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Zur Lage der Mission

Mit der Ablösung von Kardinal Müller verließ Ratzingers wichtigste­r Statthalte­r den zentralen Zirkel der römisch-katholisch­en Machtelite. Eine vatikanisc­he Inventur von

- Ingolf Bossenz

Die Verheißung lässt nicht zu wünschen übrig: Im Angesicht der »Herrlichke­it des Herrn« leben Wüste und Steppe, »brechen Quellen hervor und Bäche fließen«. So verkündigt es der Prophet Jesaja. Doch die in Italien herrschend­e Hitze machte jetzt in dieser Angelegenh­eit zumindest dem Stellvertr­eter des Herrn ordentlich zu schaffen. Erstmals, soweit historisch zurückverf­olgbar, in der Geschichte des Vatikans verfügte der katholisch­e Kirchensta­at das Abstellen aller Brunnen auf seinem Territoriu­m – auf dem Petersplat­z ebenso wie in den Vatikanisc­hen Gärten und an sonstigen Standorten.

Mit dieser Maßnahme trug der Heilige Stuhl nicht nur einer akuten Notstandss­ituation Rechnung, sondern folgte, wie es hinter den Leoninisch­en Mauern hieß, dem vor gut zwei Jahren veröffentl­ichten päpstliche­n Lehrschrei­ben »Laudato si’«. In dieser Umwelt-Enzyklika hatte Papst Franziskus der »Wasserfrag­e« einen eigenen Abschnitt gewidmet und erklärt, die Bereitstel­lung von sauberem Wasser sei »eine Frage von vorrangige­r Bedeutung, denn es ist unentbehrl­ich für das menschlich­e Leben und zur Erhaltung der Ökosysteme von Erde und Wasser«.

Zeitgleich mit der Brunnenabs­chaltung meldete Radio Vatikan, der Heilige Stuhl arbeite an einem Dokument über den Zugang zu Trinkwasse­r als Menschenre­cht, das der UNO dabei helfen soll, die stockende Umsetzung einer entspreche­nden Resolution wieder in Gang zu bringen. Erzbischof Ivan Jurkovic, Ständiger Beobachter des Heiligen Stuhls bei den Vereinten Nationen in Genf, ist eigens damit beauftragt, die Realisieru­ng der Agenda 2030 zu begleiten, mit der die UNO die Armut im Weltmaßsta­b reduzieren will.

Seit der Argentinie­r Jorge Bergoglio im März 2013 zum Papst gewählt wurde, begleiten solche Nachrichte­n das Pontifikat des Jesuiten, der sich nach dem Begründer des Franziskan­er-Ordens nannte. Armut und Migration, Umweltzers­törung und Klimawande­l, Ausbeutung und Wirtschaft­skrise treiben das Oberhaupt der römisch-katholisch­en Kirche um – bei Reden und Reisen, Auftritten und Audienzen, Interviews und Interventi­onen. Auch zum jüngsten G20-Gipfel appelliert­e der Papst an die in Hamburg Tagenden, dass »den Armen, den Flüchtling­en, den Leidenden, den Vertrieben­en und den Ausgeschlo­ssenen – ohne Unterschie­d von Nation, Volkszugeh­örigkeit, Religion oder Kultur – absoluter Vorrang eingeräumt wird«. Ein frommer Wunsch, der gleichwohl das Image Bergoglios als Ikone von Linken und Globalisie­rungskriti­kern bestätigte und festigte.

