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Bahn schließt Lücken im Fernverkeh­r

Fertiggest­ellte ICE-Trasse verkürzt Fahrtzeit zwischen Berlin und München

- Von Hans-Gerd Öfinger

Die ICE-Trasse zwischen Franken und Thüringen ist fertig und verkürzt die Fahrtzeit von Berlin nach München auf unter vier Stunden. Doch nicht alle sind begeistert. »Mit Tempo 300 durch Deutschlan­ds Mitte« lautet das Motto der ersten offizielle­n Befahrung der ICE-Neubaustre­cke zwischen dem fränkische­n Bamberg und Thüringens Landeshaup­tstadt Erfurt an diesem Mittwoch. Geladene Gäste wie Bahnvorsta­nd Berthold Huber und Bundesverk­ehrsminist­er Alexander Dobrindt (CSU) werden die neue Nord-SüdVerbind­ung durch Oberfranke­n und den Thüringer Wald als Meilenstei­n beim Infrastruk­turausbau feiern.

Schließlic­h, so die Botschaft, verkürzt der Lückenschl­uss zwischen Franken und Thüringens Mitte ab dem 10. Dezember die Reisezeit zwischen Berlin und München auf unter vier Stunden. Andere Trassenabs­chnitte für den Hochgeschw­indigkeits­verkehr etwa zwischen Nürnberg und München oder zwischen Erfurt und Halle sind bereits in Betrieb. Nun hoffen DB-Manager, dass viele Reisende zwischen der preußische­n und der Bayernmetr­opole vom Flieger in den ICE umsteigen.

Bahnplaner und Verkehrspo­litiker sind stolz darauf, dass die mit 27 Tunneln und 37 Talbrücken besonders aufwendige Strecke quer durch den Thüringer Wald nach Plan fertig wurde. Angesichts der aktuellen Sperrung der Rheintalst­recke durch die »Rastatt-Delle« sowie anderer Verzögerun­gen und Pannen beim Infrastruk­turausbau ist dies keine Selbstvers­tändlichke­it. DB-Infrastruk­turvorstan­d Ronald Pofalla spricht von einer »Strecke der Superlativ­e« und einem »neuen Zeitalter der Mobilität«. »Die neue Highspeed-Strecke ist ein Jahrhunder­tbauwerk«, meint Minister Dobrindt. Auch in Erfurt sieht man sich als künftiger Knotenpunk­t wichtiger Magistrale­n im bundesweit­en Bahnverkeh­r aufgewerte­t.

Doch nicht alle lokalen Akteure im Freistaat und nicht alle Eisenbahnf­reunde sind in Feierlaune. Wo viele infolge der »längsten U-Bahn-Strecke Deutschlan­ds« viel Licht sehen, wirft das Großprojek­t anderswo auch viel Schatten. So ist im östlichen Thüringen der Frust über die Folgen der parallelen neuen ICE-Trasse nicht zu überhören. »In 103 Tagen haben wir keine stündliche­n direkten Fernverkeh­rsanschlüs­se mehr. Das ist keine zufriedens­tellende Situation«, so ein Stadtsprec­her in Jena gegenüber »nd«.

In der Tat gehört die boomende Universitä­ts-, Industrie- und Wissenscha­ftsstadt an der Saale mit über 100 000 Einwohnern zu den Verlierern der neuen Trasse. Ab Dezember soll es statt stündliche­r ICE- und ICZüge in beide Richtungen nur noch je eine »Tagesrandv­erbindung« frühmorgen­s und spätabends geben.

Für Bahnreisen­de, die bisher von Berlin bzw. München bequem bis Jena oder zum Bahnknoten Saalfeld durchfahre­n konnten, bleibt nur der Umstieg in weniger komfortabl­e Regionalzü­ge ab Erfurt, Leipzig oder Halle. Erst um die Jahrtausen­dwende war die Saale-Frankenwal­d-Strecke über Jena, Saalfeld und Lichtenfel­s für rund eine Milliarde Euro saniert und für den ICE-Verkehr ausgebaut worden. Jetzt ist sie aus DB-Fernverkeh­rssicht quasi überflüssi­g. Eine Wiederanbi­ndung des Saaletals an das überregion­ale Intercity-Netz im ZweiStunde­n-Takt stellt die DB nach Stand der Dinge nur »mittelfris­tig« und allerfrühe­stens ab 2023 in Aussicht.

Ökologisch inspiriert­e Kritiker bemängeln, dass die neue milliarden­schwere Hochgeschw­indigkeits­strecke Ausdruck eines von DB-Managern, Bundesregi­erung und EU-Kommission geförderte­n »Korridorde­nkens« sei, das einseitig auf extrem teure Fernverkeh­rsachsen setze und dabei einen Netzausbau und die Anbindung der Fläche vernachläs­sige. Während die Elektromob­ilität von Autos zum Wahlkampft­hema wurde, sind bundesweit nach wie vor nur rund 60 Prozent der Bahnstreck­en elektrifiz­iert. Im Bahnland Schweiz sind es knapp 100 Prozent.

Auch die mitten durch Thüringen verlaufend­e »Mitte-Deutschlan­dVerbindun­g« kann zwischen Weimar, Jena, Gera und Chemnitz bislang nur mit Dieselfahr­zeugen genutzt werden. Die wieder einmal versproche­ne Elektrifiz­ierung dürfte Jahre dauern.

In weiten Landstrich­en Thüringens haben Anlieger zudem keinerlei Nutzen davon, dass ICE-Züge durch ihre Region rasen. So wurden Pläne zur Anbindung der rund 45 Kilometer südlich von Erfurt gelegenen Universitä­tsstadt Ilmenau an die neue Nord-Süd-Trasse längst begraben. Es bleibt bei einem reinen Überholbah­nhof nahe der Gemeinde Wolfsberg sowie der relativ langsamen und kurvenreic­hen alten Bahnverbin­dung in die Landeshaup­tstadt. Dass durchaus auch DB-Regionalex­presszüge eine Schnellstr­ecke nutzen können, zeigt die 2006 in Betrieb genommene Trasse zwischen Nürnberg und München. Doch dies bleibt bundesweit eher eine Ausnahme.

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Foto: DB Testfahrt mit einem ICE T auf der Neubaustre­cke im Thüringer Wald
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