Schönheit und Schrecken
An diesem Montag feiert die Kunstwelt Emil Noldes 150. Geburtstag
Er, 1867 geboren als Sohn eines Bauernpaares im Dorf Nolde in Nordschleswig, zählt zu den Großen, die die Malerei vorangebracht haben. Bücher sagen, er habe die Romantik früh hinter sich gelassen, um endlich zu den wirklichen Schönheiten der Welt, gemischt mit deren Schrecken, vorzustoßen. Damals sogar als Avantgardist in technischen wie gestalterischen Belangen tituliert, gibt es bei ihm etwas höchst Merkwürdiges: Die technischen Errungenschaften seiner Zeit, der Siegeszug der Technik, der Elektrizität, der modernen Verkehrsund Kommunikationsmittel, angetrieben durch den grausamen Wettstreit um die effizientesten Zerstörungsmittel im Ersten Weltkrieg, fehlen in seinem Werk. Das ist keine Störung bei ihm, vielmehr Mahnruf, der heute wie ein Weckruf erscheint. Denn Nolde stößt jenes Chaos uferloser Progression weit von sich, da es, wie er durchblicken lässt, die Kreisläufe der Natur stört und letztlich zerstört. Was den Globus umpflügt, ihn unkenntlich macht, lehnt sein Bildwerk ab und stemmt sich in anderer, subtiler, nicht unkritischer Art dagegen. Der Technik gegenüber ist er wie viele seinerzeit restlos Feind. Das muss nicht extra gesagt werden, denn es schallt aus seinem Werke, wie die Dissonanzen aus den Partituren von Schönberg, Berg, Webern oder des frühen Eisler.
Bei Noldes Hamburg-Bildern scheinen die Hafenanlagen wegschraffiert. Dampfschiffe zeichnet er als Teil der Natur. Sie drehen zum Horizont ab oder taumeln inmitten von Unwettern. Autos auf modernen Magistralen oder Stahlkonstruktionen, wie sie Feininger oder Rodtschenko abbilden, rasende Eisenbahnen à la »Pazific 231« von Honegger etc. sucht man vergeblich.
Indes: Was jenes Chaos heillos konkurrierender Erfindungskräfte bei den Menschen und Dingen anrichtet, fließt überreichlich in seine Bildwerke ein. Prall, ja beängstigend prall darin Erscheinungen der Natur, des Alltags der Menschen, die volle Vielfalt menschlicher Beziehungen. Aber nichts davon ist glatt abgebildet. Die Atonalität der Gesichter, die Krümmungen des menschlichen Wesens, das Koboldhafte der Natur, der Individuen, des Lebens sind des Malers Triebmomente. Die Caféhaus-Bilder kommen ohne Grammophon und Lautsprecher aus, obwohl die schon zum Inventar gehörten. Andere Arbeiten zeigen Paare, farbig, dunkel, grau, unwirklich – tuschelnde, tratschende, mehr oder minder einander zugewandte oder entfremdete Menschen. Paar-Bilder des Künstlers füllen ganze Ausstellungen mit dazugehörigen Katalogen (etwa der Band »Paare. Emil Nolde«, Hatje Cantz, 2007). Die merkwürdigsten Konstellationen finden sich hier. Das Paar als Unterstellungsverhältnis: Herr – Knecht, König und Narr, »Prinzeß und Bettler«, Krieger und Weib, Saul und David, General und Diener, Gefangene und Wärter etc.
Nolde maskiert häufig die Wirklichkeit des Menschen, macht diese fremd, verlebendigt, indem er Schründe und Krümmungen den Linien und Flächen einverleibt. Mit Wirklichkeit, wie sie wirklich ist, zu hantieren, bedürfe es eines hohen Grads an Einbildung und Phantasie, um zu zeigen, was aus ihr kommt. Scheinbar Richtiges überführt Nolde der Falschheit. Beschauliches gilt nicht. Deswegen sind die Köpfe zumeist nicht schön bei ihm, was immer das meint, sondern kantig und klecksig, als bestünden sie aus buntem Mörtel und unbehauenem Stein. Seine »Bauernsöhne« von 1915 zeigen die Merkwürdigkeit einer sozialen Entwurzelung. Oder eines Aufstiegs? Die beiden Burschen präsentieren sich als Bürgersöhne mit Schlips und Stehkragen. »Krieger und Weib«, entstanden 1913, ist, wenn auch nicht ganz klar, Blatt des Vorkriegs. Ein blecherner, kreisrunder Apparat von Manneskopf umgarnt die schlanke, brünette Schönheit. Offenkundig ist Noldes sozialer Blick auch bei der Radierung »Straßenmädchen« (1909). Mit zottigem Haar und schlechten Zähnen schaut aus dem Bild eine fröhliche Proletarierin. 1918 zeichnet er die Blätter »Sibirische Gutsherren« und »Großbauern«. Abgerissen ihre Mäntel, versehrt ihre Gesichter. Kommentar auf die stattgehabten Revolutionen?
