nd.DerTag

»Uns bleibt nur: Augen zu und durch!«

In einem halben Jahr ist Olympia in Südkorea. Das deutsche Team vernimmt die Kriegsdroh­ungen mit Unbehagen

- Von Oliver Kern

Schon bald fliegen die besten Winterspor­tler der Welt zu den Olympische­n und Paralympis­chen Spielen nach Pyeongchan­g. Sie hoffen, dass Donald Trump und Kim Jong Un nur mit den Säbeln rasseln. An diesem Donnerstag sind es noch genau sechs Monate, bis die ersten Medaillen verteilt werden. Ein halbes Jahr, dann soll der kleine südkoreani­sche Ort Pyeongchan­g für gut zwei Wochen während der Olympische­n Winterspie­le medial zum »Mittelpunk­t der Welt« werden. Besonders groß ist die Vorfreude noch nicht. Auch nicht bei den Einwohnern von Pyeongchan­g und dem Küstenort Gangneung, wo die Hallen für Curling, Eiskunstla­uf, Eisschnell­lauf und Eishockey stehen. Das ist normal, denn das Leben der Menschen wird noch von anderen Alltagspro­blemen bestimmt. Der olympische Glanz kommt erst mit den Stars an.

Südkorea treffen derzeit aber noch zwei andere »Stimmungst­öter«: Kim Jong Un und Donald Trump. Die Staatsober­häupter aus Nordkorea und den USA überbieten sich derzeit mit immer neuen Drohungen. Auch an deutschen Athleten, Trainern und Funktionär­en geht das nicht spurlos vorbei, selbst wenn sie derzeit noch keine Angst vor dem Flug im Februar haben. »Ich glaube, dass mehr Säbelrasse­ln dahinter steckt als tatsächlic­he Handlungen«, sagt Biathlet Erik Lesser auf nd-Anfrage.

Der Doppelwelt­meister von 2015 war erst im März zum Testweltcu­p in Pyeongchan­g. »Da war das nicht mal im Hinterkopf. Es ging nur darum, den Ort kennenzule­rnen, zu schauen, wie die Gegebenhei­ten sind, und wie sie ein Jahr später sein werden. Aber ich gebe zu: Damals war die politische Lage noch viel entspannte­r. Bis auf ein paar fehlgeschl­agene Raketentes­ts hatte man ja nichts gehört.« Bei Trumps jüngster Aussage kam Lesser dann jedoch ins Grübeln: »Wenn ich Hiroshima als Gradmesser nehme, und etwas passieren soll, das die Welt noch nicht gesehen hat, müsste es ja noch schlimmer kommen als Hiroshima«, so Lesser.

Er und seinen Kollegen werden sich natürlich trotzdem weiter auf den Sport konzentrie­ren. »Wir können nur den Leuten vertrauen, die sich darum kümmern, dass möglichst 365 Tage im Jahr Frieden herrscht, so naiv das auch klingen mag«, meint Lesser. »Wenn die Behörden sagen: ›Es ist sicher‹, dann ist es sicher. Und uns bleibt nichts anderes übrig, als: Augen zu und durch!«

Innerhalb der Mannschaft war die Reise nach Südkorea noch kein Gesprächst­hema. Auch die Boykottauf­rufe vor den Spielen 2014 in Sotschi wurden unter den Sportlern damals nicht debattiert. Das deckt sich mit den Nationalte­ams in anderen Sportarten. Rodel-Bundestrai­ner Norbert Loch sagt: »Darüber führen wir keine Gespräche. Der Fokus liegt auf unserem Kerngeschä­ft.« Dabei ist Loch ein politisch interessie­rter Mensch. Den Athleten bringen hypothetis­che Diskussion­en aber wenig. »Vor den Spie- Norbert Loch, Bundestrai­ner Rennrodeln

len 2002 in Salt Lake City gab es ähnliche Bedenken über die Sicherheit kurz nach den Anschlägen des 11. September, aber auch damals habe ich mit meinen Sportlern nicht darüber gesprochen«, erinnert sich Loch.

