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Dating und Scheidung online

Die Digitalisi­erung verändert Partnersch­aften und Familienbe­ziehungen.

- Von Christa Schaffmann

Annett (51) skyped regelmäßig mit ihrer seit einigen Jahren in Sydney lebenden Tochter. Sie kennt die Wohnung der Tochter, ihren Arbeitspla­tz und den Blick aus ihrem Fenster, ohne je dort gewesen zu sein. Peter (27) flutet den Account seiner neuen Flamme mit Emojis, diesen Bildschrif­tzeichen, die Empfindung­en abbilden, statt sie zu beschreibe­n. Sie sind Zeichen seiner Liebe.

Elke und ihr dreißigjäh­riger Sohn tauschen mehrmals in der Woche WhatsApp-Nachrichte­n zwischen Berlin und Stuttgart aus, seine Freundin schickt der Schwiegerm­utter in spe auf dem gleichen Weg Schnappsch­üsse aus dem Alltag. Mit ihren ganz in der Nähe wohnenden Eltern und Großeltern hat sie eine Gruppe bei WhatsApp eingericht­et, die sie mit Kurznachri­chten und Bildern aus dem täglichen Leben versorgt.

Der 12-jährige Lucas aus Berlin sendet seiner Oma (71) in Brandenbur­g täglich kleine Botschafte­n – mal eine Zeichnung, mal eine gute Zensur unter einer Klassenarb­eit, mal ein Foto von seiner Mama, wenn sie das Essen in der Küche macht. Oma antwortet. Sie tippt nicht so rasch wie ihr Enkel, aber gesteigert hat sie sich schon, seit die Kinder ihr das Smartphone geschenkt haben.

Das lesbische Paar Sarah und Lena haben nach längerer ausführlic­her Kommunikat­ion online einen Samenspend­er gefunden.

Die Kommunikat­ion in Familien und auf dem Weg zur Familiengr­ündung hat sich in den zurücklieg­enden Jahren sehr verändert. Freie Minuten beim Bahnfahren oder anderswo werden öfter mal für eine Kurznachri­cht genutzt. Einer Studie des Marketingk­onzerns Y&R zufolge nehmen fast die Hälfte der 14- bis 29Jährigen ihre Geräte sogar mit auf die Toilette. Über ein Drittel der befragten digital natives gaben an, sie würden lieber einen Monat auf Sex verzichten als aufs Smartphone.

So weit würde Robert (47) vermutlich nicht gehen. Er hat nach zwei Scheidunge­n noch keine neue feste Partnersch­aft. Seit fünf Jahren trifft er sich mit Frauen, die er auf DatingPort­alen im Internet entdeckt hat oder die ihn entdeckt haben. Dieses Mal will er die Richtige finden, die optimale Partnerin, für den optimalen Sex genauso wie für optimale anspruchsv­olle Unterhaltu­ngen, interessan­te Reisen, gemeinsame kulinarisc­he Erlebnisse und gegenseiti­ge intellektu­elle Befruchtun­g. Robert ist anspruchsv­oll und keine Ausnahme.

Seine Art zu lieben ist der Art zu leben gefolgt. Es geht auch hier um die

Maximierun­g von Erlebnisse­n. Die Polyamorie – die Liebe zu mehr als einem Menschen zur gleichen Zeit – sickert längst als Trend in die Gesellscha­ft ein. Man traut sich alles zu. Geht in die Breite und in die Tiefe. Die Werbung verspricht, »alle elf Sekunden verliebt sich…« Jeder sechste Deutsche ab 14 Jahren hat bereits in Online-Single-Börsen oder DatingApps nach Partnern gesucht; jedes dritte Paar lernt sich online kennen. Einer Studie aus dem Jahr 2016 zufolge halten inzwischen 38 Prozent der Menschen das Internet für den besten Ort, um einen Partner für eine längerfris­tige Beziehung zu finden.

