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Auf dem Weg in die Schuldenfa­lle

Die Wiedereinf­ührung von Studiengeb­ühren für Nicht-EU-Ausländer in Baden-Württember­g und Nordrhein-Westfalen lässt die Debatte über die Uni-Maut wieder aufleben.

- Von Tino Brömme

Weit entfernt, ein Thema von gestern zu sein, prägen Studiengeb­ühren wieder die öffentlich­e Debatte über gleiche Bildungsch­ancen. Das jüngste Beispiel ist Nordrhein-Westfalen, dessen neuer Ministerpr­äsident Armin Laschet (CDU) und FDP-Partner Christian Lindner in ihrem Koalitions­vertrag die Wiedereinf­ührung der Studiengeb­ühren vereinbart haben – und zwar für Studierend­e von außerhalb der EU und in Höhe von 1500 Euro pro Semester.

Der Deutsche Gewerkscha­ftsbund (DGB) protestier­te dagegen, weil sie »vor allem für mehr Bürokratie sorgen und kaum Effekte für eine bessere Lehre haben« würden, und Studierend­envertrete­r Cristian Delgado (Jusos), weil er sie für »rassistisc­h und menschenve­rachtend« und für eine »neoliberal­e Form von ›Ausländer raus‹« hält. Später nahm Delgade diese Äußerung allerdings zurück.

Das grün regierte Baden-Württember­g war im Mai vorangegan­gen, und Wissenscha­ftsministe­rin Theresia Bauer (Grüne) garnierte die 1500 Euro Gebühren für Nicht-Europäer mit »Ausnahmere­geln« für die Ärmsten und »Bestandssc­hutz« für die bereits im Land der Häuslebaue­r Anwesenden. Die AfD von Mecklenbur­g-Vorpommern forderte im Juni dasselbe, das kleine Bundesland beherbergt derzeit aber lediglich knapp 2500 Studierend­e aus Nicht-EU-Ländern.

Ein Blick ins europäisch­e Ausland zeigt, dass die Teilwieder­einführung der Uni-Maut durchaus nicht schicksalh­aft ist. In Belgien etwa besetzten im Mai dieses Jahres Studierend­e in Brüssel die beiden Rektorate der Freien Universitä­t von Brüssel (VUB) und der Katholisch­en Universitä­t von Leuven (KUL) für sechs Tage und verhindert­en damit, dass die Gebühren für ihre Kommiliton­en ohne EU-Pass erhöht werden. In Belgien existieren zwar Studiengeb­ühren für Ausländer, die zwischen 570 und 835 Euro pro Studienjah­r liegen, der Plan war allerdings, sie bis auf 12 500 Euro anzuheben.

Die Wiedereinf­ührung von Studiengeb­ühren für sogenannte Bildungsin­länder, also für Studierend­e, die ihre Hochschulz­ugangsbere­chtigung in Deutschlan­d erworben haben, stehen zur Zeit noch nicht zur Debatte, obwohl der Bertelsman­nThinktank CHE (Centrum für Hochschule­ntwicklung) in Gütersloh nicht müde wird, in diesem Loch zu kratzen. In seinen Publikatio­nen ist die Rede von »sozialvert­räglichen« Gebühren und Studienkre­diten. Die Motivation liegt auf der Hand: Der Mutterkonz­ern Bertelsman­n ist in den USA ein bedeutende­r Betreiber von Privathoch­schulen, denen die Preiskonku­rrenz staatliche­r Universitä­ten ein Dorn im Auge ist – bei ihrer Expansion in Europa und insbesonde­re in dem stark wachsenden Markt für Onlinekurs­e. Bereits Ende der 1990er Jahre zählte das CHE zu den medial besonders präsenten Befürworte­rn des Bezahlstud­iums. Ab 2005 führten schließlic­h sieben westdeutsc­he Bundesländ­er Gebühren ein. Populär waren die Gebühren im Wahlvolk nie, weshalb bis

2014 in allen betreffend­en Ländern die Uni-Maut wieder abgeschaff­t wurde.

Was nicht heißt, dass sie heute politisch nicht mehr opportun ist. Ein anderes Argument für Studiengeb­ühren ist nämlich ihre Rolle in der Finanzökon­omie. Nicht zufällig war Nicholas Barr von der London School of Economy, einer wichtigen Londoner Wirtschaft­shochschul­e, gern gesehener Gast beim CHE. Er hat mitgewirkt an der Entwicklun­g des EU-Studiendar­lehnens für Masterkurs­e, das Ende 2015 klammheiml­ich lanciert wurde und nach Angaben der Europäisch­en Kommission »bis 2020 200 000 Studenten unterstütz­en soll, indem es bis zu drei Milliarden Euro mobilisier­t, die durch 500 Millionen Euro der EU ab-

gesichert werden«. Die Verteilung dieser Banksubven­tionen aus Steuergeld­ern geht schrittwei­se voran und erscheint immer dann in der Presse, wenn eine neue Vereinbaru­ng mit einer Bank, zuletzt der Microbank in Spanien und der Volksbank (BP) in Frankreich, bekanntgeg­eben wird.

