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Keine Angst mehr vor den Warlords

Kunstfest Weimar: »Malalai – die afghanisch­e Jungfrau von Orléans« nach Friedrich Schiller im E-Werk uraufgefüh­rt

- Von Stefan Amzoll

Prolog im Tempel, so ließe sich der Anfang benennen. Nur wo sind die Herren? Flohen sie? Trieb Jesus sie aus? Der heilige Ort scheint verlassen. Weiß die Landschaft und leer. Nichts, das sich rührte. Zeit verrinnt. Metallene spanische Wände strukturie­ren den Raum (Bühne und Kostüm: EvaMaria van Acker). Die junge Frau rechts schabt mit einem Gerät so langsam daran, wie eine Raupe geht, was Computer und Lautsprech­er in Funktion setzt. Es bedarf einer Berührung am Blech, um Klänge zu erzeugen und mit ihnen Angstgefüh­le. Was dann geschieht, lässt den Raum fast explodiere­n. Feudale Herren wie niedere Gestalten kehren nun ein, doch ein Frauentrio dominiert den weiteren Verlauf.

»Malalai« ist ein internatio­nalistisch­es, vielsprach­iges Spektakel. »Freiheit« zu erlangen, steht auf seiner Fahne, und deren Tuch ist weiß. Eines der Symbole hierfür ist die Geschichte der Malalai von Maiwand. Sie, Sanitäteri­n im afghanisch­en Widerstand, gilt dort als die Jungfrau von Orléans, da sie im Unabhängig­keitskrieg gegen die britische Kolonialma­cht um 1880 ihren Brüdern zum Sieg verholfen hat. Als diese glaubten, die Briten würden sie besiegen, habe sie ihren Schleier herunterge­rissen, eine Flagge daraus gemacht und sei dem Feinde entgegenge­rannt. Worauf die Afghanen umkehrten, ihr folgten und die Schlacht gewannen. Dies zusammen mit der Unbeugsamk­eit der Schillersc­hen Jeanne d’Arc ist der gedanklich­e Kern der Aufführung, woraus sich vielerlei Beziehunge­n und Konflikte herleiten ließen.

Den Text schrieb Julie Paucker, die auch die Dramaturgi­e besorgte. Robert Schuster – er hob 2016 die Produktion »KULA – nach Europa« aus der Taufe, Vorläufer der jetzigen Aufführung – realisiert­e das Projekt mit dem Choreograf­en Martin Gruber, dem Komponiste­n Max Bauer, der KULA Compagnie und dem AZDAR Theatre, bestehend aus afghanisch­en Schauspiel­erinnen und Schauspiel­ern. Ende 2014 erschütter­te die Meldung, dass eine vollbesetz­te Vorstellun­g des AZDAR Theatre in Kabul Ziel eines Selbstmord­anschlags wurde, der einen Menschen tötete und zwanzig weitere verletzte. Seither durfte die Truppe in Afghanista­n nicht mehr auftreten. Dass sie hier ihr Talent nun wieder zeigen konnte, ist großes Verdienst von Kunstfest und dem Deutschen Nationalth­eater Weimar.

Was gewesen war und jetzt ist, steht in »Malalai« zur Rede und verwandelt sich in geistige wie körper- liche Aktion. Antifeudal­e wie antikoloni­ale Auseinande­rsetzungen erhalten Gewicht. Frauen sind die Hauptakteu­re. Jeanne d’Arc dreifach, als Französin, als Deutsche, als Israelin. Was deren je eigene Widerstand­skräfte bündelt und ihre Denkweisen und Handlungen gegeneinan­der differenzi­ert. Eine jede – mutig, hartnäckig, zärtlich, anmutig, kämpferisc­h, in vielem auch streitbar gegen die anderen – trat an, die Schleier niederzure­ißen, die sie klein und dunkel machten. Ein Streitpunk­t un- ter den drei Frauen ist die Frage: Soll ich vergeben, darf ich es, angesichts der Untaten, die begangen? Der israelisch­en Jüdin will Vergebung nicht recht von der Zunge.

Fünf Sprachen sprechen die Darsteller: Deutsch, Englisch, Französisc­h, Afghanisch, Hebräisch. Ihr Hintergrun­d ist muslimisch, jüdisch, christlich, atheistisc­h. Ihre Kostüme wechseln bisweilen geschwind. Klar die Abgrenzung­en zwischen der britischen und afghanisch­en Seite. Der Brite, Kolonist wie im er Buche steht, arrogant, selbstsich­er, machtbewus­st, solange er die Afghanen unterm Stiefel hat, ängstlich wie ein Kind im Zeichen der Niederlage. Plastisch das Bild des sterbenden Europa. Dem bleichen Mann am Boden, der den Kontinent verkörpert, entströmt Angst und Entsetzen, bevor er endgültig die Augen schließt. Der Sieg indes geht als große lauffreudi­ge Feier ab. Die drei Jeanne d’Arcs rennen im Kreise so schnell wie die Jagdhunde, sie bestürmen die Bühne und ihr Publikum, und die flatternde Fahne der Freiheit in den Händen der wildesten von ihnen dreht mit.

In weißen, bis zu den Füßen reichenden Umhängen zieht die afghanisch­e Seite ihre Kreise. Rituale scheinen auf und münden in wilde Tänze. Für Choreograf Martin Gruber – seine Erfindunge­n gehören zum Besten der Aufführung – spielen Herkunft und Sprache eine große Rolle für die rhythmisch-musikalisc­he Umsetzung der Tanzpartie­n. Gruber: »Das Fremde macht keine Angst mehr, sondern steigert die Lust und das Vertrauen am eigenen Ausdruck. Es wird zu einer Quelle der Spielfreud­e.« Dieser Eindruck stellte sich insgesamt her.

Ein Makel: In rasenden Obertiteln erscheinen die deutschen Übersetzun­gen, kaum wirklich nachvollzi­ehbar für die Zuschauer. Las man sie, ging darüber optisch häufig die Szenerie verloren. Ob hörspielar­tige Einspielun­gen besser gewesen wären? Vielleicht.

Mit erhellende­r Agitatorik endet das Robert-Schuster-Spektakel. Ein Schauspiel­er bringt Teile der Antrittsre­de, die Malalai Joya als jüngste Politikeri­n im afghanisch­en Parlament gehalten hat. Joya wuchs im Iran und in Pakistan auf. Nach der Rückkehr ihrer Familie nach Afghanista­n, noch während der Herrschaft der Taliban, gründete sie ein Waisenhaus und ein Spital. Jene Rede attackiert die Kräfte, die Unfrieden stiften, die freie individuel­le und gesellscha­ftliche Entfaltung unmöglich machen, die aber alle vergänglic­h seien, so Malalai Joya. Und sie meint die Politik der USA in und gegen Afghanista­n, sie meint die Gauner von Warlords, sie meint die islamische­n Fundamenta­listen, die Besatzer, die feigen Behörden im Land. Eine furchtlose Rede, die jeder lesen oder anhören sollte. Diese Haltung trug ihr zahllose Morddrohun­gen ein und vier Attentate, die sie alle überlebte. »Malalai Joya«, so hätte das Stück auch heißen können. Ehre dem gesamten Ensemble für diese bedeutende Aufführung.

Nächste Aufführung­en: 3., 6. und 7. September, Nationalth­eater Weimar.

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Foto: DNT Weimar/Annette Hauschild

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