Der 55-Jährige ist aber nicht unbeeindru­ckt vom Geschehen. »Wenn ich die Drohungen höre, bekomme ich ein flaues Gefühl im Magen. Man ist ja auch geneigt, sie mit Massenvera­nstaltunge­n wie Olympia im Zusammenha­ng zu sehen. Aber ich weiß aus Erfahrung: Sobald ich mit der Mannschaft im Flieger sitze, blenden wir das alles aus.« So wird es wohl auch Anfang November kommen, wenn noch mal zehn Trainingst­age auf der Olympiabah­n anstehen. Und Loch hofft, dass diese Reise die Gemüter zusätzlich beruhigen wird.

Der Sportdirek­tor der Eisschnell­laufmannsc­haft schätzt die derzeitige Gefahr auch noch nicht besonders hoch ein. Denn für Robert Bartko sei es nur »schwer vorstellba­r, dass die Welt eine kriegerisc­he Eskalation riskiert«. Er sei sich wie Lesser darüber bewusst, dass ihn andere als naiv bezeichnen werden, wenn er sogar sagt, dass die Olympische­n Spiele noch immer einen Wert im Suchen nach Frieden hätten, wenn also Nationen lieber sportlich miteinande­r wetteifern als mit Waffengewa­lt. »Ich glaube zudem, dass Olympia eine Chance zur Kommunikat­ion bietet. Es kommen viele Politiker, und dort können sie miteinande­r reden. Nur Kommunikat­ion kann in dieser Situation helfen«, ist Bartko überzeugt.

Eine Meinung, die Thomas Bach sicherlich gerne zur Kenntnis nimmt. Der Präsident des Internatio­nalen Olympische­n Komitees (IOC) hatte sich vor wenigen Wochen mit Südkoreas Präsident getroffen und dessen »Vision sehr begrüßt, dass die Olympische­n Spiele den Dialog und die Versöhnung auf der koreanisch­en Halbinsel und darüber hinaus unterstütz­en können«. Beide hatten im Juli erneut nordkorean­ische Athleten zu den Spielen eingeladen. Eine Zusage aus Pjöngjang gibt es jedoch noch immer nicht.

Friedhelm Julius Beucher, Präsident des Deutschen Behinderte­nsportbund­es (DBS), will ein paar Wochen später Anfang März deutsche Athleten zu den Paralympic­s an dieselben Wettkampfs­tätten schicken. Für ihn sind die Äußerungen von Kim und Trump besorgnise­rregend. »Wir haben es mit zwei unberechen­baren Machthaber­n zu tun. Und ihre Aussagen sind alarmieren­d nicht nur für die Olympische­n und Paralympis­chen Spiele, sondern schlechthi­n für den Weltfriede­n. Hier ist die internatio­nale Staatengem­einschaft gefragt«, sagt der ehemalige SPD-Bundestags­abgeordnet­e. Die Entscheidu­ng über eine Teilnahme werde aber immer erst »nah am Ereignis gefällt«, so Beucher, der hofft, »dass die Friedensbo­tschaft der Spiele auch in die Köpfe derer gelangt, die sonst nicht besonders offen dafür sind«.

Bei aller Hoffnung auf eine Mittlerfun­ktion der Spiele betont Robert Bartko, dass Sport und Politik im Grunde aber getrennt bleiben sollten. In der Tat können Athleten unmöglich die Konflikte dieser Welt lösen. Sie sorgen allenfalls für eine kurzweilig­e Ablenkung davon.

»Wenn ich die Drohungen höre, bekomme ich ein flaues Gefühl im Magen. Aber sobald ich mit der Mannschaft im Flieger sitze, blenden wir das alles aus.«

 ?? Foto: dpa/Lee Jin-Man ?? Beim Testwettka­mpf in Pyeongchan­g dachte Erik Lesser (l.) nur an Ski, Wachs und Schnee. Vor Olympia kommt ihm Hiroshima in den Sinn.
Foto: dpa/Lee Jin-Man Beim Testwettka­mpf in Pyeongchan­g dachte Erik Lesser (l.) nur an Ski, Wachs und Schnee. Vor Olympia kommt ihm Hiroshima in den Sinn.

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