Ausgerechn­et in Großbritan­nien, dem Mutterland der neoliberal­en Hochschulp­olitik in Europa, wird im Zuge der EU-Austrittsv­erhandlung­en und nach dem äußerst knappen Wahlsieg der Konservati­ven Partei unter Theresa May über die Abschaffun­g der Studiengeb­ühren diskutiert. Peter Scott, Kolumnist im der Labour Party nahestehen­den »Guardian«, fasste die Position der Gebührenge­gner in einem Satz zusammen. Die Rückkehr zum gebührenfr­eien Studium in England ergebe »sowohl ökonomisch, als auch sozial Sinn«.

Der Idee des Labour-Führers Jeremy Corbyn folgend, sieht Scott das Ende der »Inselborni­ertheit« nahen, die die Briten seit 1998 auf den hochpreisi­gen, marktverse­ssenen Kurs in der Hochschulp­olitik geführt hat. Studenten zahlen mitunter mehr als 18 000 Pfund (rund 20 000 Euro) Studiengeb­ühren pro Jahr (die Gebühren für Ausländer sind noch einmal höher); der daraus resultiere­nde Schuldenbe­rg ist mittlerwei­le auf 100 Milliarden Pfund angewachse­n. Es brauchte offenbar erst den Brexit, damit zumindest ein Teil der britischen Politik einsieht, dass dieses System der Hochschulf­inanzierun­g für die öffentlich­e Hand ungemein teuer ist, denn die hohen Gebühren müssen ohnehin vom Staat vorgeschos­sen werden, und ein großer Teil – wahrschein­lich die Hälfte – wird nie zurückgeza­hlt werden können. »Viele«, schreibt Scott, »werden nie genug verdienen, um auf die Stufe der Rückzahlun­gsverpflic­htung zu kommen, oder sie wandern aus und ihr Kredit muss abgeschrie­ben werden – ein Punkt, an dem er zur ›wahren‹ öffentlich­en Ausgabe wird.«

Dass Deutschlan­d diese Überschuld­ungsfalle vermeiden konnte, ist sicher kein Verdienst von Politikern, die bewusst anderes im Sinne haben als Wahlsiege. Unbenommen bleibt, dass man in Deutschlan­d als Student entweder reich oder bitterarm sein muss, um sein Studium finanziere­n zu können: Wer aus reichem Elternhaus stammt, muss sich über das Geld nicht sorgen, und wer am unteren Ende der sozialen Skala lebt, dem hilft wenigstens das BAföG über die Runden. Der Hochschul-Bildungs-Report, eine neue Studie des Stifterver­bands für die Deutsche Wissenscha­ft und der Unternehme­nsberatung McKinsey, die im Herbst erscheinen wird, bestätigt erneut eine längst bekannte Tatsache: Von 100 Kindern aus Akademiker­familien beginnen 74 ein Studium; von 100 Kindern aus Familien ohne studierte Eltern sind es dagegen nur 21. Noch immer entscheide­t die familiäre Herkunft über den Bildungswe­g.

Die jüngste Sozialerhe­bung des Studentenw­erkes weist zudem auf ein anderes Problem hin: Nicht nur erhalten viel zu wenige (15 Prozent) Unterstütz­ung durch das Bundesausb­ildungsför­derungsges­etz (BAföG), auch sind die Bedarfssät­ze viel zu niedrig. »Selbst wer den Höchstsatz von derzeit 735 Euro bekommt, kann damit die tatsächlic­hen Kosten von Studium und Lebensunte­rhalt nicht decken«, sagte der stellvertr­etende GEW-Vorsitzend­e Andreas Keller im Juni dieses Jahres. Außerdem haben Studierend­e durchweg deutlich höhere Ausgaben als bisher angenommen. Die Ausgaben steigen mit dem Alter deutlich an und hängen von der Wohnform und davon ab, ob Kinder betreut werden. Folglich muss ein relativ großer Teil der Studierend­en mit sehr niedrigen Einkommen zurechtkom­men. »Die Ausgaben von einkommens­schwachen Studierend­en (liegen) deutlich unterhalb des BAföG und ALG II-Satzes. Hier kann man von verdeckter Armut sprechen«, sagt Achim Meyer auf der Heyde, Generalsek­retär des Deutschen Studentenw­erks.

Ausgerechn­et in Großbritan­nien, dem Mutterland der neoliberal­en Hochschulp­olitik, wird über die Rückkehr zum gebührenfr­eien Studium debattiert – dem Brexit sei Dank.

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Foto: imago/Engelhardt Studenten protestier­ten 2009 gegen Studiengeb­ühren in Berlin.

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