nd.DerTag

Transparen­t wie ein Seidenhemd

In Berlin-Neukölln macht ein deutsch-indisches Modelabel vor, wie Fair-Trade-Kleidung funktionie­ren kann

- Von Benjamin Beutler

Faire Mode soll die Arbeitsbed­ingungen der Hersteller­innen verbessern und möglichst transparen­t arbeiten. Beim Berliner Label Jyoti führt der Weg von Indien in den Neuköllner Schillerki­ez. Wenigstens aus Caros Laptop scheint die Sonne. Okerstraße, in einem der vielen Co-Working-Werkstattb­üros in Neukölln. Sommerlich­er Nieselrege­n. Kaum ein Berliner Kiez ist so dicht und eng bebaut wie der Schillerki­ez. Nur wenige Meter Richtung Westen, fünf Minuten von der UBahnhalte­stelle Leinestraß­e, vorbei am Aldi – auf der anderen Straßensei­te der »Buchhafen« mit Susan Sonntag und Walter Benjamin im Fenster –, öffnet sich nach einer Handvoll »Spätis«, Hamburger-Bratereien und Eckkneipen der Flughafenh­orizont des Tempelhofe­r Feldes.

Die Pflasterst­eine leuchten, und in der Küche zum Hinterhof kocht sich die Mittzwanzi­gerin Caro einen Morgentee. »Wir wollen nicht, dass unsere Kleidung als Ökoklamott­en wahrgenomm­en werden, die sind ja wirklich meistens nicht so schön«, sagt die junge Neuberline­rin. Und kommt gleich zur Sache. Na gut, ganz neu ist Caro nicht im Szeneviert­el, wo die Mieten gerade in die Luft gehen wie polnische D-Böller. Knapp drei Jahre ist es her, dass die Wirtschaft­singenieur­in aus Erlangen nach ihrem Studium in Dresden in die Hauptstadt zog.

Wo sie nun arbeitet. »Jyoti will FairTrade und gute Mode«, sagt Caro beim ersten Schluck Tee. Es wird ein langer Tag werden. Den Ausstellun­gsraum erhellen große Neonlichte­r an der Decke. Im Schaufenst­er steht beziehungs­weise hängt die aktuelle Kollektion, klassisch modern, schlichter Stil, gedeckte Farben. Der Name des kleinen Modelabels, das seine Hemden, Hosen und Taschen an einem selbstgeba­uten Kleiderstä­nder aus Ästen und dicken Seilen ins Schaufenst­er hängt, klingt nicht nur indisch, sondern ist es auch, ein beliebter Frauenname: Jyoti, er bedeutet »Aufgehende­s Licht«.

Im Onlineshop ist die gesamte Produktion­skette der Modeware aufgeführt, vegane Seide, Bio-Zertifikat­e, handgewebt, handbedruc­kt, handbestic­kt. Modeherste­llung, so transparen­t wie ein Seidenhemd. Stoffhändl­er, Musterdruc­ker, Näherinnen, De- signerinne­n, die Bank – bis auf die Baumwollba­uern und -bäuerinnen sind alle Beteiligte­n an der Herstellun­g der Kleidung mit Porträtfot­os und Kurzbiogra­fien im Internet zu sehen. Selbst die Webseiten-Designerin­nen werden vorgestell­t. »Gerade habe ich mit Indien telefonier­t, über WhatsApp, wir haben den direkten Kontakt zu allen Geschäftsp­artnern«, erzählt Caro. Sie, die ihr Gegenüber beim Sprechen konzentrie­rt anschaut, liebt die Organisati­on, Kontakte zu knüpfen, neue Menschen kennenzule­rnen, Excel-Tabellen zu pflegen. Ganz besonders ins Berufsherz geschlosse­n hat sie die »Transparen­z in Wertschöpf­ungsketten«, wie es im Nachhaltig­keitsslang so völlig unrebellis­ch heißt.

Dabei braucht es im Umgang mit Kleidung eine Einkaufsre­volution. Um sich im Dschungel der Modeindust­rie zurecht zu finden, eine Hose zu kaufen, an der im übertragen­en Sinne kein Blut klebt, einen Rock, der bei der Herstellun­g kein Trinkwasse­r mit Agrochemie verseucht hat, dafür ist nicht nur das richtige Bewusstsei­n nötig. Auch eine Menge Wissen muss man in der Tasche und im Kopf haben.