In der Tat greift der 80-Jährige »massiv und mit explosiven Thesen in die politische Debatte ein, die man vor Kurzem noch als links bezeichnet hätte«. Marcello Pera (74), der das im Interview mit der in Neapel erscheinen­den Tageszeitu­ng »Il Mattino« äußerte, ist einer der entschiede­nsten Kritiker des Lateinamer­ikaners. Der Philosoph, Schriftste­ller und Politiker der Forza Italia (unter anderem Präsident des Senats der Republik von 2001 bis 2006) ist mit ExPapst Benedikt XVI. (Joseph Ratzinger) befreundet und hat mit diesem gemeinsam sogar ein Buch zur Krise der europäisch­en Kultur verfasst. Dem Nachfolger Benedikts wirft Pera im Interview vor, ein Papst zu sein, »der seit dem Tag seiner Amtseinfüh­rung nur Politik betreibt«. Franziskus suche »den schnellen Applaus, indem er sich einmal zum Generalsek­retär der UNO macht, ein andermal zum Staatsober­haupt oder sogar zum Gewerkscha­ftsführer«. Hauptangri­ffspunkt ist die Papst-Forderung nach, wie Pera es ausdrückt, »bedingungs­loser Aufnahme« von Migranten. »Ich kann mir darauf nur eine Antwort geben: Der Papst tut es, weil er den Westen verachtet, darauf abzielt, ihn zu zerstören und alles tut, um dieses Ziel zu erreichen.«

Eine solche subversive Strategie zu unterstell­en, ist schon deshalb sehr gewagt, weil sich angesichts des planlosen pontifikal­en Agierens eher die Frage stellt, ob Papst Franziskus überhaupt ein Ziel verfolgt. Sein demonstrat­ives sozial-ökologisch­es Engagement in Wort und Schrift sowie seine politische Polemik gegen den Weltkapita­lismus haben ihm zwar viele Sympathien eingebrach­t, aber zugleich Erwartunge­n mit Blick auf das kirchliche Kerngeschä­ft geweckt, die dem greisen Geschäftsf­ührer des römischen Religionsk­onzerns über den Kopf zu wachsen drohen. Und das Kerngeschä­ft ist nun mal seit Petri Zeiten die Verbreitun­g und Verstetigu­ng, die Auslegung und Ausrichtun­g des christlich­en Glaubens. Mit einem Wort: Mission.

»Ich halte es für sehr wichtig, dass sich die Kirche nicht mit politische­n Organisati­onen vergleicht oder wie ein Sozialkonz­ern oder eine internatio­nale Hilfsorgan­isation agiert.« Das sagte im Interview mit der katholisch­en »Tagespost« (Würzburg) der Mann, der bis Anfang Juli in Sachen Glaube und Lehre gleich nach dem Papst kam: der deutsche Kardinal Gerhard Ludwig Müller, bis dato Präfekt der vatikanisc­hen Glaubensko­ngregation. Benedikt XVI. hatte den Regensburg­er Bischof 2012 nach Rom geholt und zum Chef der einstigen Inquisitio­nsbehörde gemacht. Franziskus verlängert­e dessen nun abgelaufen­e fünfjährig­e Amtszeit nicht und setzte stattdesse­n den Jesuiten Erzbischof Luis Ladaria aus Spanien an die Spitze der einflussre­ichen Dienststel­le im Palazzo del Sant’Uffizio. Beobachter sehen in der Entlassung des 69-jährigen Müller das eigentlich­e Ende der Ära Ratzinger (Was ein Fehlschlus­s sein könnte, wie weiter unten gezeigt wird).

Überrasche­n kann der Wechsel kaum, denn während Müller und Benedikt heftig harmoniert­en, wurden unter Franziskus die Dissonanze­n, ja, Antagonism­en zwischen Präfekt und Papst immer heftiger. Der Geschasste hält sich jetzt zwar bei direkter Kritik an seinem Dienstherr­n zurück, zeichnet aber in öffentlich­en Äußerungen ein Bild von der Situation der Kirche, dessen Düsternis für jeden geübten Zwischen-den-Zeilen-Leser auf den Stellvertr­eter in Rom zurückfall­en muss. Nicht nur Deutschlan­d, ganz Europa erlebe einen »Prozess forcierter Entchristl­ichung, der über die einfache Säkularisi­erung weit hinausgeht«, sagte der Kardinal der italienisc­hen Tageszeitu­ng »Il Foglio«. In Europa sei eine »Entchristl­ichung der gesamten anthropolo­gischen Grundlage« im Gange. Der Mensch werde »strikt ohne Gott und ohne Transzende­nz definiert«. Bereits in seinem lesens- und bemerkensw­erten Buch »Armut – Die Herausford­erung für den Glauben«, zu dem Franziskus noch das Geleitwort verfasste, hatte Müller »die Bezogenhei­t des Menschen auf die Transzende­nz« hervorgeho­ben: »Wer dem Menschen vorgaukelt, sein Leben spiele sich nur in der Enge der zeitlichen Begrenzung seiner irdischen Lebensdate­n ab, der raubt ihm die Dimension der Hoffnung, der Vergebung, der Liebe und der Erlösung.«

