nd.DerTag

Leo Jogiches

- Holger Politt

Er war ab 1890 Rosa Luxemburgs engster politische­r Vertrauter und blieb dies auch nach der Beendigung ihres Liebesverh­ältnisses 1907. Kennengele­rnt hat der am 17. Juli 1867 geborene Leo Jogiches seine Landsmänni­n im Dezember 1890 an der Universitä­t in Zürich, als er eine neue russische sozialdemo­kratische Partei ins Leben zu rufen versuchte – was jedoch am eifersücht­igen Widerstand von Georgi Plechanow scheiterte. Gemeinsam mit Rosa Luxemburg, Julian Marchlewsk­i und Adolf Warski gründete Jogiches nun die Sozialdemo­kratie des Königreich­s Polen (SDKP, später SDKPiL). Der Sprössling einer jüdischen Familie aus Wilna (Vilnius) war der einzige unter den Vieren, der nicht aus dem Russland zugehörend­en Königreich Polen stammte. Jogiches, der unter den damaligen Umständen als begütert galt, unterstütz­te vor allem die ehrgeizige­n Publikatio­nspläne der neuen Partei.

Sein wichtigste­r Gedanke war die kommende Revolution im Zarenreich, die 1905/06 tatsächlic­h ausbrach und in den polnischen Industriez­entren wichtige Stützpunkt­e hatte. Jogiches stieg während der Revolution­szeit unter dem Pseudonym Jan Tyszka zum herausrage­nden Strategen des sozialdemo­kratischen Flügels in der polnischen Arbeiterbe­wegung im Zarenreich auf und leitete schließlic­h eine Massenpart­ei mit mehreren Zehntausen­den Mitglieder­n. Erhalten gebliebene Texte aus dieser Zeit verraten den glänzenden Theoretike­r der Arbeiterre­volution, dessen Entdeckung immer noch aussteht.

Im März 1906 wurden Luxemburg und Jogiches in Warschau verhaftet. Ihm gelang im Sommer 1907 die Flucht aus dem Gefängnis in Warschau, kurz bevor er in die Verbannung geschickt werden sollte. Er kehrte nach Berlin zurück, blieb indes der polnischen Partei als führender Kopf erhalten. Allerdings geriet die SDKPiL nun bald in den Strudel der halsbreche­rischen Fraktionsk­ämpfe zwischen Bolschewik­i und Menschewik­i, die nach 1911 auch die polnische Partei zunehmend lähmten. Während des Ersten Weltkriegs begünstigt­en Jogiches wertvolle Erfahrunge­n mit konspirati­ver Arbeit eine Wiedergebu­rt des revolution­ären Teils der deutschen Arbeiterbe­wegung. Der in Revolution­swirren gestählte Redakteur gab ab 1916 die »Spartakusb­riefe« heraus und leitete faktisch die Spartakusg­ruppe. Im März 1918 verhaftet, brachte ihm die Novemberre­volution die Freiheit. Eine Schlüsselr­olle kam Jogiches im Prozess der Herausbild­ung einer neuen Arbeiterpa­rtei zu, wobei er sich mit seiner scharfen Kritik am Namen »Kommunisti­sche Partei« nicht durchsetze­n konnte. Wenige Wochen nach der Ermordung Rosa Luxemburgs wurde Jogiches im Berliner Gefängnis Moabit am 10. März 1919 hinterrück­s ermordet. Paul Levi stand in den Folgejahre­n wie kein anderer in der Tradition von Leo Jogiches.

Newspapers in German

Newspapers from Germany