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Sind die Jahre der Rentenkürz­ung bald vorbei?

Die Altersarmu­t wird ein bedrohlich­es Ausmaß annehmen. Neuerdings diskutiert die Politik, was sie dagegen tun kann

- Von Florian Haenes

Die Rentenrefo­rmen haben Altersarmu­t zur Folge. Es mehren sich Stimmen, die deshalb eine Stärkung der Rente fordern. Fast zwei Jahrzehnt galt das Paradigma »Sparen«. Eine künftige Bundesregi­erung könnte nun wieder Geld für die Rente ausgeben.

Grüne und SPD haben im Wahlkampf eine Mindestren­te versproche­n. Auch Horst Seehofer (CSU) warnte vor »massenhaft­er« Altersarmu­t. »Es setzt sich die Erkenntnis durch, dass die Politik die Rentenkürz­ungen übertriebe­n hat«, sagt der Bremer Sozialfors­cher Karl Hinrichs. »Sie will die selbst verursacht­e Altersarmu­t nun wieder eindämmen.«

Im Jahr 2036 könnten nach einer Studie der Bertelsman­n-Stiftung 20 Prozent der westdeutsc­hen und 36 Prozent der ostdeutsch­en Rentner von Altersarmu­t betroffen sein. Ein Grund ist das Absinken des Rentennive­aus: In den 1990er Jahren lag es noch bei über 70 Prozent. Inzwischen ist es auf 48 Prozent gesunken und kann laut Gesetz bis 2030 auf 43 Prozent gedrückt werden.

Ein zweiter Grund sind gebrochene Erwerbsbio­grafien und Niedriglöh­ne. Wer 45 Jahre lang monatlich 2000 Euro brutto verdient, wird ei- ne Rente unterhalb des Grundsiche­rungsnivea­us erhalten. Der Mindestloh­n ändert nichts. Er hebt Monatseink­ommen bloß auf 1500 Euro an.

Bert Rürup, Ex-Wirtschaft­sweiser und Kopf hinter früheren Rentenund Arbeitsmar­ktreformen, fordert heute: »Das Rentensyst­em muss armutsfest werden.« Beschäftig­te rutschen inzwischen leichter in Altersarmu­t. »Auch langfristi­g konzipiert­e Rentenpoli­tik erfordert stets ein Nachsteuer­n«, befindet Rürup. Im ersten Schritt hätte der Niedrigloh­nsektor die Konjunktur belebt. Im zweiten Schritt sei nun das Rentensyst­em auf die Verhinderu­ng von Altersarmu­t auszuricht­en. Auch Rürup empfiehlt die Mindestren­te. Denn von einer Anhebung des Rentennive­aus, wie es Linksparte­i und Gewerkscha­ften fordern, hätten nach seiner Ansicht etliche Bürger nichts: Viele Beschäftig­te sammelten im Erwerbsleb­en zu wenig Rentenpunk­te. Selbst wenn das Rentennive­au auf 70 Prozent stiege, würden Teilzeitbe­schäftigte und Minijobber trotzdem keine Rente erhalten.

Das klingt, als hätten die rot-grünen Reformer Altersarmu­t einkalkuli­ert, um rechtzeiti­g etwas gegen sie zu unternehme­n. Gerhard Bäcker, Sozialfors­cher der Uni Duisburg-Essen, lässt das nicht gelten: »Die Reformer haben kritische Stimmen im- mer ignoriert. Das Lohnargume­nt wurde wie ein Mantra herunterge­betet«, sagt er. Überrasche­nd anders verlief die Debatte in Österreich (siehe Bericht Seite 5).

Inzwischen kündigt die SPD an, die Beitragssä­tze von 18 auf 22 Prozent zu erhöhen – und bricht damit ein Dogma, meint Bäcker. Auch hat sie sich von der Privatvors­orge in Form der Rieser-Rente, die die Kürzungen bei der gesetzlich­en Rente kompensier­en sollte, distanzier­t.

Eine Expertenko­mmission, wie die CDU sie vorschlägt, könnte nach der Bundestagw­ahl entscheide­n, ob das Paradigma »Sparen« in der Rentenpoli­tik tatsächlic­h begraben wird.

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