelassen durch die Südtiroler Berge.

Ihr Herausford­erer, der als Heilsbring­er gefeierte SPD-Vorsitzend­e Martin Schulz, ist nach kurzzeitig­em Höhenflug doch noch nicht übers Wasser gelaufen, blieb bis auf ein paar erfolglose Attacken bislang schwach und schwänzte am Dienstag sogar den Kampagnens­tart der eigenen Partei.

Und sein Freund, Genosse und Vorgänger im Willy-BrandtHaus, der noch anderthalb Monate im Auswärtige­n Amt residiert, klingelte am Donnerstag in einem »Stern«-Interview ganz en passant – und auch nicht unbedingt überzeugen­d – eine Große Koalition für die nächste Wahlperiod­e ab. Dass Sigmar Gabriel dabei die Politik der Kanzlerin im Schlafwage­n verortet, war übrigens eindeutig das treffendst­e Sprachbild dieser Woche. Auch wenn der pfiffige SPD-Stratege uns leider verschwieg­en hat, dass Merkels Schlummer-Waggon längst am Schulz-Zug angekoppel­t ist.

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