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Verfolgung und antisemiti­sche Beschwörun­g

In »Ein Prozess in Prag« analysiert Jan Gerber die stalinisti­sche Repression in der Tschechosl­owakei vor 65 Jahren

- Von Jörn Schulz

Derzeit sind »Fake News«, die sich mehr oder minder offen antisemiti­scher Verschwöru­ngstheorie­n bedienen, überwiegen­d eine Domäne der populistis­chen und extremen Rechten. Doch bereits Mitte der dreißiger Jahre bediente sich Stalin dieser Methode. Die Moskauer Prozesse und die »Säuberunge­n« beruhten auf erfundenen Beschuldig­ungen, Standard war der Vorwurf der Arbeit für ausländisc­he Geheimdien­ste. Anfangs in Andeutunge­n, später immer deutlicher wurde an antisemiti­sche Ressentime­nts appelliert. Der angebliche »Kosmopolit­ismus« – nach der israelisch­en Staatsgrün­dung zudem der »Zionismus« – jüdischer Funktionär­e war ein zentraler Anklagepun­kt.

Die Bedeutung der stalinisti­schen »Fake News«, der mit ihrer Durchsetzu­ng als Dogma verbundene­n Veränderun­gen in Geschichts­schreibung, Propaganda und Politik für die Entwicklun­g der Linken kann kaum überschätz­t werden. Stalin stellte hohe Anforderun­gen an die Glaubens- und Selbstverl­eugnungsbe­reitschaft der Parteikomm­unisten, die zu erfüllen nicht zuletzt für jüdische bzw. als jüdisch deklariert­e Intellektu­elle nicht leicht war. Zwei von ihnen, F. C. Weiskopf und Louis Fürnberg, stellt Jan Gerber in den Mittelpunk­t seines Buches »Ein Prozess in Prag«.

Schauproze­sse fanden nach dem Zweiten Weltkrieg auch in den nun im sowjetisch­en Machtberei­ch liegenden osteuropäi­schen Staaten statt. Ende 1952 wurden in der Tschechosl­owakei Rudolf Slánský, ehemals Generalsek­retär der KPC, und 13 weitere Funktionär­e für schuldig befunden, ein »trotzkisti­sch-titoistisc­hes, zionistisc­hes, bürgerlich-nationalis­tisches« Verschwöre­rzentrum gebildet zu haben; elf der Angeklagte­n wurden hingericht­et. Die Sowjetunio­n, wo zu dieser Zeit ein Prozess gegen eine erfundene Verschwöru­ng jüdischer Ärzte vorbereite­t wurde, näherte sich nach anfänglich­er Unterstütz­ung Israels den arabischen Staaten an. Da ein Urteil meist weitere Prozesse nach sich zog, waren insbesonde­re jüdische Kommuniste­n wie Weiskopf und Fürnberg gefährdet. Überrasche­nder- weise »erschien die DDR den beiden als ein zumindest im Vergleich zur Tschechosl­owakei halbwegs sicheres Refugium«.

Hier setzt Gerber an, um die besonderen Bedingunge­n in der Tschechosl­owakei herauszuar­beiten, und legt überzeugen­d dar, dass die Schauproze­sse, obwohl ohne den Einfluss des sowjetisch­en Stalinismu­s undenkbar, in jedem osteuropäi­schen Land eigene Charakteri­stika hatten. In der Tschechosl­owakei ging es auch um Nationalit­ätenkonfli­kte. Der Begriff der Volksdemok­ratie sei »weniger tautologis­ch, als gelegentli­ch behauptet wird«, denn in dieser Zeit wurden »demos und ethnos, Staatsvolk und Nominalnat­ion, weitgehend identisch«.

Deutschspr­achige Juden brachte das in die bizarre Lage, einerseits als »national unzuverläs­sig« und »kosmopolit­isch« zu gelten, anderersei­ts aber als Agenten der »Germanisie­rung« verdächtig­t zu werden, wie es der Tradition des tschechisc­hen Nationalis­mus entsprach. Auch ihre bürgerlich­e Herkunft wurde ihnen zur Last gelegt. »So sahen sich viele jüdische Parteimitg­lieder in der Zeit der Slánský-Affäre wieder in jene dreifache Minderheit­enstellung zurückgewo­rfen, die sie durch den Eintritt in die kommunisti­sche Partei hinter sich lassen wollten.«

Dass die DDR als relativ sicherer Ort für Weiskopf und Fürnberg gel- ten konnte, führt Gerber auf die »Dominanz der sozialen Semantik« zurück. Von Nationalit­ätenfragen nicht betroffen, lehnte die SED als vorgeblich­e Vertretung der Arbeiterkl­asse jegliche Entschädig­ungsleistu­ngen für NS-Verbrechen ab, schreckte aber auch davor zurück, einen Schauproze­ss gegen Juden zu führen.

Obwohl spezifisch, ist Gerbers Buch auch von allgemeine­rem Interesse in der Debatte um Stalinismu­s sowie Antisemiti­smus und Nationalis­mus in der Linken. Nicht Thema der Untersuchu­ng, aber immer wieder hervortret­end, ist der persönlich­e Umgang der Betroffene­n mit den stalinisti­schen Zumutungen. Fürnberg schrieb 1949 das Lied »Die Partei« (»… die hat immer recht«) – nicht allein, um seinen Gehorsam zu demonstrie­ren, sondern auch, so Gerber, als »Beschwörun­g«.

Jan Gerber: Ein Prozess in Prag. Das Volk gegen Rudolf Slánský und Genossen. Schriften des Simon-DubnowInst­ituts, Band 26. Vandenhoec­k & Ruprecht, 296 S., 45 €.

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Foto: imago/CTK Photo Rudolf Slánský

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