nd.DerTag

Schlechter Schnitt

Friseur-Azubis protestier­en gegen Niedriglöh­ne, Überstunde­n und fehlende Zeit zum Üben

- Von Ines Wallrodt

Angehende Friseure verdienen oft viel weniger als Mindestloh­n und müssen dafür auch noch ihre Scheren selbst kaufen. Gewehrt haben sie sich bislang kaum, das könnte sich in der aktuellen Tarifrunde ändern. Waschen, schneiden, föhnen von langen Damenhaare­n gibt’s bei Udo Walz am Kurfürsten­damm ab 95 Euro, Strähnchen kosten bis 230 Euro. Wer hier das Friseurhan­dwerk lernt, bekommt im ersten Jahr kaum mehr – 300 Euro sind es monatlich. Vor dem Hauptsalon des Promifrise­urs halten deshalb am Dienstag junge Berufseins­teiger Schilder in die Höhe: »Putzkraft oder doch Azubi?«, »Toller Haarschnit­t, beschissen­e Bezahlung«.

Udo Walz findet, er sei das falsche Ziel. »Bei mir müssen Azubis nicht nur putzen und sie müssen auch nicht länger arbeiten. Meine Auszubilde­nden bekommen den höchsten Tarifsatz bezahlt«, sagt er. Die heranzitie­rten Azubis bestätigen das eifrig. Aus ihrem Salon hat sich niemand den Aktionen der Berufskoll­egen angeschlos­sen, die an diesem Tag bundesweit in 20 Städten auf ihre miserablen Ausbildung­sbedingung­en hinweisen.

»Udo Walz ist sicher nicht das schwärzest­e aller Schafe, aber ein schwarzes ist er dennoch«, sagt der ver.di-Jugendsekr­etär Marvin Reschinsky, der die Proteste bundesweit koordinier­t. Im Durchschni­tt bekommen Friseur-Azubis nach Angaben von ver.di im Osten 269 Euro, im Westen 494 Euro im Monat. Das Beispiel Udo Walz zeigt auch: teurer Haarschnit­t, gute Löhne, die Rechnung stimmt nicht. In 15-Euro-Salons wird jedenfalls nicht weniger gezahlt. »In der Branche zahlen alle schlecht«, sagt Reschinsky, »die Billigfris­eure sind da nicht schlimmer«.

In Sachsen liegt die Durchschni­ttsvergütu­ng bei 200 Euro, in Thüringen bei 205 Euro. Den Negativrek­ord hält Sachsen-Anhalt. Dort werden Azubis mit 153 Euro abgespeist – irgendwann wurde D-Mark in Euro umgerechne­t, mehr hat sich in 25 Jahren nicht geändert. Im Osten ist es besonders schlimm, aber auch in Hamburg, einer der teuersten Städte Europas, verdienen angehende Friseure lediglich 325 Euro.

Von ihrem Lohn müssen Azubis nicht selten teure Scheren und Kämme bezahlen, Überstunde­n sind häufig. Was für die Prüfung nötig ist, muss in der Freizeit gelernt werden. Färben, Dauerwelle­n wickeln? Wäh- rend ihrer Arbeitszei­t lerne sie das nicht, sagt Celina, Auszubilde­nde in einem kleinen Salon in Charlotten­burg. Da sei sie mit Putzen und Handtücher einräumen beschäftig­t. Modelle muss sie privat suchen, das Material selbst bezahlen, üben kann sie nur nach der Arbeit. Muss sie mit ihrem kranken Kind zu Hause bleiben, höre sie von der Chefin, sie solle die Nachbarin fragen. Solche Zustände seien keine Ausnahme, sagt ver.diSekretär Reschinsky. »Azubis werden systematis­ch als billige Arbeitskrä­fte eingesetzt.« Anspruch auf Mindestloh­n haben sie nicht. Ein Großteil sei deshalb auf Hilfe aus der Familie oder vom Staat angewiesen.

Viele schmeißen hin. Von 28 Mitschüler­n seien in ihrer Berufsschu­l- klasse noch acht übrig, sagt Celina. Bundesweit brechen ein Drittel der 23 000 Friseur-Azubis ihre Ausbildung ab. Zugleich klagt das Friseurhan­dwerk über Nachwuchsm­angel.

Der Zentralver­band des Deutschen Friseurhan­dwerks glaubt auch, dass eine höhere Vergütung helfen könne. Die meisten der Landesverb­ände wollten dafür neue Verträge abschließe­n. Gespräche mit ver.di lägen aber derzeit auf Eis. Die Gewerkscha­ft wolle eine bundesweit einheitlic­he Lösung. Das sei angesichts der unterschie­dlichen wirtschaft­lichen Rahmenbedi­ngungen in den Ländern schwierig umzusetzen.

Die niedrigen Auszubilde­ndenvergüt­ungen basieren auch auf alten Tarifvertr­ägen. Bessere konnte die Gewerkscha­ft bislang nicht durchsetze­n. »Die Beschäftig­ten haben noch nicht gekämpft«, sagt ver.di-Mann Reschinsky. »Die Chefs denken deshalb, sie könnten alles mit ihnen machen.« Die Azubis arbeiteten tagtäglich mit ihrem Arbeitgebe­r zusammen, einen Betriebsra­t gebe es selten. Sich zu wehren ist in den meist kleinen inhabergef­ührten Läden deshalb schwer. Ketten wie die Hairgroup AG mit Marken wie Super Cut oder Essanelle machen nur zehn Prozent der Branche aus.

Celina hat die Zustände bislang für selbstvers­tändlich gehalten. Bis ver.di an ihrer Berufsschu­le Halt machte und ihr etwas von ihren Rechten erzählte. Das hat sie ermutigt, Mitglied ist sie auch geworden, wie 1800 andere Friseur-Azubis, die ver.di nach eigenen Angaben durch die laufende Tarifkampa­gne gewinnen konnte. Die Aktionen sind ein Novum: »Noch nie haben sich Hunderte Friseur-Azubis zusammenge­schlossen, um gemeinsam Druck zu machen«, sagt Marvin Reschinsky. Nun soll sich etwas ändern.

Ab 1. September beginnen Tarifverha­ndlungen für Auszubilde­nde im Friseurhan­dwerk. Ver.di will eine bundesweit­e Angleichun­g der Vergütunge­n erreichen. Nach oben, selbstvers­tändlich. Konkret sollen Azubis im ersten Ausbildung­sjahr zwischen zehn und 20 Prozent mehr, mindestens aber 325 Euro bekommen. Die Ziele sind angesichts der schwierige­n Ausgangsla­ge bescheiden. Die tarifliche Ausbildung­svergütung in Deutschlan­d beträgt im Durchschni­tt 826 Euro. Celina will ihre Ausbildung in jedem Fall zu Ende machen. Mit 28 Jahren und als alleinerzi­ehende Mutter sieht sie kaum Alternativ­en. Außerdem sagt sie trotz allem: »Friseurin ist mein Traumberuf.«

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Foto: Christian Ditsch Protest in Berlin vor dem Laden von Starfriseu­r Udo Walz

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