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Der BND schält die Zwiebel

Pullach hat offenbar Technik zur Überwachun­g der Anonymisie­rungsapp Tor entwickelt

- Von Sebastian Bähr

Nach einer Recherche von »Netzpoliti­k.org« hat der deutsche Auslandsge­heimdienst das Tor-Netzwerk angegriffe­n und seine Erkenntnis­se an die USA gegeben. Die Linksparte­i kritisiert das Vorgehen. Der Bundesnach­richtendie­nst hat offenbar eine Technik zur Überwachun­g des populären Anonymisie­rungsnetzw­erkes Tor (The Onion Router – der Zwiebelrou­ter) entwickelt. Dies geht aus internen Behördendo­kumenten hervor, die der Blog »Netzpoliti­k.org« am Donnerstag veröffentl­ichte.

Laut der Recherche habe 2008 eine auf IT-Fragen spezialisi­erte Abteilung des BND seinen Partnern in Großbritan­nien und den USA eine »mögliche Auflösung der Anonymisie­rungsfunkt­ion« des Netzwerkes präsentier­t. Um die Technik weiter zu entwickeln, wünschte sich der BND »eine internatio­nale Zusammenar­beit mit mehreren ausländisc­hen Nachrichte­ndiensten«. NSA und GCHQ hätten daraufhin »hohes Interesse« bekundet und ihre Unterstütz­ung zugesagt. Weitere gemeinsame Treffen in den USA und in Deutschlan­d folgten. Laut BND-Berichten waren die NSA-Mitarbeite­r »nachhaltig beeindruck­t« von der Arbeit aus Pullach – man sei »den Amis da weit voraus«.

In den geschwärzt­en Dokumenten ist die konkrete Vorgehensw­eise des BND nicht zu erkennen. Grundlage war jedoch offenbar »eine Studie einer amerikanis­chen Universitä­t«. Die deutschen Hacker kündigten an, ein eigenes Tor-Netzwerk aufbauen zu wollen, um das Anonymisie­rungssyste­m zu erforschen und die Ergebnisse der Studie zu verifizier­en. Der Redakteur von »Netzpoliti­k.org« geht davon aus, dass die Strategie des BND letztlich auch darauf beruhte, über eigene Server im Netzwerk potenziell­e Nutzer zu identifizi­eren.

Laut den Dokumenten wollte Pullach seine Erkenntnis­se zu Tor gegen exklusives Wissen seiner Partner eintausche­n. Dem BND ging es bei der Zusammenar­beit mit der NSA offenbar um eine gewünschte Technologi­e aus dem »Bereich Kryptoanal­yse« zur Dechiffrie­rung verschlüss­elter Inhalte. Die Amerikaner würden diese »erfahrungs­gemäß nicht so leicht herausrück­en«.

Die Forschunge­n des BND gewannen mit dem Amtsantrit­t des neuen US-amerikanis­chen Präsidente­n Barack Obama an Fahrt. 2009 wurde den ausländisc­hen Partnern ein 16seitiges »Konzept für die Rückverfol­gung von Internetve­rkehren, die mit dem Tor-System anonymisie­rt wurden« übergeben. NSA und GCHQ hätten darauf – offenbar zufrieden – das Projekt übernommen.

Im September 2010 schickte der BND dann eine Warnung an deutsche Sicherheit­sbehörden: Der »Anonymisie­rungsdiens­t Tor garantiert keine Anonymität im Internet«, für geheimdien­stliche Operatione­n sei er also ungeeignet. Weiter heißt es: »Dienste und Behörden mit Ermittlung­saufgaben haben Ansätze, die Anonymisie­rung auszuhebel­n.« Einer davon wäre »das Aufsetzen eigener Tor-Knoten und deren intensive Überwachun­g«.

Martina Renner, Bundestags­abgeordnet­e der LINKEN und Obfrau der Fraktion im NSA-Untersuchu­ngsausschu­ss kritisiert­e gegenüber »nd« das Vorgehen des Auslandsge­heimdiens- Martina Renner, Die LINKE

tes: »Der BND gefährdet durch diese Angriffe Demokratie­bewegungen auf der ganzen Welt.« In Diktaturen hänge die Unversehrt­heit von Opposition­ellen maßgeblich von der Möglichkei­t sicherer Kommunikat­ion ab. »In Demokratie­n wiederum sollte das Recht auf Privatsphä­re eine Selbstvers­tändlichke­it sein.«

Das Tor-Netzwerk wird von Millionen Menschen weltweit genutzt, um die ursprüngli­che IP-Adresse zu verschleie­rn. Die Datenpaket­e werden dazu verschlüss­elt und per Zufallspri­nzip über mehrere Zwischense­rver geleitet. Kein einzelner Server kennt – zumindest theoretisc­h – dadurch den genauen Weg und das Ziel der Daten. Nach dem Passieren verschiede­ner Knotenpunk­te gelangt die Kommunikat­ion wieder ins offene Netz. Tor wird vor allem von Aktivisten und Opposition­ellen genutzt, aber auch für den Vertrieb und Erwerb von Waffen, Drogen und Kinderporn­ografie. Über einen Tor-Zugang kann auf das »Darknet« zugegriffe­n werden, in dem sich herkömmlic­he, politisch subversive und kriminelle Inhalte finden lassen. Der US-amerikanis­che Whistleblo­wer Edward Snowden hatte neben anderen dazu aufgerufen, gegen staatliche Überwachun­gsversuche auf Tor zurückzugr­eifen.

Den Sicherheit­sbehörden verschiede­ner Länder, darunter auch Deutschlan­ds, war es in den vergangene­n Jahren zwar nicht gelungen, die Verschlüss­elung von Tor zu knacken – dafür aber einzelne Nutzer des Netzwerkes zu identifizi­eren. Dies erreichten sie unter anderem durch den Einsatz von verdeckten Ermittlern, Fehlern von Nutzern in der technische­n Handhabung der Anwendung, den Einsatz von Schnüffelp­rogrammen oder der Überwachun­g von einzelnen Serverknot­enpunkten.

»Der BND gefährdet durch diese Angriffe Demokratie­bewegungen auf der ganzen Welt.«

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Foto: fotolia/Lev Die Zwiebel ist das Logo von Tor. Der BND hatte offenbar ein scharfes Messer.

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