Barfuß in der Lederhose
Auftritt der Volksmusik-Rebellen: Brass-Bands sind beim zumeist jungen Publikum beliebt. Braves und volkstümliches Bumsfallera klingt anders. Ein Besuch in München.
Die Tuba brummt und wummert. Trompeten, Hörner und Posaunen schmettern, Saxofone krächzen. Menschen hüpfen, springen, schwitzen. Aus Scheinwerfern zucken Farbexplosionen in rot, gelb und blau.
Beim Brass Wiesn Festival auf einer zwei Fußballfelder großen Wiese im Norden von München tummeln sich fast 1000 Menschen. Ein Festzelt, Heuballen, landwirtschaftliches Gerät, Almhütten und alte Traktoren sind die dörfliche Kulisse für die rundum erneuerte Blasmusik am Echinger See. An Tischen mit Blick auf Koppeln und Weizenfelder werden Steckerlfisch, Hendl und Haxn serviert. Wer hier aber bierseliges Bumsfallera oder Ohrwürmer von Ernst Mosch erwartet, wird enttäuscht. »Brass Wiesen« (Brass: englisch für Messing) ist eine moderne, eine flippige und noch nicht schubladenfähige Kreation der Blasmusik, die von Nordamerika nach Europa schwappte.
Kapellen und Orchester aus den USA, vom Balkan, aus Österreich und Böhmen heizen zusammen mit bayerischen Lokalmatadoren ihrem im Durchschnitt 35 Jahre jungen Publikum seit Donnerstag ein. Das Festival ist ein krachendes Crossover aus Volksmusik, Funk, Hip-Hop, Reggae, Rap und New York Jazz. Die Musik schafft beides, sie lässt die fetzige Blechmusik nach Heimat und weiter Welt klingen.
»Die einen schnupfa, die andern dringa, die andern hupfa, die andern springa«, stimmen Hunderte Kehlen in den geblasenen Hip-Hop der selbst ernannten Dampfplauderer von »Dicht & Ergreifend« ein. Später blasen »Josef Menzl«, »Dzambo Agusevi Orchestra«, »Tanzlmusi« und »Folkshilfe« ungestüm gegen den braven, gefälligen Heimatsound aus dem Land der Weißwürschtl und Watschenplattler an.
Am Rande wilder TrompetenStakkatos und polternder Schlagzeuge bekennt sich Brass-Wiesen-Veranstalter Alexander Wolff zur Blasmusik als bayerische Volkskunst. Gut. Aber auch traditioneller Kunst darf mal der Marsch geblasen und ein zeitgemäßes Outfit verpasst werden, davon ist er überzeugt. Mit dem Anschlagen lauterer Töne ändert sich auf der Bühne zugleich die Kleiderordnung. Wolff erinnert an frühe Auftritte der bekanntesten Brass-Band »LaBrassBanda« um Trompeter Stefan Dettl: »Die standen auf einmal barfuß in Lederhose oder Shorts auf der Bühne und zelebrierten ihren ›Alpen Jazz Techno‹ als Neue Volksmusik. Niemand hatte etwas dagegen, alle fanden das cool«, sagt Wolff.
Gebügeltes Hemd, Filzhut und Wadenwärmer waren bislang ein unumstößliches Muss für Blasmusiker. Und jetzt? Die Buam und Madln auf der Brass Wiesn scheren sich einen »Deifi« um die Kleiderordnung, tragen die Trachtenstücke lässig kombiniert mit Turnschuhen und T-Shirts. Oder sie kommen in ausgefransten Jeans, bauchfrei mit engen Leggins, wehenden Röcken und Safari-Shorts.
Ein Festival für Brassmusik, abseits von Humbatätärä im Bierzelt, ist Alexander Wolffs musikalische Marschrichtung. Wenn er von »Volksmusik« spricht, meine er damit keinen volkstümlichen Heile-Welt-Musikantenstadl. Er wolle einer neuen Generation von Bläsern ein Podium geben, die auch Moll-Akkorde spielen, weil die Welt nicht nur ein seichter Schunkel-Reigen, sondern laut, traurig, wild und unberechenbar sei. »Schauen Sie mal in die Trachten- und Burschenvereine«, rät er. »Die dort aktiven jungen Leute feiern ebenso auf Elektrofestivals, auf Rock-, Jazzund Hip-Hop-Konzerten.«
Und wer viel tanzt, dem wird warm. Wie praktisch, dass unmittelbar neben der Festivalwiese ein See Abkühlung garantiert. Musikfans teilen sich im August mit Ausflüglern den Campingplatz und die Liegewiesen auf dem idyllisch gelegenen Freizeitgelände. Wer nicht von München mit der S-Bahn anreist, findet auf großflächigen Wiesen ausreichend Parkplätze.
