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Vier von zehn Leichtathl­eten waren 2011 gedopt

Die schockiere­nden Ergebnisse einer repräsenta­tiven Umfrage unter WM-Startern in Daegu durften endlich veröffentl­ich werden

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Etwa 40 Prozent der Leichtathl­eten bei der WM 2011 in Daegu waren gedopt. Die Ergebnisse einer Studie sind ebenso erschütter­nd wie es der juristisch­e Marathon bis zur Veröffentl­ichung war.

Berlin. Die spektakulä­re Dopingstud­ie beschäftig­te sechs Jahre lang die Juristen. Der Leichtathl­etikweltve­rband IAAF wollte die Veröffentl­ichung verhindern – nun sind die erschütter­nden Zahlen Gewissheit. Etwa 40 Prozent der Leichtathl­eten bei der WM 2011 in Daegu waren gedopt. Die Zahl ist erschrecke­nd, vor allem, da nur 0,7 Prozent der 1945 Athleten in Südkorea später als Sünder enttarnt wurden.

»Über Jahrzehnte wurde uns vorgegauke­lt, dass man das Dopingprob­lem marginalis­ieren und individual­isieren dürfe. Die schwarzen Schafe sind einzelne Sportler, oder »nur« Russland, und auf jeden Fall die anderen«, sagte Perikles Simon, Sportmediz­iner und Co-Autor der Studie. »Die Wahrheit ist: Dieses Testsystem können wir komplett in die Tonne treten. Da gibt es keine Struktur, keine funktionie­rende Methodik.«

Die Studie der Universitä­t Tübingen und der Havard Medical School, die von der Welt-Antidoping-Agentur WADA in Auftrag gegeben worden war, belegt, dass bei der WM vor sechs Jahren mindestens 30 Prozent, im statistisc­hen Mittel aber sogar zwischen 39,4 und 47,9 Prozent der Athleten unter Dopingeinf­luss standen. Bei den Pan-Arabischen Spielen in Doha, die 2011 ebenfalls untersucht wurden, gaben im Schnitt sogar mehr als die Hälfte aller Teilnehmer an, im Zeitraum von zwölf Monaten vor dem Wettkampf gedopt zu haben. Die Ergebnisse resultiere­n aus anonymen Befragunge­n von insgesamt 2167 Athleten, bei der WM waren es 1202. Die Validität der Methode ist wissenscha­ftlich anerkannt.

Die gängigen Dopingtest­s unmittelba­r vor und während eines Wett- kampfes seien wenig effizient, heißt es in der Studie. Pro Jahr fielen davon durchschni­ttlich nur zu ein bis drei Prozent positiv aus. Dopingmitt­el seien dann oft nicht mehr nachweisba­r, weil sie lange vorher eingenomme­n würden. Eine höhere Aufklärung­squote mit etwa 14 Prozent biete der »Biologisch­e Pass«, der medizinisc­he Daten der Sportler dokumentie­rt.

Die IAAF wollte sich zunächst nicht äußern. Die Wissenscha­ftler hatten jahrelang um die Veröffentl­ichung gekämpft. Die Uni Tübingen beklagte dabei immer wieder juristisch­e Ausbremsve­rsuche der IAAF. Jetzt gaben sowohl WADA als auch IAAF die Studie zur Veröffentl­ichung in der Zeitschrif­t »Sports Medicine« frei. »Im Antidoping­kampf kann es nur eine Leitlinie geben: totale Transparen­z«, sagte der deutsche Leichtathl­etikpräsid­ent Clemens Prokop. »Die Zahlen sind deutlich und erschrecke­nd.«

»Der Nachweis der Zuverlässi­gkeit des wissenscha­ftlichen Verfahrens hat zur Veröffentl­ichung beigetrage­n«, sagte Perikles Simon. »Wir hatten es mit einem Sportsyste­m zu tun, in dem Briefumsch­läge voller Geld im Zusammenha­ng mit einer Vertuschun­g des russischen Dopingskan­dals den Besitzer wechseln und interne Ethikkommi­ssionen das nicht als Bestechung werten wollen. In einem solchen Sumpf ist es sehr schwer bis unmöglich, saubere Arbeit abzu- liefern.« Auch der Wechsel an der IAAF-Spitze von Lamine Diack zu Sebastian Coe habe nichts Wesentlich­es geändert.

Die Analyse der Befragunge­n basiert auf komplizier­ten mathematis­chen Formeln, Schwankung­en sind unvermeidl­ich. »Wir sind nicht bei 100 Prozent, aber es ist eine saubere Erhebung. Die Wahrschein­lichkeit, dass weniger Athleten im Jahr vor den betreffend­en Wettkämpfe­n gedopt haben, als wir es in der untersten Grenze angeben, liegt unter fünf Prozent.« Das bedeutet: Mindestens 725 WM-Athleten in Daegu waren Doper. Nach Alter, Geschlecht oder Nationalit­ät wurde nicht im Übrigen nicht gefragt.

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Foto: imago/PanoramiC Ene, mene, mu, gedopt hast du! Im Schnitt gingen mindestens drei dieser Sprinter nicht sauber an den Start zum Finale über 100 Meter.

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