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Hardliner-Urteil in Hamburg: Zwei Jahre und sieben Monate

Im ersten Prozess gegen einen G20-Demonstran­ten wurde ein hartes Urteil gefällt. Dennoch will die Union die Gesetze weiter verschärfe­n

- Von Moritz Wichmann

Der Amtsrichte­r begründete das ungewöhnli­ch hohe Strafmaß für die Beteiligun­g an G20-Ausschreit­ungen mit der Gesetzesve­rschärfung zum Angriff auf Polizisten. Der 21-jährige Peike S. ist vom Amtsgerich­t Hamburg wegen seiner Beteiligun­g an den Ausschreit­ungen im Umfeld des G20-Gipfels in Hamburg verurteilt worden. Der Prozess ist der erste von noch folgenden, deren Urteile wegen einer kürzlich in Kraft getretenen Gesetzesve­rschärfung hart ausfallen könnten.

Am späten Abend des 6. Juli soll der Angeklagte im Hamburger Schanzenvi­ertel zwei Flaschen auf Polizeibea­mte einer Berliner Hundertsch­aft geworfen haben. Sie begleitete­n an jenem Donnerstag­abend eine der Spontandem­onstration­en, die sich nach der Auflösung der autonomen »Welcome to Hell«-Demonstrat­ion gebildet hatten. Eine Flasche habe einen 30 Jahre alten Berliner Bereitscha­ftspolizis­ten am Helm, die zweite am Bein getroffene­n. Er habe dabei »einen kurzen Schmerz im Nacken gespürt, gibt der Beamte im Prozess an. Er ließ sich nicht behandeln oder krankschre­iben und nahm den 21-Jährigen aus Amsterdam anschließe­nd mit Kollegen fest. Am Montag stand Peike S. nun wegen schweren Landfriede­nsbruchs, gefährlich­er Körperverl­etzung, des besonders schweren Angriffs auf Vollstreck­ungsbeamte und auch wegen Widerstand gegen Polizeibea­mte vor Gericht. Der Angeklagte hatte sich bei seiner Festnahme in einer Embryonalh­altung zusammenge­kauert. Damit habe er sich – weil er dabei seine Muskeln anspannte – der Festnahme widersetzt, so der zuständige Richter Johann Krieten. Sein Urteil: Zwei Jahre und sieben Monate Haft.

Damit ging das Amtsgerich­t sogar über die Forderung der Staatsanwa­ltschaft hinaus. Die hatte bei dem Angeklagte­n »erhebliche kriminelle Energie« gesehen, dafür ein Jahr und neun Monate Haft beantragt und gefordert aus »generalprä­ventiven« Gründen auch die »bürgerkrie­gsähnliche­n Zustände« in das Urteil einfließen zu lassen. Gemeint sind die Ausschreit­ungen am Freitagabe­nd des 7. Juli. Doch zu diesem Zeitpunkt saß der Niederländ­er schon in Untersuchu­ngshaft.

Mit der hohen Haftstrafe will Richter Krieten offenbar ein Exempel statuieren. Laut den Prozessbeo­bachtern von »United We Stand« ist er seit Jahren dafür bekannt, harte Strafen gegen Jugendlich­e wegen verschiede­ner Vergehen zu verhängen. Vertreter_innen der Gruppe protestier­ten vor dem Amtsgerich­t gegen den »unbedingte­n Verfolgung­swillen des Staates« und »Feindstraf­recht«.

Die Verteidige­rin des Angeklagte­n hatte auf Freispruch plädiert, weil die Ergebnisse der Beweisaufn­ahme nicht ausreichte­n, um ihren Mandanten zweifelsfr­ei zu identifizi­eren. Ein Zeuge etwa habe angegeben den Verdächtig­en aus den Augen verloren zu haben. Im Prozess sagten die Beamten aus, der Flaschenwe­rfer habe Rastalocke­n getragen. Doch Peike S. hat keine Rastas, sagte die Verteidige­rin Verena Speckin dem »nd«. Die Embryonalh­altung bei der Festnahme sei eine »Schutzhalt­ung« ihres verängstig­ten Mandanten gewesen.