Zusammenrücken müssen jeden ersten Donnerstag im Monat auch Gäste beim Altenauer Dorfwirt. Alte und Junge, Männer und Frauen säumen dann die rustikale Stube oder den Biergarten vor dem Gasthof im oberbayerischen Pfaffenwinkel. Dass außer Bewohnern des 700-SeelenDorfs auch Städter aus Berlin, Frankfurt oder Bielefeld kommen, ist für Florian Spiegelberger und seine Frau Izabella Bestätigung für einen ungehemmten Umgang mit Blasmusik sowie der Rückkehr einer fast vergessenen Wirtshaustradition.
Spiegelberger geht es um das »Original«, um das Wiederbeleben von Tradition. Ganz gleich, ob drinnen oder draußen. Im Wirtshaus sei es gemütlich, bei den Volksmusikern auf den großen Bühnen wuchtig und frech. Beides könne nebeneinander bestehen. Aus gegenseitigen Impulsen entstehe Weiterentwicklung, ist der Dorfwirt überzeugt. Die Blasmusik in den Städten und Dörfern bekomme plötzlich Zulauf, weil die Jugend ihren Bühnenhelden nacheifern will. Und so dürfen Brass-Wiesn-Initiator Alexander Wolff wie auch Spiegelberger mit ihrem Bekenntnis zur Musiktradition für sich in Anspruch nehmen, ein Stück alpenländischer Volkskunst neues Gehör zu verschaffen.
Das freut nicht zuletzt das Handwerk. Vom 12. bis zum 16. Jahrhundert war Nürnberg weltweit eine Hochburg, in der Instrumentenmacher Blasinstrumente aus Messing bauten. Posaune und Klarinette wurden hier sogar erfunden. Einer der bekanntesten Instrumentenbauer ist Christoph Endres. Viele aus seiner Sparte gibt es in Deutschland nicht mehr. In Bayern arbeiten aber immer noch rund 60 Meister seines Metiers, und jährlich fangen etwa sechs junge Menschen die Berufsausbildung an.
Ein Dutzend Modelle hängen im Laden des Nürnbergers. Die Kunden testen ein Blechinstrument und bestellen. Erst dann beginnt der Meister zu bauen. 40 Stunden Arbeitszeit investiere er in eine Trompete. Das Resultat unterscheide sich hörbar von Fabrikproduktionen, die im Akkord zusammengebaut werden. Die »Ansprache« bei handgefertigten Trompeten oder Hörnern sei hörbar besser. Der Ton komme sofort, die Instrumente seien viel härter. So entstehe eine stärkere Spannung und es gelingen mehr Obertöne.
Zuweilen gelingt der Weg von Wirtshaus und Wiese sogar bis in die Münchener Staatsoper, wie die musikalische Laufbahn von Christian Loferer zeigt. Früher gingen Musiker noch von Haus zu Haus und fragten an der Haustür, wer Interesse habe ein Instrument zu lernen. Christian sagte »Ich!«. Bereits mit zwölf Jahren blies er in traditionellen Blaskapellen das Horn, studierte an der Musikschule Grassau am Chiemsee und spielte mit »LaBrassBanda«-Frontmann Stefan Dettl in einem Brassquintett bis er ins Bayerische Staatsorchester wechselte.
Die neuen Spielformen der Blasmusik, der Brass-Bands wie »Kellerkommando« oder »Moop Mama« finde er »richtig gut«. »Ehrliche Blasmusik kommt aus einem Gespür von Heimat«, ist der Musiker überzeugt. Sie sei von Kuhglocken, vom Anblick der Alpen, vom Wandern in Tälern und Wäldern beeinflusst. Seine Wurzeln dürfe der Mensch nicht kappen, findet er: »Ich pflege immer noch die Tradition der Blasmusik.« Lasse es der Zeitplan zu, ziehe er einfach Lederhose oder Jeans an und geselle sich zu den Musikern auf die Bühne. »Das ist mir alles sehr vertraut.«
Auf dem Brass Wiesn Festival steigt mit untergehender Sonne die Stimmung. »Sunnseitn« und »Schotterblosn« lassen das Publikum toben. Die 28-jährige Tanja stampft den hämmernden Sound mit. Manchmal streckt sie einen Arm in den blauen Abendhimmel und dreht sich im Kreis. Blasmusik sei für sie künftig eine Dance-Partyoption. Weiterentwicklungen in der modernen Musik gebe es immer wieder. Doch das hier sei anders neu: irgendwie »anschlussfähig neu«, sagt sie.
»Die standen auf einmal barfuß in Lederhose oder Shorts auf der Bühne und zelebrierten ihren ›Alpen Jazz Techno‹ als Neue Volksmusik. Niemand hatte etwas dagegen, alle fanden das cool.« Alexander Wolff, Brass-Wiesen-Veranstalter
Brass Wiesn Festival: bis 6. August am Echinger See bei München, Garchinger Straße, Informationen und Tickets: www.brasswiesn.de