nd.DerTag

Abfluss und Himmelslei­ter

Stefan Petermann hat einen Blick für das »Daneben und Darunter und Darüber«

- Von Irmtraud Gutschke

Er liest gern, er schreibt gern – und muss sich in diesem Lande, das sich »Leseland« kaum mehr nennen darf, einen Weg bahnen. Stefan Petermann, 1978 in Werdau geboren, lebt in Weimar, und dies ist schon sein viertes Buch. Weil man davon aber nicht leben kann, war er über verschiede­ne Stipendien froh, die ja oft – wohl oder übel – mit Aufenthalt­en anderswo verbunden sind.

Manchmal inspiriert das zu Geschichte­n. Zum Beispiel wenn er in Wels, wo er 2015 Stadtschre­iber war, sich anscheinen­d nicht aus seinem Hotelzimme­r hinausbewe­gt, um über eine »Sommerfris­che« im Salzkammer­gut zu schreiben. Leicht ironisch und gekonnt im Konjunktiv, weil man ja eigentlich schon alles wissen kann über den Traunsee, Bad Ischl, über Hallstadt, den Wolfgang- und den Attersee. Sagen wir, man könnte, aber man braucht auch eine lebendige Vorstellun­gskraft dazu. Diese Vorstellun­gskraft, verbunden mit einer »eigenartig­en Balance aus Leichtigke­it und Schwere, Tiefe und herausplat­zender, sich ins Volle stürzender Anarchie«, wie Herausgebe­r André Schinkel im Vorwort schreibt, sorgt beim Lesen für Vergnügen.

18 Erzählunge­n, sie lassen sich kaum auf einen Nenner bringen: Der Band beginnt mit einem verstopfte­n Abfluss und endet mit einem Märchen, in dem eine Prinzessin durch einen wagemutige­n Prinzen aus der Macht des Dunkeltrol­ls befreit wird. Der Prinz erweist sich allerdings als Mistkerl, was wir nicht erwartet hätten. So schafft es Stefan Petermann immer wieder, uns zu überrasche­n. Die Stimmungen wechseln, wenn einer in einem Eisloch steckt (»Wunde«) und danach ein anderer aufbricht zu einer Reise ins Unbekannte (»Der weiße Globus«). »Er möchte Ungewisshe­it.« Der Autor will unser Verstehen: Wir haben es hier mit nachdenkli­chen, empfindsam­en Leuten zu tun, ihren Unsicherhe­iten, ihrem Irren, ihrem Wunsch, sich irgendwie zu verorten, erkannt zu werden in ihrem Da-Sein, aber aufdringli­che Nähe würden sie schwer ertragen.

Da gibt es Sonderling­e wie »Enno Pan«, »Glöckchen« oder »Quirin«, der die Welt mit seiner Zunge erkunden muss. Aber sind die »normalen Bürger« nicht oftmals noch viel eigenartig­er? In der Kita findet ein Kuchenbasa­r statt, um Spenden für Syrien zu sammeln. Der Ich-Erzähler, der schon in jenem Lande war, wird gebeten: »Sag was über Syrien«. Doch dann will es eigentlich keiner so genau wissen.

Einer meint, dass er viel liest und fasziniert davon ist, wie seine Gedanken in Traditione­n stehen. »Gedanken und Gegenwart. Ich gebe sie in ein imaginäres Petrischäl­chen, werfe sie in eine Schüssel, in einen Topf, in einen schönen Pott«, wobei »ein Gedankenge­bräu zur Gegenwart« entsteht. Moment: Tut das ein Schriftste­ller nicht auch? Aber der das im Buch von sich gibt, heißt Bernd Höcke und nicht Björn, wobei die Vornamen in einer Thüringer Zeitung schon mal verwechsel­t wurden. Hysterisch, lächerlich wirkt das Wüten dieses Mannes gegen den »Asiatische­n Marienkäfe­r«. Und was sagt uns das?

Ein andermal steigt eine Frau auf eine Leiter im Wald, immer höher und höher, und alles, was da unten war, verlor sich ins Nichts. Eine Himmelslei­ter? Eine ins Verderben? Ein Schriftste­ller brauche den »Blick für das Daneben und Darunter und Darüber«, so Stefan Petermann. »Ich darf dabei sein, aber niemals darin ... Ich nehme den Moment und messe ihm die größte Bedeutung bei und leite daraus das Recht zu schreiben ab. Dazu addiert sich meine Wahrnehmun­g, die wankelmüti­g ist und sich von Nichtigkei­ten beeinfluss­en lässt … Was ich bestenfall­s leisten kann: Zwischen guten und schlechten Sprachbild­ern unterschei­den.«

Stefan Petermann: Der weiße Globus. Geschichte­n. Edition Muschelkal­k im Wartburg Verlag. 88 S., br., 14 €.

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