Netanjahu in Nöten
Israels Ministerpräsident reagiert auf juristische Bedrängnis mit einem Sprung nach rechts
Die Korruptionsvorwürfe gegen Israels Regierungschef erhärten sich; eine Anklage wird immer wahrscheinlicher. Doch Netanjahu gibt sich gelassen und legte den Grundstein für eine neue Siedlung. Die Ermittlungen gegen Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu laufen noch. »Doch der Premier hat bereits damit begonnen, sein Plädoyer vor dem Gericht der öffentlichen Meinung zu sprechen«, fasste ein Kommentator des israelischen Militärrundfunks Galei Zahal zusammen: In Beitar Illit, einer südwestlich von Jerusalem gelegenen Siedlung legte er am Donnerstag den Grundstein für ein komplett neues Stadtviertel mit 1100 Wohnungen; auch eine neue Straße, die die Fahrtzeit nach Jerusalem verkürzt, soll gebaut werden.
Ursprünglich hatte der erste Spatenstich ohne die Anwesenheit des Regierungschefs stattfinden sollen. Denn bislang war es Praxis, dass Netanjahu zwar Baumaßnahmen in Siedlungen freien Lauf ließ, sich aber selbst öffentlich so weit davon fernhielt, dass ihm weder die internationale Gemeinschaft noch potenzielle Koalitionspartner aus der Linken oder dem Zentrum oder die dem Siedlungsbau kritischer gegenüber stehenden Teile der eigenen Partei vorwerfen konnten, er habe sich endgültig dem Siedlerlager angeschlossen, von der Zweistaatenlösung verabschiedet.
Doch in der vergangenen Woche ist in der Ära Netanjahu eine neue Zeitrechnung angebrochen. Seit Monaten schon wird gegen »Bibi«, wie ihn seine Anhänger nennen, ermittelt. Die Liste der Vorwürfe ist lang, sie reicht von Geschenken US-amerikanischer Milliardäre an ihn und seine Familie bis hin zu einem Gespräch mit Amnon Moses, Verleger der Zeitung »Jedioth Ahronoth«, in dem Netanjahu angeboten haben soll, der millionenfach verteilten Gratiszeitung »Jisrael HaJom« Restriktionen aufzuerlegen, wenn »Jedioth Ahronoth« sich zu einer für Netanjahu freundlicheren Berichterstattung bereit erklären sollte.
In der vergangenen Woche wurde nun bekannt, dass Ari Harow, Ex-Bürochef Netanjahus, einen Deal mit der Staatsanwaltschaft geschlossen hat: Um dem Gefängnis zu entgehen, sagte Harow gegen Netanjahu aus; unmittelbar danach ließen die Ermittler eine gerichtliche Nachrichtensperre verhängen – und teilten auf diese Weise der Öffentlichkeit mit, dass die Vorwürfe gravierend sind und eine Anklage wohl bevor steht.
Zwar gibt sich Netanjahu nach außen hin gelassen, und folgt ganz dem Beispiel Donald Trumps. Eine »linke Verschwörung« sei das, es würden bewusst »falsche Nachrichten« verbreitet, sagte er mehrmals, während sich unter den Abgeordneten seines Likuds gerade einmal zwei dazu be- Benjamin Netanjahu, Premier reit fanden, diese Ansagen öffentlich zu wiederholen. Mindestens zehn andere Likudnikim indes erklärten, sie würden das derzeit nicht so sagen. Mehrere erinnerten auch daran, dass die Führungen von Polizei und Staatsanwaltschaft, die nun die Ermittlungen mit erheblichem Personalaufwand vorantreiben, von Netanjahu ernannt wurden.
Mit seinem Auftritt in Beitar Illit, einer Siedlung mit 46 000 Einwohnern, die überwiegend ultra-orthodox sind, ist Netanjahu nun rechts abgebogen, hat direkt vor der Tür von Siedlerbewegung und religiösen Parteien angehalten. »Keine Regierung hat jemals mehr für die Besiedlung des Landes Israel getan«, sagte Netanjahu, und wählte dabei Begriffe mit starker nationalistischer und religiöser Konnotation. Denn Netanjahu will auch im Falle einer Anklage nicht zurücktreten und damit eine goldene Regel der israelischen Politik brechen. Ein Gericht werde wohl keinen amtierenden Regierungschef verurteilen, heißt es aus Netanjahus Umfeld, man strebe eine Vereinbarung mit der Staatsanwaltschaft an, die eine Geldstrafe beinhaltet und es Netanjahu erlauben würde, im Amt zu bleiben. Dass der Regierungschef nun den Schulterschluss mit den rechten Koalitionspartnern sucht, sich als alternativlos für das Siedlungsprojekt darstellt, soll zudem verhindern, dass ihn die eigenen Partner zu Fall bringen, indem sie das Bündnis verlassen und Neuwahlen forcieren. Der Likud selbst hat nur 23, 4 Prozent der Wählerstimmen und 30 von 120 Parlamentssitzen.
»Keine Regierung hat jemals mehr für die Besiedlung des Landes Israel getan.«