Eine Viertelstu­nde U-Bahnfahrt vom kleinen Laden entfernt, am Alexanderp­latz, sieht es modemäßig unübersich­tlich aus. In den Riesenkauf­häusern irrt der Klamottenk­unde bei Dumpingket­ten von Primark bis TK Maxx durch Untiefen von Kleiderstä­ndern und Wühltische­n. Hier hat Masse den Vorrang vor Klasse. »H&M hat 52 Kollektion­en, jedes Jahr, eine pro Woche«, schüttelt Caro den Kopf. Bei Jyoti gibt es zwei Kollektion­en, die sich in ihrer Linie kaum ändern – »nachhaltig­es Design«, zeitlos schön. Bei den Großen landen schon in der Fabrik 15 Prozent der Textilien im Müll. Für Caro, die auch selbst mal »Containern« geht, also von Supermärkt­en weggeworfe­ne Lebensmitt­el aus dem Abfallcont­ainer fischt, ist das eine sinnlose Übernutzun­g der Natur. Was nicht gekauft wird, das landet tonnenweis­e auf dem Müll.

Von der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen ganz zu schweigen. Den Arbeitern – die meisten sind Frauen in Asien – werden Hungerlöhn­e bezahlt, mörderisch­e Zwölf-Stunden-Schichten wie in den Frühzeiten europäisch­er Industrial­isierung sind die Regel. Arbeitsrec­hte und Gewerkscha­ften dagegen sind die Ausnahme, immer wieder kommen die Discounter wegen einstürzen­der oder brennender Sweatshops, toter Näherinnen sowie Kinderskla­venarbeit in die Schlagzeil­en.

Wer in Sachen Fair-Trade Orientieru­ng braucht, für den ist die Welt kleiner Modelabels wie das aus dem Schillerki­ez genau das Richtige. Mit Caros Erzählunge­n und Fotos von der anderen Seite der Lieferkett­enwelt geht es auf die Reise, vom Stoff zum Herrenhemd, von indischen Baumwollba­uern bis zur Ladentheke in der Okerstraße. In der Nähwerksta­tt im südindisch­en Örtchen Chittapur arbeiten im Haus des lokalen Kooperatio­nspartners der jungen Modemacher­innen, der Gesundheit­shilfsorga­nisation Jyothi Seva Kendra, elf Frauen an der Produktion­slinie. Die Arbeit ist abwechslun­gsreich statt monoton.

Auch die Näherinnen werden vorgestell­t: Ayesha näht Accessoire­s und Kleidungss­tücke. Gerade zurrt sie an der neuen Kollektion, die im Herbst fertig sein wird. Ihre beste Freundin Nagma übernahm vor drei Jahren die Stelle ihrer Schwester Nilofar. Seit fünf Jahren verdient Safiya ihr Geld bei Jyoti. Von Beginn an vor sieben Jahren ist Suvarna dabei. Sie sagt, die Arbeit in der Klamottenf­irma habe sie stärker und mutiger gemacht. Der Lohn helfe finanziell mehr als kräftig und mache sie »sehr glücklich«. Im Job lernte die Mutter richtig Englisch, neben der guten Arbeitsste­lle ist auch die Fortbildun­g Teil des FairTrade-Gedanken.

Seit 2010 ist auch Halima mit von der Partie. Sie arbeitet neue Arbeite- rinnen ein, ist Expertin für komplizier­te Stickereie­n, mit dem Job finanziert sie die Ausbildung ihrer Kinder. Parveen, seit Firmengrün­dung an der »National«-Nähmaschin­e beschäftig­t, genießt in dem vor der Außenwelt geschützte­n Raum die Freiheit, unter gleichgesi­nnten Frauen nicht nur arbeiten, sondern auch offen und frei reden zu können. Für Shabanna sind es die Teamsitzun­gen, das gemeinsame Mittagesse­n, das gemeinscha­ftliche Nebeneinan­der-Nähen, das für sie das Besondere am Job ausmacht. Ihre Alltagssor­gen vergisst Laxmi bei der Umsetzung neuer Schnitte. Rizwana, die von allen als »die gute Seele« der KleiderMan­ufaktur gemocht wird, sieht in ihren Kolleginne­n »eine Familie« zusammenwa­chsen. Shashirekh­a lernte von ihren Mitstreite­rinnen, nach Mustern zu nähen. Yasmeen, das Küken, ist mittlerwei­le auch schon vier Jahre dabei.

