»Uns bleibt nur: Augen zu und durch!«
In einem halben Jahr ist Olympia in Südkorea. Das deutsche Team vernimmt die Kriegsdrohungen mit Unbehagen
Schon bald fliegen die besten Wintersportler der Welt zu den Olympischen und Paralympischen Spielen nach Pyeongchang. Sie hoffen, dass Donald Trump und Kim Jong Un nur mit den Säbeln rasseln. An diesem Donnerstag sind es noch genau sechs Monate, bis die ersten Medaillen verteilt werden. Ein halbes Jahr, dann soll der kleine südkoreanische Ort Pyeongchang für gut zwei Wochen während der Olympischen Winterspiele medial zum »Mittelpunkt der Welt« werden. Besonders groß ist die Vorfreude noch nicht. Auch nicht bei den Einwohnern von Pyeongchang und dem Küstenort Gangneung, wo die Hallen für Curling, Eiskunstlauf, Eisschnelllauf und Eishockey stehen. Das ist normal, denn das Leben der Menschen wird noch von anderen Alltagsproblemen bestimmt. Der olympische Glanz kommt erst mit den Stars an.
Südkorea treffen derzeit aber noch zwei andere »Stimmungstöter«: Kim Jong Un und Donald Trump. Die Staatsoberhäupter aus Nordkorea und den USA überbieten sich derzeit mit immer neuen Drohungen. Auch an deutschen Athleten, Trainern und Funktionären geht das nicht spurlos vorbei, selbst wenn sie derzeit noch keine Angst vor dem Flug im Februar haben. »Ich glaube, dass mehr Säbelrasseln dahinter steckt als tatsächliche Handlungen«, sagt Biathlet Erik Lesser auf nd-Anfrage.
Der Doppelweltmeister von 2015 war erst im März zum Testweltcup in Pyeongchang. »Da war das nicht mal im Hinterkopf. Es ging nur darum, den Ort kennenzulernen, zu schauen, wie die Gegebenheiten sind, und wie sie ein Jahr später sein werden. Aber ich gebe zu: Damals war die politische Lage noch viel entspannter. Bis auf ein paar fehlgeschlagene Raketentests hatte man ja nichts gehört.« Bei Trumps jüngster Aussage kam Lesser dann jedoch ins Grübeln: »Wenn ich Hiroshima als Gradmesser nehme, und etwas passieren soll, das die Welt noch nicht gesehen hat, müsste es ja noch schlimmer kommen als Hiroshima«, so Lesser.
Er und seinen Kollegen werden sich natürlich trotzdem weiter auf den Sport konzentrieren. »Wir können nur den Leuten vertrauen, die sich darum kümmern, dass möglichst 365 Tage im Jahr Frieden herrscht, so naiv das auch klingen mag«, meint Lesser. »Wenn die Behörden sagen: ›Es ist sicher‹, dann ist es sicher. Und uns bleibt nichts anderes übrig, als: Augen zu und durch!«
Innerhalb der Mannschaft war die Reise nach Südkorea noch kein Gesprächsthema. Auch die Boykottaufrufe vor den Spielen 2014 in Sotschi wurden unter den Sportlern damals nicht debattiert. Das deckt sich mit den Nationalteams in anderen Sportarten. Rodel-Bundestrainer Norbert Loch sagt: »Darüber führen wir keine Gespräche. Der Fokus liegt auf unserem Kerngeschäft.« Dabei ist Loch ein politisch interessierter Mensch. Den Athleten bringen hypothetische Diskussionen aber wenig. »Vor den Spie- Norbert Loch, Bundestrainer Rennrodeln
len 2002 in Salt Lake City gab es ähnliche Bedenken über die Sicherheit kurz nach den Anschlägen des 11. September, aber auch damals habe ich mit meinen Sportlern nicht darüber gesprochen«, erinnert sich Loch.
Der 55-Jährige ist aber nicht unbeeindruckt vom Geschehen. »Wenn ich die Drohungen höre, bekomme ich ein flaues Gefühl im Magen. Man ist ja auch geneigt, sie mit Massenveranstaltungen wie Olympia im Zusammenhang zu sehen. Aber ich weiß aus Erfahrung: Sobald ich mit der Mannschaft im Flieger sitze, blenden wir das alles aus.« So wird es wohl auch Anfang November kommen, wenn noch mal zehn Trainingstage auf der Olympiabahn anstehen. Und Loch hofft, dass diese Reise die Gemüter zusätzlich beruhigen wird.
Der Sportdirektor der Eisschnelllaufmannschaft schätzt die derzeitige Gefahr auch noch nicht besonders hoch ein. Denn für Robert Bartko sei es nur »schwer vorstellbar, dass die Welt eine kriegerische Eskalation riskiert«. Er sei sich wie Lesser darüber bewusst, dass ihn andere als naiv bezeichnen werden, wenn er sogar sagt, dass die Olympischen Spiele noch immer einen Wert im Suchen nach Frieden hätten, wenn also Nationen lieber sportlich miteinander wetteifern als mit Waffengewalt. »Ich glaube zudem, dass Olympia eine Chance zur Kommunikation bietet. Es kommen viele Politiker, und dort können sie miteinander reden. Nur Kommunikation kann in dieser Situation helfen«, ist Bartko überzeugt.
Eine Meinung, die Thomas Bach sicherlich gerne zur Kenntnis nimmt. Der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) hatte sich vor wenigen Wochen mit Südkoreas Präsident getroffen und dessen »Vision sehr begrüßt, dass die Olympischen Spiele den Dialog und die Versöhnung auf der koreanischen Halbinsel und darüber hinaus unterstützen können«. Beide hatten im Juli erneut nordkoreanische Athleten zu den Spielen eingeladen. Eine Zusage aus Pjöngjang gibt es jedoch noch immer nicht.
Friedhelm Julius Beucher, Präsident des Deutschen Behindertensportbundes (DBS), will ein paar Wochen später Anfang März deutsche Athleten zu den Paralympics an dieselben Wettkampfstätten schicken. Für ihn sind die Äußerungen von Kim und Trump besorgniserregend. »Wir haben es mit zwei unberechenbaren Machthabern zu tun. Und ihre Aussagen sind alarmierend nicht nur für die Olympischen und Paralympischen Spiele, sondern schlechthin für den Weltfrieden. Hier ist die internationale Staatengemeinschaft gefragt«, sagt der ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete. Die Entscheidung über eine Teilnahme werde aber immer erst »nah am Ereignis gefällt«, so Beucher, der hofft, »dass die Friedensbotschaft der Spiele auch in die Köpfe derer gelangt, die sonst nicht besonders offen dafür sind«.
Bei aller Hoffnung auf eine Mittlerfunktion der Spiele betont Robert Bartko, dass Sport und Politik im Grunde aber getrennt bleiben sollten. In der Tat können Athleten unmöglich die Konflikte dieser Welt lösen. Sie sorgen allenfalls für eine kurzweilige Ablenkung davon.
»Wenn ich die Drohungen höre, bekomme ich ein flaues Gefühl im Magen. Aber sobald ich mit der Mannschaft im Flieger sitze, blenden wir das alles aus.«