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Niedlich aber lästig

- Von Martin Kloth

In Sachsen werden so viele Waschbären gejagt wie nie zuvor. Trotzdem breiten sich die Tiere aus. Wie umgehen mit dem neuen Nachbarn, der keine natürliche­n Feinde hat? Chemnitz. In der Einfahrt zu einem Einfamilie­nhaus in dem kleinen Ort Pöhsig tollen zwei Waschbären. Was drollig und possierlic­h aussieht, alarmiert den Hausbesitz­er. »Da werde ich mal die Jäger informiere­n«, sagt Ulrich Hahn. Laut Statistik ist er mit dem Problem nicht allein: Pöhsig liegt im Landkreis Leipzig, in dem dieses Jahr sachsenwei­t die meisten Waschbären erlegt worden sind – mehr als doppelt so viele wie vier Jahre zuvor.

Der Trend ist klar. Der Waschbär ist auch in Sachsen unaufhalts­am auf dem Vormarsch. In der vergangene­n Jagdsaison wurde eine Rekordzahl von fast 11 200 Tieren erlegt, wie das Umweltmini­sterium auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur mitteilte. Das sind 13 Prozent mehr als in der vorangegan­genen Saison (knapp 10 000). Innerhalb von fünf Jahren haben sich die Zahlen nahezu verdoppelt.

Noch drastische­r fällt die Bilanz im 20-Jahres-Vergleich aus: Damals wurden ganze fünf Waschbären erlegt. Wie viele der nachtaktiv­en Allesfress­er in Sachsen leben, ist nicht genau bekannt. Die Zahl der erlegten Tiere dient jedoch als Indikator für ihre starke Vermehrung.

Thema bei der Ministerko­nferenz

»Allein das macht deutlich, wie sich diese Population entwickelt«, sagt Sachsens Umweltmini­ster Thomas Schmidt (CDU). Sein Haus bereitet derzeit eine Initiative zum gemeinsame­n Vorgehen aller Bundesländ­er gegen den Kleinbären vor. Man wolle auf der kommenden Umweltmini­sterkonfer­enz Mitte November in Potsdam einen Antrag für ein Forschungs­projekt stellen. Er hoffe auf Unterstütz­ung, damit das Thema einen größeren Stellenwer­t bekomme, sagt Schmidt.

Der Waschbär (Procyon lotor) ist ursprüngli­ch in Nordamerik­a heimisch und gehört daher in Europa zu den Zuzüglern. Er hat in seinem neu eroberten Lebensraum keine natürliche­n Feinde.

Sachsens Umweltmini­sterium informiert inzwischen in einer sechsseiti­gen Broschüre über die Gefahren durch Waschbären und Schutzmaßn­ahmen. Auf der Suche nach Schlaf- und Aufzuchthö­hlen dringe er in Dachböden ein und verursache erhebliche Schäden. »Er kann im konkreten Einzelfall ein Problembär werden«, sagt Minister Schmidt.

Der Bund für Umwelt und Naturschut­z Deutschlan­d (BUND) ist der Meinung, Menschen hätten das Problem Waschbär selbst verursacht. Noch immer würden die Tiere gezielt gefüttert. Weggeworfe­ne Nahrungsmi­ttel in Mülltonnen und auf Komposthau­fen lockten sie an und nähmen ihnen die natürliche Scheu vor dem Menschen. »Wir dürfen ihnen keine Wohlfühloa­se schaffen«, sagt Almut Gaisbauer vom BUND Sachsen. Aufklärung sei wichtig. »Der Waschbär sieht zwar niedlich aus und hat eine Kuscheltie­roptik. Aber er ist ein Wildtier.«

Das von Sachsen angedachte Forschungs­projekt soll Lösungen aufzeigen, wie die starke Ausbreitun­g des Waschbären eingedämmt werden kann. Wie sinnvoll ist Jagd? »Der Waschbär kontert das, indem er die Geburtenra­te erhöht«, erklärt Almut Gaisbauer. Mittel zur Empfängnis­verhütung seien umstritten, weil auch andere Tiere sie aufnehmen könnten, bei denen das nicht gewollt sei. Eine einfache Lösung gebe es nicht, so Schmidt. Nur eins ist nach seiner Meinung sicher: »Es ist illusorisc­h zu glauben, dass man den Waschbären ganz zurückdrän­gen könnte.«

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