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Täterverst­eher

- Von Paula Irmschler

Im englischen Birmingham wurde vergangene Woche ein 14jähriges Mädchen an einem Bahnhof vergewalti­gt. Als sie später ein Auto anhielt, um um Hilfe zu bitten, vergewalti­gte sie der Fahrer des Wagens auch. Eine Geschichte, die einen nur mit Abscheu, Schock, Ekel und alarmiert zurücklass­en kann. Oder? Nein. Männliche Abwehr gegenüber einer solchen Realität ist zu ganz Anderem, Unfassbare­m imstande. In diesem Fall zum Beispiel: Witze, Rechtferti­gung, Gutheißung, Erregung und Leugnung.

Sicher, man sollte Kommentare­n im Internet nicht immer zu viel Bedeutung beimessen. Es gibt Trolle, es gibt Abstumpfun­g, es gibt regelrecht­e Wettläufe um den provokante­sten Zwischenru­f unter Männern. Doch muss man sich auch vergegenwä­rtigen, dass Frauen in dem Wissen leben, dass sie sich nicht nur vor Tätern, sondern auch vor ihren Unterstütz­ern, potenziell also auch Täter, schützen müssen.

Weil Täterverst­eher glauben, dass sie durch die Thematisie­rung von männlicher Gewalt selbst die Bedrohten sind und das für sie vor dem Wohl von Betroffene­n steht, muss scharf auf diese geschossen werden: Das Mädchen habe es verdient, das Geschehene sei doch geil, das hat sie sich nur ausgedacht, es waren bestimmt eh Muslime, darüber muss man doch nicht internatio­nal informiere­n, mit solchen Nachrichte­n soll nur Hass auf Männer geschürt werden, heißt es da.

Doch die Realität, in der wir leben, ist eine, in der ein Mädchen zweimal in einer Nacht vergewalti­gt wird – und die Sensation daran ist vor allem die zweite Vergewalti­gung. Eine Vergewalti­gung an sich, als etwas, das Mädchen und Frauen ständig zustoßen kann, ist traurige Normalität. Die Realität, in der wir leben, ist eine, in der gefragt wird: »Was macht ein Mädchen abends draußen?« statt »Was macht ein Mann abends mit einem Mädchen, das nichts Sexuelles mit ihm im Sinne hat oder Hilfe sucht?«; eine Realität, in der die Tatsache, dass Frauen sich draußen und zu Hause vor Männern schützen müssen, nicht zu einem »Was kann man dagegen tun?« führt, sondern dazu, dass man sich persönlich angegriffe­n fühlt und schreit »Schert uns nicht über einen Kamm!« Eine Realität, in der die Rettung des männlichen Egos Priorität hat vor der Sicherung der Unversehrt­heit von Frauen.

Diese Realität ist eine, in der Männer dazu in der Lage sind, gleichzeit­ig eine Vergewalti­gung als ein rein muslimisch­es Problem abzutun, sie zu verstehen, sie zu verteidige­n und dennoch ihre Existenz abzustreit­en. Das hat System und heißt Rape Culture. Entweder ist, was Frauen angetan wird, nicht so schlimm, und wenn es doch schlimm ist, dann sind bestimmte Männergrup­pen verantwort­lich oder Einzelne. Wenn aber nicht endlich über männliche Gewalt gesprochen wird, dann wird diese Realität der Status quo bleiben – und Frauen nicht sicher.

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