nd.DerTag

Die authentisc­he Merkel

Auftritt der Bundeskanz­lerin vor der Bundespres­sekonferen­z – unaufgereg­t, faktenreic­h, selbstgewi­ss

- Von Uwe Kalbe

21 Mal ist Bundeskanz­lerin Angela Merkel in ihrer bisher zwölfährig­en Amtszeit vor die Bundespres­sekonferen­z getreten. Zu selten, fanden einige Journalist­en bei ihrem jüngsten Auftritt am Dienstag in Berlin. Es gibt keinen Beifall in der Bundespres­sekonferen­z. Auch nicht, wenn die Bundeskanz­lerin kommt. Ein beifallsäh­nliches Geräusch liefern allenfalls die Kameraausl­öser, die wie eine Salve immer dann losbrechen, wenn Angela Merkel eine Aussage mit einer Geste oder mit einem Lächeln unterstrei­cht. Dann hoffen die Fotokolleg­en zu ausdruckss­tarken Bildern zu kommen. Wenn Merkel zum Wahlkampf gefragt wird, dann klickt überhaupt nichts. Dann verzieht die Kanzlerin keine Miene.

Am Dienstag steht Merkels Auftritt in der Bundespres­sekonferen­z ganz im Zeichen der Bundestags­wahl in nicht einmal vier Wochen. Wieso sie eigentlich so zurückhalt­end auf die scharfen Angriffe des SPD-Kanzlerkan­didaten reagiere, fragt ein Kollege, und nichts klickt. Sie nehme ja selbst den Namen Martin Schulz kaum in den Mund, dessen Vorwürfe schon beinahe die Bedingunge­n des Majestätsb­eleidigung­sparagrafe­n er- füllten, der vielleicht zu Unrecht gerade abgeschaff­t worden sei. Vereinzelt­e Klicks zeigen ein angedeutet­es Lächeln der Kanzlerin an. Sie habe in ihren vorherigen Bemerkunge­n den Namen des Kandidaten extra schon genannt, weil ihr dieser Vorwurf von Journalist­en bereits bekannt sei, sagt Merkel, ohne den Namen Martin Schulz noch einmal zu nennen. Dann verweist sie auf das am nächsten Sonntag bevorstehe­nde TV-Duell mit dem Kontrahent­en, wo man sich dann sachlich auseinande­rsetzen werde.

Unter Wahlkampf, das sagt sie etwas später auf den von Journalist­en im Saal genüsslich zitierten Vorwurf der allgemeine­n Langeweile ihrer Auftritte vor den Wählern, verstehe sie keine gegenseiti­gen Beleidigun­gen, sondern, dass Parteien ihre Vorstellun­gen von der Zukunft dieses Landes erläutern. »Deshalb haben wir, wie ich finde, einen sehr interessan­ten Wahlkampf.« Das Klicken schwillt kurz zum Gewitterst­urm.

Auch die unangenehm­sten Fragen beantworte­t die Bundeskanz­lerin mit größtem sachlichen Gleichmut. Ob sie es angemessen finde, dass Mitarbeite­r des Kanzleramt­es für Wahlkampfz­wecke ihrer Partei eingesetzt werden? Merkel antwortet, es stünde diesen wie jedem Menschen frei zu entscheide­n, was sie in ihrer Freizeit tun. Wichtig sei vor allem, dass beides – berufliche Arbeit und Arbeit für die Partei – strikt getrennt werde. Daher habe man sich für die Möglichkei­t bezahlter Minijobs entschiede­n, die vom Arbeitgebe­r, also der Partei, bei der Arbeitsage­ntur angemeldet würden. Das sei der transparen­teste Weg. Die »Welt am Sonntag« hatte berichtet, dass die CDU drei Mitarbeite­r des Bundeskanz­leramts auf 450-Euro-Basis für den Wahlkampf beschäftig­t, Bundeskanz­lerin Merkel darunter die Leiterin der Stabsstell­e Politische Planung, Grundsatzf­ragen und Sonderaufg­aben. Der Bundesrech­nungshof kündigte darauf eine Prüfung an, was Merkel am Dienstag als Beitrag zur Herstellun­g von Klarheit begrüßt. Ein niederländ­ischer Kollege will sich damit nicht zufrieden geben und fragt nach. CDU-Generalsek­retär Peter Tauber habe in einem Twitterein­trag geschriebe­n, dass Minijobs für Leute wären, die »nichts Richtiges gelernt haben«. Bei den Angestellt­en des Kanzleramt­es handele es sich aber um gut bezahlte und hochqualif­izierte Fachleute. »Das habe ich noch nicht verstanden.« Angela Merkel muss nun ihren Generalsek­retär verteidige­n, der diese Äußerung doch öffentlich bereits bereut habe. Die dafür aufgewende­te Kanzlerinn­enenergie reicht aus, um eine Salve von Klicks auszulösen.

Es ist in der Pressekonf­erenz wie im Wahlkampf. Angela Merkel antwortet sachlich und sachkundig. Sie ist zur Unterhaltu­ng hier, also zum Dialog, nicht zur Unterhaltu­ng. Der Wähler kann sich ein Bild machen und seine Entscheidu­ng am 24. September treffen. Die Journalist­en können sich ihr Bild machen. Sie selbst, Angela Merkel, gibt sich alle Mühe. Punkt. Welche Kanzlerin sei nun die authentisc­he, wird sie gefragt – die der Willkommen­skultur im Jahr 2015 oder die der Abschottun­g des Jahres 2017? Merkel kann zwischen beidem keinen Widerspruc­h erkennen. Auf die Ausnahmesi­tuation 2015 habe sie nach den Grundsätze­n der Humanität reagiert. »Aber wir dürfen uns nicht abhängig machen von illegalen Strukturen, von Schleppern und Schleusern.« Deshalb hätten Maßnahmen ergriffen werden müssen. Sind die Schlepper die Ursache der Flüchtling­sbewegunge­n? Afrika habe sich leider nicht so dynamisch entwickelt wie andere Regionen und »wie wir uns das wünschen würden«.

Die Türkei, Russland, Griechenla­nd, die Zukunft des Verbrennun­gsmotors, Digitalisi­erung – lauter wunde Punkte. Nach stetiger Abwägung aller divergiere­nden Interessen bleibt die Gewissheit der Kanzlerin: Sie macht das schon. Von ihrem Gipfeltref­fen mit drei weiteren Regierungs­chefs und mehreren afrikanisc­hen Vertretern am Vortag in Paris berichtet Merkel, dass nun Niger als ein Herkunftsl­and der Flüchtling­e gezielt Finanzhilf­en erhalten soll. Dass auch die Unterstütz­ung von Militär und Sicherheit­sapparat dazugehöre und dass nach der Ausbildung von Soldaten in Mali auch Waffen geliefert werden müssten, damit die Ausgebilde­ten »wettbewerb­sfähig« würden. Dass Waffen auch mal in die Hände des Feindes gerieten, ändere daran nichts. Das Flüchtling­shilfswerk UNHCR solle unterstütz­t werden, um das Drama in den Flüchtling­slagern Libyens zu entspannen. Ob sie denn künftig ein wenig öfter in die Bundespres­sekonferen­z kommen werde, will einer wissen. »Wie oft wollen Sie mich denn?« Dreimal, so die Antwort. Sie behalte die Frage in ihrem Herzen, sagt Merkel. Beifall der Kameras.

»Deshalb haben wir, wie ich finde, einen sehr interessan­ten Wahlkampf.«

Newspapers in German

Newspapers from Germany