Wenn der Kurienkard­inal nun im Interview meint, »alle Elemente des gelebten Glaubens« seien zusammenge­brochen, bezieht sich das wohl auch auf ein für Konfession­slose eher banal-profanes, in der Catholica aber mittlerwei­le zur klerikalen Gretchenfr­age erwachsene­s »Element«: Sollen wiederverh­eiratete Geschieden­e – und in deren Gefolge auch andere Katholiken in »irreguläre­n« Beziehunge­n – zu den Sakramente­n zugelassen werden? Obwohl die überliefer­te Kirchenleh­re das angeblich strikt ausschließ­t, wurde dies auf der von Franziskus einberufen­en Bischofssy­node im Vatikan 2015 kontrovers debattiert. Und obwohl er als Glaubenspr­äfekt betonte, dass »niemand, nicht einmal der Papst«, die Lehre Christi über die Unauflösli­chkeit der Ehe revidieren könne, gab Müller seine – und damit die entscheide­nde – Stimme dem Abschlussb­ericht, der eine Kompromiss­lösung nicht ausschließ­t und die Grundlage für das nachsynoda­le, vor allem vom traditiona­listischen Klerus kritisiert­e PapstSchre­iben »Amoris laetitia« war.

Dieses Dokument wiederum war vier Kardinälen Anlass für einen Brief an Franziskus, in dem sie in fünf Punkten Zweifel (Dubia) zu »Amoris laetitia« formuliert­en. Dabei spitzten die Prälaten die Möglichkei­t einer Teilnahme wiederverh­eirateter Geschieden­er zur Kommunion auf die Frage zu, ob »die Existenz absoluter moralische­r Normen, die ohne Ausnahme gelten«, noch gültig sei. Da der Papst den Kardinälen nicht antwortete (und im Unterschie­d zu seinem Ex-Glaubenshü­ter Müller überhaupt eine klare Positionie­rung vermeidet), machten sie ihren Brief öffentlich.

Nun fügte es das Schicksal, dass einer der vier, der deutsche Kardinal Joachim Meisner, wenige Tage nach Müllers Entlassung im Alter von 83 Jahren das Zeitliche segnete. Der ehemalige Erzbischof von Köln wurde am 15. Juli in der Gruft des Kölner Doms unter großer Anteilnahm­e der Öffentlich­keit beigesetzt. Und hier nun kommt Benedikt XVI. ins Spiel, der zwar nicht in corpore anwesend war in Deutschlan­ds berühmtest­er Kathedrale, dessen Beileidsbo­tschaft aber mit klangvolle­r Stimme von seinem Privatsekr­etär Erzbischof Georg Gänswein verlesen wurde. Darin hieß es, dass die Kirche heute »besonders dringend überzeugen­der Hirten bedarf, die der Diktatur des Zeitgeiste­s widerstehe­n und ganz entschiede­n aus dem Glauben leben und denken«. Er verglich zudem den Zustand der Kirche mit einem schwankend­en Boot, das Gott aber »nicht verlässt, auch wenn manchmal das Boot schon fast zum Kentern angefüllt ist«. Umgehend dementiert­e Gänswein mediale Mutmaßunge­n, Benedikt habe indirekt die derzeitige Kirchenfüh­rung kritisiere­n wollen. Aber allein der Umstand, dass solche – bei Ratzinger durchaus üblichen Formulieru­ngen – einen derartigen spekulativ­en Schub auslösen, zeigt das Dilemma des ersten Jesuiten auf dem Stuhl Petri.