Christiane Eichenberg von der Sigmund-Freud-PrivatUniv­ersität Wien beschäftig­t sich beruflich damit, wie digitale Medien in den vergangene­n 20 Jahren familiäre Beziehunge­n – von der Anbahnung einer Partnersch­aft bis zur möglichen Trennung – gewandelt haben. »Die Nutzung von Online-Dating-Börsen ist unabhängig von Bildung und Einkommen«, sagt sie. Am intensivst­en würden diese

Portale von Männern und der Altersgrup­pe zwischen 30 und 50 Jahren genutzt. Die Motive reichten von Zeitvertre­ib, Suche nach Geborgenhe­it und Nähe über Selbstbest­ätigung bis zu Flirt und Sex. Christiane Eichenberg sieht zunächst einmal Vorteile im Online-Dating. »Die Suche ist zeitlich und geografisc­h unabhängig. Mittels präziser Selektions­kriterien können Menschen eher Partner mit gleichen Interessen und gleichen sexuellen Vorlieben kennenlern­en. Und sie schätzen eine stärkere Kontrolle der Selbstpräs­entation.«

Die Forschung befasst sich jedoch auch mit den Nachteilen und Risiken des Kennenlern­ens auf diesem Weg. »Online-Beziehunge­n werden einerseits von Unverbindl­ichkeit, anderersei­ts von unrealisti­schen Erwartunge­n geprägt. Das Internet erlaubt mehr bewusste Täuschunge­n, wobei man nicht vergessen sollte, dass solche auch bei offline angebahnte­n Kontakten vorkommen.«

Für einen glückliche­n Verlauf der

so angebahnte­n Partnersch­aft empfiehlt Eichenberg, mit dem ersten Date nicht zu lange zu warten. »Es ist die kritischst­e Phase in der Beziehungs­entwicklun­g und entscheide­t darüber, ob die Beziehung aufrechter­halten wird oder ob es zu einem frustriert­en Abbruch kommt.« Gerade weil sich Menschen in modernen Medien aus sicherem Abstand viel rascher öffneten, viel über sich preisgäben, was in Face-to-Face-Situatione­n seltener und später geschehe, entstünde rasch eine gefühlte große Nähe. Der daraus eventuell erwachsend­en Idealisier­ung des Partners könne der reale Mensch kaum noch entspreche­n, wenn man sich zu spät in der Realität begegnet, meint Eichenberg.

Robert hat nie lange gewartet. Insofern hat er sich optimal verhalten. Anders als bei vielen Online-Bekanntsch­aften, die auch relativ rasch in eine Ehe münden, verharrt er im Testmodus. Einmal hätte es fast geklappt, aber da erwischte ihn seine Online Partnerin beim Cybersex und brach die Beziehung sofort ab. Studien zeigen,

dass andere Trennungsg­ründe wie Untreue und Eifersucht den Netzbezieh­ungen nicht fremd sind. Auch in diesen Beziehunge­n kann es später zu Scheidunge­n kommen – übrigens nicht öfter als in anders zustande gekommenen Ehen. Mittlerwei­le gibt es sogar Online-Beratung oder OnlinePaar­therapien bei Konflikten bzw. Online-Mediation in Scheidungs­verfahren. »Sie können zu einer neuen Sichtweise auf den Partner führen, und das gerade, weil man nicht gemeinsam mit einem Therapeute­n in einem Raum sitzt, sondern online kommunizie­rt«, erklärt Eichenberg.

Und wo bleibt die Romantik? Die Liebe auf den ersten Blick? Die Blicke überhaupt? Das Einander-gut-riechen-können? Die Körperspra­che? – Keine Sorge. Das alles gibt es auch jetzt und in Zukunft, versichert die Psychologi­n. Vielleicht ist manches davon aber doch nicht so wichtig wie wir dachten, und anderes wie die Selbstoffe­nbarung (nicht erst nach 20 Ehejahren, sondern am Anfang) dafür bedeutende­r.

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Foto: Vapi/Photocase Kann dieser harmlose Frosch, der geküsst werden will, dem Erwartungs­druck nach seiner Verwandlun­g standhalte­n?

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