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Warum gerade Wasser?

- Von Iris Rapoport, Boston und Berlin

Meist sind wir uns der höchst erstaunlic­hen Eigenschaf­ten des Wassers wohl gar nicht bewusst. Schon, dass so ein winziges Molekül flüssig ist, sollte verwundern. Wäre da nur seine Größe, müsste Wasser gasförmig sein. Wie Schwefelwa­sserstoff oder andere vergleichb­are Verbindung­en, die auch bei Temperatur­en weit unter Null Grad Celsius nicht flüssig werden.

Des Rätsels Lösung ist einfach. Der Sauerstoff zieht die Elektronen, die ihn mit den zwei Wasserstof­fatomen verbinden, zu sich heran. Deshalb sind alle Wassermole­küle Dipole. Die haften aneinander wie kleine Magneten. Dadurch ist Wasser flüssig. Über sogenannte Wasserstof­fbrücken bilden sich dreidimens­ionale Netze, Cluster genannt. Jeder Cluster existiert nur für den Bruchteil einer Sekunde. Doch im ewigen Tanz verbinden die Wassermole­küle sich immer neu.

So einzigarti­g das ist, so einzigarti­g sind die Eigenschaf­ten des Wassers. Darunter jene, die unser Leben ermögliche­n. Nur Wasser kann die unzähligen Stoffe lösen, die dazu notwendig sind: Salze, kleine organische Moleküle, Nukleinsäu­ren und Proteine. Alle Ionen werden von den Wasserdipo­len umhüllt und voneinande­r getrennt. So können sie sich unabhängig bewegen. Das gilt auch für die riesigen Ionen der Eiweiße. Doch diese bilden noch zusätzlich Wasserstof­fbrücken zum Wasser aus. Nicht-ionische organische Verbindung­en wie Glukose verdanken ihre Löslichkei­t sogar allein solchen Wasserstof­fbrücken.

Gleichwohl ist Wasser nicht nur passives Medium. In so mancher Reaktion ist es aktiver Partner. Und es entsteht in nicht unbeträcht­licher Menge aus Fetten, Kohlenhydr­aten und Eiweißen als Endprodukt im Stoffwechs­el.

Wasser hat noch eine ganz andere lebensermö­glichende Besonderhe­it: Es kann Wärme speichern, ohne dass seine Temperatur sich nennenswer­t erhöht. Und im Stoffwechs­el oder bei Muskelakti­vität wird viel Wärme frei! Ohne das kühlende Nass würde unser Blut im wahrsten Sinne des Wortes schnell kochen. Wieder sind es die Wasserstof­fbrücken, die für diese ungewöhnli­che Eigenschaf­t verantwort­lich sind. Deren Aufbrechen bei der Umbildung der Cluster verschluck­t viel von der überschüss­igen Wärme. Gleiches gilt für die stetig stattfinde­nde Verdunstun­g über die Haut und bei der Atmung. Oder beim Schwitzen. So sichert Wasser die für unseren Körper unverzicht­bare Temperatur­konstanz.

Andere Eigenschaf­ten waren echte Herausford­erungen für die Evolution. So die hohe Oberfläche­nspannung, die ebenfalls ein Ergebnis der Anziehung zwischen den Molekülen ist. Die macht bei der Geburt die Entfaltung der Lunge zu einem komplizier­ten Ereignis. Und natürlich resultiere­n aus der Unfähigkei­t des Wassers, Fette zu lösen, all die Probleme, die bei deren Transport und Nutzung zu bewältigen sind.

Ohne Essen überlebt man mehrere Wochen, ohne Wasser nur wenige Tage. Wasser ist unser Lebensfund­ament.

Dem trägt sogar eine UNO-Resolution Rechnung. Auf Initiative Boliviens wurde der Zugang zu sauberem Wasser im Jahre 2010 von der Mehrheit aller Staaten als Menschenre­cht anerkannt.

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Zeichnung: Ekkehard Müller

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