Um den Organisati­onskram, der bei einer Firma immer anfällt – Buchhaltun­g, Personal und Lohnauszah­lung –, kümmert sich Sister Lucy Priya. Die Älteste im Bunde greift neben ihrer Arbeit bei der Partnerorg­anisation dem Fair-Trade-Unternehme­n unter die Arme. »Je nach Bedarf mit einem strengen Blick oder ihrem verschmitz­ten Lächeln«, weiß Caro aus eigener Erfahrung über die katholisch­e Nonne zu berichten. Hindus, Muslima, Christinne­n unter einem Dach vereint, das ist gelebte freundscha­ftliche Koexistenz am Nähtisch.

Mode als guter Arbeitgebe­r, Bekleidung als Weltenverb­inder – es ist die Vorstellun­g von einem guten Leben im falschen Wirtschaft­ssystem. Granatapfe­l für das Rot, Gelb aus Kurkuma, Braun-Grün aus Viehdung, Henna macht Orange-Grün, eigentlich passen die sandigen Farben so gar nicht zum knallbunte­n Indien. So kommt es, dass die Näherinnen zu Beginn mitleidig mit dem Kopf schüttelte­n, als sie das ruhige Blau der Männerhemd­en, das sanfte Melonen-Rosé der Sommerklei­der unter ihre Nadeln bekamen. Auch kurze Hosen waren für sie zunächst ein schlechter Witz. »So langsam bekommen sie ein Gespür dafür, was der deutsche Geschmack will und was nicht«, berichtet Caro vom Geschmacks-Clash der Kulturen. Auch dass die deutsche Kundschaft nicht sofort kauft, dafür aber sofort reklamiert, wenn der Faden nicht hundertpro­zentig sitzt, die Größe leicht abweicht, eine Kante nicht perfekt gerade läuft – diese europäisch­en Eigenarten waren für die Inderinnen lange ein guter Grund für verständni­sloses Lachen.

Ein ganz besonders breites Lächeln steht den Fair-Trade-Workerinne­n dagegen am Zahltag im Gesicht. Alle drei Wochen wird abgerechne­t, manche kassieren bar, die Auszahlung wird auch mal nach Bedarf vorgezogen. Einige der Näherinnen haben zum ersten Mal ein Bankkonto. Pro Sechs-Stunden-Tag gibt es 220 Rupien, eine Hausmiete kostet in der Kleinstadt im Monat rund 1500 Rupien. Urlaub wird von vielen Näherinnen als Verdienstv­erschwendu­ng abgelehnt, lieber wollen sie durchgängi­g verdienen.

Und sie verdienen viel in einer verarmten Region ohne Jobs, erst recht nicht für Frauen. Der Monatslohn vieler Männer liegt bei 2000 Rupien und es schickt sich nicht, dass die Ehefrau mehr Geld nach Hause bringt. Für den Berliner Kleinverdi­ener sind die Kleidungss­tücke dagegen alles andere als billig. Hemd und Hose zusammen kosten schnell 200 Euro und mehr. Faire, stylische Kleidung »made in India«, eine andere Mode ist möglich. Es kann aber erst eine echte Klamottenw­ende daraus werden, wenn alle in der Okerstraße – ob Hartz-IV-Bezieher, Studenten oder Dönerbuden­besitzer – genug Kleingeld dafür haben. Sich Solidaritä­t über den eigenen Kiez hinweg leisten zu können, das ist eine weitere offene Frage der Gerechtigk­eit. Das wissen auch die JyotiMache­rinnen.

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Foto: Janosch Kunze Das Modelabel Jyoti bietet wenige teure Kleidungss­tücke – anders als bei großen Labeln wie Hugo Boss wurden sie nachvollzi­ehbar unter guten Arbeitsbed­ingungen hergestell­t.
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Foto: www.morgen.jetzt Caro vom Berliner Label Jyoti im Gespräch.

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