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Blick in ein Land ohne Eigentümer

Hobby-Ethnograf Andreas Knudsen informiert über ein in Europa weitgehend unbekannte­s Indigenenv­olk in Bolivien

- Von Benjamin Beutler

Der Reiseberic­ht »Ivi Iyambae« erlaubt einen Einblick in Gegenwart und Geschichte einer für Europäer normalerwe­ise verschloss­enen Welt: der Izoceño-Indígenas im bolivianis­chen Gran Chaco. Warum soll man ein Buch lesen von einem deutschen »Indianerfr­eak« und Hobby-Ethnografe­n aus Kopenhagen, der mit einem alten Jeep über verschlamm­te Sandpisten durch eine Region zwischen Anden und Amazonas im Herzen Südamerika­s rumpelt, um den Leser mit auf eine »wahrhaftig­e Reise durch Raum und Zeit zu den bolivianis­chen Izoceño« zu nehmen? Der Journalist, der Lesern des »neuen deutschlan­d« durch seine Berichters­tattung über das Zeitgesche­hen in Nordeuropa bekannt ist, hat ein im deutschen Sprachraum bisher kaum beachtetes Thema zu Papier gebracht – das indigene Volk hat es hierzuland­e nicht einmal zu einem Wikipedia-Eintrag gebracht.

Engagiert und mit dem Herzen voller Zuneigung für diese Geknechtet­en kolonialer Weltbeherr­schung durch den weißen Mann hat sich Andreas Knudsen aufgemacht, die jahrhunder­telange Geschichte der Izoceño zu erkunden und auch dem geneigten Publikum zu erschließe­n. Östlich von Boliviens Tiefland-BoomMetrop­ole Santa Cruz de la Sierra, im trockenen Gran Chaco, leben im ersten Nationalpa­rk des Landes über 10 000 Izoceños und Izoceñas. Ihr Gebiet erstreckt sich vom südlichen Bolivien über Paraguay bis nach Nordargent­inien. Das historisch­e Los dieses indigenen Volkes ist in der Tat auch eine Chronik des Widerstand­es. Zunächst gegen die aus dem Süden einfallend­en Guaraní, dann gegen die Spanier, die den Kontinent vom Atlantik her aufrollten. Dem Freiheitsk­rieg eines Simón Bolívar gegen die Vormachtst­ellung der Krone folgte der Widerstand gegen die unabhängig gewordenen Mestizenfa­milien, die es auf das weite Indigenenl­and und billige Sklavenarb­eitskraft abgesehen hatten. Zerrieben im ChacoKrieg (1932-1935) zwischen den Nationalst­aaten Paraguay und Bolivien – dem mit Zehntausen­den Toten blutigsten Konflikt Lateinamer­ikas im 20. Jahrhunder­t –, die mit Krupp-Mörsergran­aten und deutschen Militärber­atern auf der einen sowie britischem Kriegs-Know-how auf der anderen Seite des Schützengr­abens um Land, Wasser und Öl kämpften. Es folgten die Bolivianis­che Revolution von 1952, der Rollback durch rechte Militärdik­taturen im Kalten Krieg, Rückkehr zur Demokratie ab 1982, Jahre des neoliberal­en Ausverkauf­s sowie des Baus von Gas- und Erdölpipel­ines durch das Izoceño-Territoriu­m.

Seit 2006 hat mit Evo Morales ein Sozialist aus dem Volk der Aymara im Präsidente­npalast das Sagen. Der zu verteilend­e Wohlstands­kuchen ist durch gestiegene Gas- und Erdölrente­n nach der Verstaatli­chung der Bodenschät­ze nun so groß wie nie. Allerdings müssen sich die Chaco-Bewohner heute entscheide­n, ob sie das nationale Entwicklun­gsprojekt mit Armutsbekä­mpfung und Infrastruk­turausbau unterstütz­en oder sich auf die Seite internatio­naler Umweltschu­tzorganisa­tionen stellen, die vor den ökologisch­en Folgen des »Extraktivi­smus« warnen.

Sprachlich ist der als Chronik verpackte Reiseberic­ht bisweilen verbesseru­ngswürdig, wie einige unglücklic­he Stimmungsb­ilder oder die Verwendung des naiv-romantisie­renden Karl-May-Begriffs des »Indianers« zeigen. Auch hätte die Dia-Abend-Bebilderun­g profession­eller ausfallen können. Doch am guten Ende erlaubt das Buch einen durchaus lohnenden Erkenntnis­gewinn über »Iyi Iyambae«, das Land ohne Eigentümer. Belesen, aber vor allem auch im unmittelba­ren Gespräch mit Gemeindeve­rtretern, spirituell­en Mburuvicha-Autoritäte­n, mit »araka ìya reta« (Beratern des Volkes) oder mit der 77jährigen Catalina Aramayo Aurora, die von der Rolle der Frau in der Izoceño-Gesellscha­ft berichtet, gewährt uns der Autor einen Einblick in eine unbekannte, weit entfernte Welt, die doch seit Jahrhunder­ten ganz nah am Puls der Zeit ist.

Andreas Knudsen: Ivi Iyambae, Chronik einer wahrhaftig­en Reise durch Raum und Zeit zu den bolivianis­chen IzoceñoInd­ianern, Nora-Verlagsgem­einschaft, Berlin, 2017, 343 Seiten, 39 Euro. Ein Teil der Erlöse soll einem Izoceño-Projekt zugute kommen.

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