Digitales Technikwirrwarr
Vernetztes Wohnen soll auf der Technikmesse IFA den Massenmarkt erobern
Berlin. Wer nach einem Spiegelbild dafür sucht, welcher Innovationsdruck auf der Elektronikbranche lastet, muss nur einen Blick auf die Geschichte der an diesem Freitag in Berlin eröffnenden IFA werfen. Noch vor zehn Jahren fand eine der größten Messen für Fernseher, Telefone, Kühlschränke und Staubsauger alle zwei Jahre statt. Ausreichend Zeit für die Branche, an wirklichen Innovationen zu tüfteln, die überdies auch reif für den Massenmarkt sind.
Doch weil die Digitalisierung des gesamten Lebens immer schneller voranschreitet, findet die IFA seit 2006 jährlich statt. Für die mehr als 1800 Aussteller ergibt sich daraus ein Dilemma: Sie müssen der erwarteten Viertelmillion Besucher permanent Neuheiten präsentieren, auch wenn es sich dabei teilweise um unausgegorene Spielereien handelt.
Bereits vor 19 Jahren verkündete die Branche, dass das vernetzte Wohnen vor dem Durchbruch stehe, Kühlschränke sich ohne Zutun ihres Besitzers mit Lebensmitteln füllen würden oder die Kaffeemaschine schon blubbert, wenn ein Hausbewohner die Türschwelle überschreitet. Ein Zukunftsszenario, von dem auf der IFA 2017 wieder die Rede ist und das nun auch außerhalb der vier Wände einiger Technikenthusiasten Einzug in den Alltag halten soll. Versprochen!
Doch unter der Oberfläche eines Smartphones, das künftig als Steuerungszentrale für Gerätschaften im gesamten Haus dienen soll, herrscht digitaler Kabelsalat: Der Branche fehlt es an einheitlichen technischen Standards, Datenschutz spielt nur eine Nebenrolle, obwohl es längst Pläne gibt, sogar die Infrastruktur ganzer Städte zu vernetzen. Bisher wirkt es, als würden viele Unternehmen ihre Geräte so zusammenschrauben und programmieren, wie es ihnen gerade passt.
Seit Jahren verkünden Hersteller auf der IFA, dass vernetztes Wohnen auf dem Massenmarkt angekommen sei. Doch fehlende technische Standards und Datenschutzprobleme bremsen die Branche aus. Der Alltag könnte so bequem sein: Auf dem Nachhauseweg ein paar Klicks auf dem Smartphone, schon springt daheim die Kaffeemaschine an, das Thermostat stellt wie von Zauberhand die gewünschte Zimmertemperatur ein, die Rollläden an den Fenstern fahren hoch und obwohl der Kühlschrank Kilometer entfernt steht, lässt sich über die eingebaute Kamera ein kurzer Blick hineinwerfen, ob für das Abendessen vielleicht noch ein Umweg über die Kaufhalle nötig ist.
Die Geschichte des Smart Home, der vernetzten heimischen vier Wände, wo intelligente Geräte miteinander kommunizieren und von der Waschmaschine bis zur Überwachungskamera alles aus der Ferne steuerbar wird – diese Erzählung des modernen Wohnens ist zu einem Klassiker der IFA geworden. Eigentlich ein Widerspruch, geht es bei den vernetzten Toastern und Backöfen doch um die Alltagstechnik von morgen. Auf den internationalen Industriemessen erzählen viele Aussteller schon länger vom nahenden Durchbruch des smarten Heims: »Telefonierende Kühltruhen, sprechende Kühlschränke und Heizungen mit Anschluss zum Internet – schon bald sollen Computer auch im Haushalt das Kommando übernehmen. Erste Produkte sind bereits auf der diesjährigen Elektronikschau CeBIT zu sehen«, heißt es in einem Artikel der Wochenzeitschrift »Zeit« über die IFA-Konkurrenz aus Hannover. Das war allerdings bereits 1998.