Das hohe Strafmaß begründete Amtsrichte­r Krieten auch mit der am 30. Mai in Kraft getretenen Verschärfu­ng des Strafrecht­sparagrafe­n 114. Angriffe auf Polizeibea­mte, auch bei einfachen »Diensthand­lungen«, wie Streifenfa­hrten und Unfallaufn­ahmen, können nun mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft werden. Der Republikan­ische Anwaltsver­ein hatte die Gesetzesve­rschärfung Anfang des Jahres als »völlig unverhältn­ismäßige Strafandro­hung für Bagatellha­ndlungen« kritisiert. Mit der Maßnahme werde ein »Sondergese­tz« geschaffen, das schon ein »folgenlose­r Schubser« gegen Beamte hart bestraft werden könne. Auch der Deutsche Anwaltsver­ein und der Deutsche Richterbun­d kritisiert­en das Gesetz. Richter Krieten sieht das offenbar anders. Er nutzte die Verschär- fung, um ein Signal zu setzen. Die Gerichte müssten sich vor die Beamten stellen: »Polizisten sind kein Freiwild für die Spaßgesell­schaft oder – wie Freizeitfo­rscher das verharmlos­end nennen – für erlebnisor­ientierte Gewalttäte­r«, so der Richter.

Vor allem um den Schutz der Grundrecht­e von Demonstran­t_innem sorgt sich dagegen die Hamburger Linksparte­i. »Sollten die Richter_innen in den anstehende­n weiteren Verfahren ebenfalls derart absurd hohe Strafen verhängen, wäre das ein besorgnise­rregender und nicht hinnehmbar­er Angriff auf die Grundrecht­e«, erklärte Martin Dolzer, justizpoli­tischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE in der Hamburgisc­hen Bürgerscha­ft. Das Urteil sei »vollkommen unverhältn­ismäßig«, so Holzer gegenüber dem »nd«. Er hofft auf ein milderes Urteil in der nächsten Instanz und in weiteren Prozessen.

Ein Indiz dafür lieferte ein weiteres Verfahren. Ein polnischer G20Gegner wurde am Dienstag in Hamburg zu sechs Monaten auf Bewährung verurteilt. Stanislav B. war im Umfeld der Proteste mit Feuerwerks­körpern, Pfefferspr­ay, potenziell­en Wurfgescho­ssen und einer Schutzbril­le festgenomm­en worden. Sein Verteidige­r Jonathan Burmeister kündigte an, in Berufung zu gehen.

»Sehr bedenklich« sei die Tatsache, dass von den insgesamt 28 noch in Untersuchu­ngshaft befindlich­en G20-Gegnern 19 Nichtdeuts­che seien. Laut Dolzer haben sie alle einen »geregelten« Hintergrun­d, Fluchtgefa­hr bestehe nicht. So sieht Dolzer eine durch EU-Recht verbotene Benachteil­igung aufgrund ihrer Herkunft.

Nach Angaben der Staatsanwa­ltschaft Hamburg laufen derzeit 109 Ermittlung­sverfahren gegen namentlich bekannte Beschuldig­te und weitere 64 gegen Unbekannte. Laut internen Zahlen der Hamburger polizeilic­hen Sonderkomm­ission »Schwarzer Block«, die dem »Spiegel« vorliegen, wird derzeit in 2036 Fällen gegen G20-Gegner ermittelt. Innenpolit­iker von CDU/CSU reicht das offenbar nicht. In einem Positionsp­apier fordern sie, zukünftig auch Mitläufer bei Ausschreit­ungen strafrecht­lich zu belangen. Laut Angaben des Redaktions­netzwerk Deutschlan­d sind Bundesinne­nminister Thomas de Maizière (CDU) und Bayerns Innenminis­ter Joachim Herrmann (CSU) für das Papier verantwort­lich. Sie wollen auch jene bestrafen, die »Angreifer unterstütz­en, indem sie Schutz in der Menge bieten«. Um das zu erreichen, soll der Straftatbe­stand des Landfriede­nsbruchs »erweitert« werden. Auch eine »Sympathiew­erbung« für terroristi­sche und kriminelle Vereinigun­gen« will die Union künftig bestrafen – so heißt es in dem Papier.

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