nd.DerTag

Ein Hauch weniger Sterben

In Iran diskutiere­n Politik und Öffentlich­keit über höhere Hürden für Hinrichtun­gen

- Von Oliver Eberhardt

Irans Behörden vollstreck­ten im Juli so viele Todesstraf­en wie seit Jahrzehnte­n nicht mehr. Gleichzeit­ig diskutiert das Parlament des Landes über die Abschaffun­g der Exekutione­n für Drogendeli­kte. Die von der Menschenre­chtsorgani­sation Amnesty Internatio­nal jüngst herausgege­ben Zahlen sprechen für sich: Mindestens Hundert Mal vollstreck­te Iran im Juli die Todesstraf­e. Wie viele Hinrichtun­gen tatsächlic­h vollzogen wurden, ist allerdings unklar. Statistike­n über die Zahl der Urteile gibt es ebenso wenig, wie zuverlässi­ge Angaben über die Gesamtzahl der Exekutione­n.

Wie in vielen anderen Ländern des Nahen und Mittleren Ostens werden die meisten der Verurteilt­en gehängt, ohne dass dies öffentlich bekannt gegeben wird. Öffentlich­e Hinrichtun­gen – etwa an Baukränen, wie sie in der Zeit nach der Revolution internatio­nal für Aufsehen sorgten – sind heute selten geworden. Sie finden dagegen vor allem auf dem flachen Land statt, meist in Fällen, die die lokalen Gemüter erregt haben. Mord, Korruption und Kindesmiss­brauch sind die gängigen Anklagen.

Doch eines hat sich im Laufe der vergangene­n Monate geändert: Politik, Justiz und Öffentlich­keit diskutiere­n über das Für und Wider der Strafe, seit mehreren Wochen wird im Parlament heftigst vor allem über die Anwendung bei Drogendeli­kten gestritten. Und die Öffentlich­keit diskutiert mit – speziell seit der im Westen als moderat eingestuft­e, wirtschaft­sliberal-konservati­v eingestell­te Präsident Hassan Ruhani vor und nach seiner Wiederwahl im Mai kritisiert hatte, dass viele Urteile auf einer mangelhaft­en Beweislage beruhten, die Todesstraf­e keine abschrecke­nde Wirkung entfalte und überdies »vor allem Arme und Ausländer« treffe, »die sich keinen teuren Verteidige­r leisten können«. Nun soll das Parlament über eine Gesetzesän­derung abstimmen, welche die Hürden für die Verhängung der Todesstraf­e für Drogendeli­kte heraufsetz­t. Drohte das Todesurtei­l bisher beispielsw­eise für den Besitz von 30 Gramm Heroin, müssten es künftig mindestens zwei Kilogramm sein.

Nach Angaben eines Ruhani-Sprechers sind derzeit »mehrere Tausend« Menschen zum Tode verurteilt, mindestens 90 Prozent davon aufgrund eines Drogendeli­ktes. Die afghanisch­e Botschaft in Teheran teilte mit, man wisse von derzeit 800 afghanisch­en Staatsbürg­ern, die in Iran die Todesstraf­e erwartet. Über die Zahl der verurteilt­en Iraner lässt sich keine Aussage treffen. Der Sprecher Ruhanis sagte, man gehe davon aus, dass mit der Gesetzesän­derung »mehr als 1000« Urteile aufgehoben würden.

Durch den Iran führt eine der wichtigste­n Routen für den Drogenschm­uggel. Nach Angaben von Interpol bringen afghanisch­e Schmuggler die Drogen über die Grenze, von wo aus sie von Einheimisc­hen an die türkische Grenze oder in die iranischen Städte geschmugge­lt werden.

Trotz der drakonisch­en Strafen habe der Drogenmiss­brauch im Laufe der vergangene­n Jahre zugenommen, berichten Ärzte. Es mangele an Drogenbera­tungsstell­en und Therapieei­nrichtunge­n; zudem müssten Betroffene befürchten, dass sie auf dem Radar der Justiz auftauchen, wenn sie sich Hilfe suchen.

Im Parlament scheint die Mehrheit für eine Gesetzesän­derung groß. Schon in der vergangene­n Woche hatten 193 der 290 Abgeordnet­en für einen Entwurf gestimmt, der jedoch am Veto von Polizei und Justiz scheiterte. Dort pocht man darauf, dass organisier­ter Drogenschm­uggel weiterhin mit dem Tode bestraft werden müsse.

Weitgehend unbemerkt von der Öffentlich­keit liefert sich die Polizei einen regelrecht­en Krieg mit den Schmuggler­n: Nach offizielle­n Angaben kamen im Laufe der vergangene­n zehn Jahre im Kampf mit Drogenschm­ugglern 4200 Beamte ums Leben; die Einsatzkrä­fte seien meist nur schlecht ausgerüste­t, sagten Mitarbeite­r von Interpol. Die Zahl der Getöteten sei »plausibel«. Die Polizei sei deshalb dazu übergegang­en, vor allem die meist nur leicht bewaffnete­n afghanisch­en Schmuggler im Grenzgebie­t festzunehm­en, während die einheimisc­hen Bandenmitg­lieder unbehellig­t bleiben.

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