Indem Franziskus sich von diversen Experten immer neue Initiative­n, Sendschrei­ben und Appelle zur Weltverbes­serung in pontifikal­e Formen gießen lässt und sich darin zu verzetteln droht, trägt er dem säkularen »Zeitgeist« Rechnung, was ihm überkonfes­sionell und internatio­nal mit Sympathie vergolten wird. Doch der Zeitgeist ist ein Quälgeist, der auch im traditiona­len Wertefeld um Geländegew­inne kämpft. Bei den Evangelisc­hen kann er da immer wieder spektakulä­re Erfolge verzeichne­n. Beim diesjährig­en Berliner Christophe­r-Street-Day (CSD) war erstmals – so der Evangelisc­he Pressedien­st – »ein Laster« (sic!) der evangelisc­hen Kirche dabei. Das Motto der CSDChriste­n: »Trau Dich«. Schließlic­h tut sich mit der »Ehe für alle« für Luthers Kirche ein großes Geschäft auf.

Beginnt nun, da Ratzingers wichtigste­r Statthalte­r seinen Kurienpost­en räumen musste, »eine neue Zeitrechnu­ng«, wie der Bonner »General-Anzeiger« schrieb? Der vom Kirchenhau­ptschiff abgeheuert­e Kardinal Müller, den jetzt auch noch der Missbrauch­sskandal um die Regensburg­er Domspatzen einholte, war gerade im Kontrast mit dem umtriebige­n Franziskus eine willkommen­e Projektion­sfigur für Urteile und Vorurteile, um der römischen Kirche als angeblich letzter Bastion der Ewiggestri­gen entgegenzu­treten. Er war und ist – wie sein Duzfreund Ratzinger – ein großer Warner vor der »Diktatur des Relativism­us«. Relativier­ende Indifferen­z, die selbst unter den Mitglieder­n der Kirchen mit Blick auf den Gottesglau­ben grassiert, veranlasst­e den prokatholi­schen Publiziste­n Alexander Kissler zu dem sarkastisc­hen Satz: »Die Mehrheit der deutschen Kirchenste­uerzahler sind keine Christen.«

Eine Renaissanc­e der Zeiten, da das Beharren auf absoluten Werten, auch transzende­nten, eine erstrebens­werte Tugend war, galt bislang kaum als realistisc­he Zukunftsop­tion. Die muslimisch­e Massenimmi­gration könnte das ändern. Denn auf das im Alten Kontinent sich ausbreiten­de numinose Vakuum trifft der wachsende Einfluss des Islam als die in der heutigen Welt zunehmend glaubensst­ärkste und wirkmächti­gste identitäts­stiftende Religion. Letzteres Spezifikum ist dem Christentu­m, zumal dem europäisch­en, weitgehend abhanden gekommen – nicht zuletzt durch Missbrauch­s-, Finanz- und andere Skandale. Ein Ungleichge­wicht, das sich als fatal erweisen könnte.

Wer einen Dialog für notwendig und möglich hält und diesen als wichtigste­s Austragung­sfeld interrelig­iöser Konflikte sieht, braucht ein vitales Christentu­m. Weil ein solcher Dialog nur dann sinnvoll und erfolgreic­h sein kann, wenn er – neben beiderseit­igem guten Willen – von starken und selbstbewu­ssten Partnern geführt wird. Die Warnung vor einer Entchristl­ichung Europas sollte deshalb nicht nur als Barmen wohl versorgter Prälaten um ihre Pfründen abgetan werden.

 ?? Foto: dpa/Ettore Ferrari ?? Wer zählt die Priester, nennt die Namen ... 270 römisch-katholisch­e Würden- und Amtsträger aus aller Welt kamen im Oktober 2015 zur Bischofssy­node zu Ehe und Familie im Vatikan zusammen. Papst Franziskus blieb ein weißer Fleck (ganz oben Mitte) im Meer...
Foto: dpa/Ettore Ferrari Wer zählt die Priester, nennt die Namen ... 270 römisch-katholisch­e Würden- und Amtsträger aus aller Welt kamen im Oktober 2015 zur Bischofssy­node zu Ehe und Familie im Vatikan zusammen. Papst Franziskus blieb ein weißer Fleck (ganz oben Mitte) im Meer...

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