19 Jahre danach gibt sich die Branche ebenso euphorisch, verlegt den Durchbruch aber weiter in die Zukunft: In einer aktuellen Studie des Verbands der Internetwirtschaft und der Beratungsgesellschaft Arthur D. Little heißt es, der Smart-Home-Markt in Deutschland wachse bis 2022 auf 4,3 Milliarden Euro an. Doch im Bereich der Haushaltstechnik und Elektronik sei dies eine eher überschaubare Summe. Allein mit Unterhaltungselektronik werden hierzulande jedes Jahr mehr als neun Milliarden Euro umgesetzt.
Letztlich trägt die Branche selbst eine gehörige Portion Schuld daran, dass der große Einstieg des vernetzten Wohnens in den Massenmarkt nur mühsam vorangeht. Wie der deutsche Industrieriese Bosch laut »Welt« vergangenes Jahr auf der IFA erklärte, handelt es sich laut einer Analyse bei 80 Prozent aller bisher verfügbaren smarten Geräte lediglich um Einzellösungen. Übersetzt heißt das: Für das eingangs beschriebene Szenario be- nötigt ein Anwender im schlechtesten Fall bisher vier unterschiedliche Programme, um seine Geräte über das Smartphone steuern zu können. Anstatt mittels offener Schnittstellen einheitliche Plattformen für alle Anwendungen zu ermöglichen, lassen sich oft entweder nur Geräte der gleichen Marke über eine App steuern oder bestenfalls noch vom Unternehmen sorgsam ausgesuchte Konkurrenten.
Ausgerechnet die aufgrund massiver Datenschutzbedenken umstrittenen US-Konzerne Amazon und Google könnten der Branche aber einen Schub geben. Beide Unternehmen legten mit ihren Sprachassistenten Alexa und Google Home schon Lösungsansätze vor, um Geräte verschiedener Hersteller plattformübergreifend zu vernetzen. Zwar sind die Anwendungsmöglichkeiten der kleinen Boxen mit eingebautem Mikrofon noch begrenzt, doch ständig wird nach neuen Partnern gesucht, kommen weitere Einsatzgebiete hinzu. Besonders interessant: Anstatt der Steuerung via Tastendruck über eine App werden die Geräte mittels Spracheingabe gesteuert. In der Technikbranche gilt dies derzeit als unkomplizierteste Lösung, um die Skepsis der Verbraucher zu senken.
Als von IT-Spezialisten viel gelobtes Beispiel strebt der Möbelriese Ikea in den Smart-Home-Markt. Zwar gibt es dort bisher lediglich »intelligente« LED-Lichter zu kaufen, doch die Schweden öffnen ihre Geräte nicht nur für die unterschiedlichsten Plattformen (darunter für Alexa und Google), sondern könnten auch selbst zu einem führenden Anbieter vernetzter Technik aufsteigen. Schließlich bietet Ikea längst nicht nur Möbel an, sondern baut auch sein Angebot an Heimelektronik aus.
Doch so begeistert die Industrie das vernetzte Wohnen feiert, so laut sind die Bedenken – besonders was den Datenschutz betrifft. Erst am Dienstag meldeten Forscher der Universitäten Erlangen-Nürnberg und Mannheim eine massive Sicherheitslücke bei den »smarten« Lampen mehrerer Hersteller. Den Forschern gelang es, die Leuchten aus einer Entfernung von über 100 Metern zu manipulieren. Das Problem: Auch andere vernetzte Haushaltsgeräte nutzen ähnlich schlecht gesicherte Funkstandards, was spätestens bei Anwendungen wie Türschlössern zu ernsthaften Sicherheitsproblemen führen könnte.
Nach einer Umfrage des Digitalverbands Bitkom ist der Datenschutz vielen potenziellen Nutzern wichtig: 79 Prozent der Befragten gaben an, sie legten großen Wert auf eine unabhängige Stelle, die die Datensicherheit der einzelnen Geräte prüfe. Genau solche Zertifikate fordert auch die ab Mai 2018 geltende EU-Datenschutzgrundverordnung. Doch noch suchen Verbraucher entsprechende Stellen vergeblich.