Bild und Bühne stoßen bei Nolde zusammen wie Pech und Schwefel. Den Maskenball sich vorzustellen, taugt bildnerisch ebenso, wie das Kabarett und die Komödie mit den aberwitzigsten Figuren zu besetzen: verbogen und verloren darin die Tänzerinnen und Tänzer, Schauspielerinnen und Schauspieler wie ihr Publikum. »Maskenball« (1911) etwa zeigt gestaffelt eine Gruppe von Gespenstern. Oft zeichnet Nolde trügerische Wahngebilde, auch Satyr- und Teufelsgestalten, grob anpackend ihre Gegenspieler. Blicke, gebracht auf ein hämisches Grinsen, Köpfe mit vom Devil berührten Mündern, Nasen, Augen, Schläfen werden kreiert.
Was Emil Nolde so anziehend macht, ist die Zeichnung des ungeschminkten, von allem Lack befreiten Lebens. Unverkennbar hierbei die Musikalität vieler seiner Arbeiten, voran der »Phantasien«, derer es mehrere Zyklen gibt. Sie versammeln technisch raffiniert gemachte, düstere Gebilde und führen keineswegs von den realen Bedrohungen etwa der Vorkriegsperiode weg, obwohl der Künstler keinen konkreten Strich darüber verliert. Jene Bedrohungen sind eingesenkt, sie adaptieren auch Stimmungen des Fin de Siécle-Zeitalters, Ausdrucksweisen des gesellschaftlichen Niedergangs. Die Welt der Groteske steht hierfür. Ganze Serien von Grotesken malte Nolde die Jahrzehnte über. Der Bildband »Emil Nolde. Die Grotesken« fasst sie modellhaft zusammen. Bergpostkarten, Märchenholzschnitte, Gemälde, Radierungen, Phantasien, »Ungemalte Bilder« treten vors Auge. Allesamt Schlaglichter des Schattenreichs der Groteske. Beispiel: Den »Kleinen Hampelmann« (zugehörig den »Phantasien« 1905) drückt eine weiße Dame mit Hut an die Wand, den Finger erhoben, als würde sie ihn nageln wollen. Ihr Kopf ist so unkenntlich wie der eines schwarzen Mannes. Nolde überschreibt gerne, blendet Dinge zur Hälfte weg, setzt Fremdes dorthin, wo es den Ausdruck schärft.
Wie Schönberg in den 1910er Jahren jene als natürlich geltende Funktionsharmonik überwand und eigene Tonbeziehungen an die Stelle setzte, kreierte Nolde »atonale« Malweisen, fremd anmutende Farbintervalle, disharmonische Konturen. Dies zu bewerkstelligen, bedurfte es nicht der Folien des Kubismus und Konstruktivismus. Die »Phantasien« von 1905 verzeichnen schon diese dem Geist der Wiener Schule um Schönberg verwandte Atonalität. Auffällig die Nähe zu den von jeglicher Schmierenromantik gereinigten Phantasmagorien eines James Ensor oder Edvard Munch, mit dem er befreundet war. Noldes schlichte, düstere Pinselzeichnungen und Radierungen gemahnen an Alfred Kubin. Die »Schunken« von 1913/14 hat er mit geringsten Material nur so hingetupft, was sie ungeheuer anziehend macht. »Schlepper auf der Elbe« von 1910 zeigt Striche einer Hafenstadt, schwarz umwölbt vom Rauch auf dem Wasser schaukelnder schwarzer Dampfer.
Die Ferne will er nahe bei sich haben. Nolde reist mit seiner Frau Ada in die Südsee, hält sich auf dortigen Inseln auf und malt eins ums andere Werk: Gemälde, Porträts, Grafiken, Holzschnitte. Zyklen mit javanischen Mädchen und Frauen entstehen. 1914 kehrt das Paar zurück. Nahe sein wollte er dem heißen Krieg gewiss nicht. Er gehörte nicht zu den Freiwilligen, den Vaterlandsverteidigern, und wurde nicht eingezogen. Höchst produktiv für ihn die Jahre während der Weimarer Republik. Schon in dem Staate maßgenommen als jüdisch-bolschewistisch inspirierter Typ, entfernen die Nazis seine Werke Schritt um Schritt aus allen Musen. In der Ausstellung »Entartete Kunst« 1938 gilt sein Werk als besonders abartig. Der tiefere Grund: Nicht nur den »technischen Fortschritt« hält Nolde aus seinem Werk heraus, mithin die »deutsche Ingenieurskunst«, sondern auch Jegliches, das nur an Deutschtum erinnert. Allein das hat ihn den Nazis verdächtig gemacht.
Emil Nolde starb 1956 in Seebüll nahe der dänischen Grenze, wo es ein Nolde-Museum gibt. An diesem Montag feiert die Kunstwelt seinen 150. Geburtstag.
Ulrich Luckhardt, Christian Ring (Hrsg.): Emil Nolde. Die Grotesken. Hatje Cantz, 176 S., 130 Abb., geb., 29,80 €. Das Buchheim-Museum in Bernried zeigt noch bis 15. Oktober die gleichnamige Ausstellung.