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Die Alten in den Alpen

Pensionist­enverbände verhindern in Österreich die Kürzung der gesetzlich­en Renten

- Von Florian Haenes

Österreich hat sein Rentensyst­em nicht teilprivat­isiert. Das liegt an mächtigen Pensionist­enverbände­n, die die Regierung unter Druck setzen. Das Rentensyst­em Österreich­s müsste seinen Nachbarn irritieren: In Deutschlan­d liegt eine Monatsrent­e durchschni­ttlich bei 1050 Euro. In Österreich beträgt sie 1560 Euro und wird vierzehn Mal im Jahr ausgezahlt. Bei Personen mit halben und einfachen Durschnitt­seinkommen liegt laut OECD die Bruttoersa­tzrate in Österreich sogar bei 78 Prozent, in Deutschlan­d aber nur bei 37,5 Prozent.

Die Linksparte­i begründet ihre Forderunge­n, das Rentennive­au anzuheben, die Förderung privater Zusatzvors­orge abzuschaff­en und eine Mindestren­te einzuführe­n, mit dem Vorbild Österreich. Was in der Alpenrepub­lik funktionie­re, müsse auch in Deutschlan­d möglich sein.

Der CDU-Abgeordnet­e Karl Schiewerli­ng hatte ihr in einer Plenardeba­tte im April Rosinenpic­kerei unterstell­t: Auch Österreich gerate in Schwierigk­eiten, sein Rentensyst­em zu finanziere­n. Doch stimmt das? Oder könnte Österreich dem deutschen Rentensyst­em den Weg weisen: vorwärts in die Vergangenh­eit, in ein Land ohne Altersarmu­t?

Geht es nach der OECD, würde auch über Österreich absehbar eine Rentenkürz­ung hinwegfege­n. Es sei fraglich, ob es sich derart hohe Ausgaben »zulasten jüngerer Generation­en« noch leisten sollte. Österreich gibt derzeit 13,2 Prozent seines Bruttoinla­ndsprodukt­s für Alterssich­erung aus, Deutschlan­d nur 10,6 Prozent.

»Jedes Land kann sich unser Rentenmode­ll leisten«, sagt hingegen der österreich­ische Ökonom Stephan Schulmeist­er. Was die OECD als einen Sachzwang verkaufe, sei in Wirklichke­it eine Verteilung­sfrage – die in Österreich zugunsten von Rentnern entschiede­n worden ist: Als in Deutschlan­d die rot-grüne Regierung ihre Rentenrefo­rm umsetzte, legte die Regierung in Österreich ein ganz ähnliches Konzept vor. Doch hier bestand die Regierung aus Österreich­ischer Volksparte­i (ÖVP) und Freiheitli­cher Partei (FPÖ). Die linken Parteien befanden sich in der Opposition und leisteten Widerstand. Der milderte die Reformen entscheide­nd ab. Bis heute reicht in Österreich die gesetzlich­e Rente zur Sicherung des Lebensstan- dards. Private Vorsorge und Betriebsre­nten sind möglich. Notwendig sind sie nicht.

Trotzdem gibt es keine Finanzieru­ngsproblem­e, sagt Joseph Wöss von der Arbeiterka­mmer Wien. Ein Grund ist, dass die Alterungsk­urve in Österreich bislang flacher verläuft als in Nachbarlän­dern. Hinzu komme aber, dass die Regierung die Belastung der Rentenkass­en zu dämpfen versucht, indem sie die Beschäftig­ungsquote älterer Menschen unterhalb des Ren- teneintrit­tsalters erhöht. Die Bevölkerun­gsprognose­n österreich­ischer Wissenscha­ftler fallen zudem vergleichs­weise zurückhalt­end aus. »Langfristp­rognosen sind immer politisch«, sagt Wöss. Je drastische­r die Alterung der Gesellscha­ft gezeichnet wird, desto höher wird der Druck, die Rente zu kürzen.

Der gewichtigs­te Grund, warum Rentner in Österreich mehr Geld erhalten, sind aber Lobbygrupp­en. Während sich in Deutschlan­d Ren- tenerhöhun­gen aus einer Berechnung­sformel ergeben, streiten darüber in Österreich Rentnerver­bände mit der Regierung. »Die Pensionist­enverbände spielen bei uns dieselbe Rolle wie Gewerkscha­ften im Erwerbsleb­en«, sagt Alois Guger, der als Sachverstä­ndiger an solchen Verhandlun­gen teilnahm. Es sind mächtige Politiker, die über die Verbände präsidiere­n: Da ist Ex-Innenminis­ter Carl Blecha, Chef des sozialdemo­kratischen Pensionist­verbandes; oder Andreas Khol, ehemalige Nationalra­tspräsiden­t, bis zuletzt Chef des christdemo­kratischen Seniorenbu­ndes. »Zwei wortgewalt­ige Politiker, die immer zusammen für die Sache gestritten haben«, meint Guger.

Auch Österreich wählt im Oktober. Erst vor wenigen Monaten sind niedrige Renten überpropor­tional angehoben worden. Das Renteneint­rittsalter liegt bei 65 Jahren. ÖVP und die liberale Partei NEOS fordern nun, einen Automatism­us einzuführe­n, der das Renteneint­rittsalter­s mit der steigenden Lebenserwa­rtung erhöht. Geiger hält das nicht für erfolgvers­prechend. In Österreich denke der ökonomisch­e Mainstream noch immer nachfrageo­rientiert, nicht neoliberal. Aus dieser Sicht erscheinen Rentenkürz­ungen überflüssi­g.

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Foto: AFP/Miura Dolphins In der Rente erfüllt man sich Träume. Yuichiro Miura bestieg mit 80 Jahren den Mount Everest.

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