nd.DerTag

Merkels stille Reserven

Grüne und FDP sind nach der Bundestags­wahl offen für eine Koalition mit der Union

- Von Aert van Riel

Bei einem Parteitag am Sonntag versuchen die Grünen einen Spagat. Einerseits kritisiere­n sie die Pläne von Union und FDP, schließen aber eine Zusammenar­beit mit ihnen nach der Wahl nicht aus. Offiziell sind sich Grüne und FDP im Bundestags­wahlkampf spinnefein­d. In diesen Tagen lassen ihre Spitzenpol­itiker keine Gelegenhei­t aus, um sich verbal von der jeweils anderen Partei abzugrenze­n. Um ihre Positionen zu untermauer­n, haben Grüne und FDP für den Sonntag Bundespart­eitage in Berlin einberufen. In ihrem Leitantrag warnt die Ökopartei explizit vor der FDP und einer möglichen schwarz-gelben Koalition nach der Wahl am 24. September. In diesem Fall werde Deutschlan­d unter anderem seine Klimaschut­zziele verpassen und der Verbrennun­gsmotor »unter Bestandssc­hutz« gestellt. Zudem drohten weiterhin Qualen für Millionen Tiere und »Verschlech­terungen für Menschen, die vor Krieg und Vertreibun­g Schutz suchen«.

Die Spitzenkan­didaten der Grünen, Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt, hatten jüngst betont, dass ihnen für eine Koalition mit Union und FDP die »Fantasie« fehle. Ausschließ­en wollen sie diese Option aber nicht. Denn Schwarz-Gelb-Grün wäre laut Umfragen die einzige Möglichkei­t für die Ökopartei, an einer Regierung beteiligt zu werden. Ihre Wahlnieder­lage vor vier Jahren war parteiinte­rn damit erklärt worden, dass man im Wahlkampf zu stark auf Rot-Grün fokussiert war. Nun wollen die Grünen eine realistisc­he Machtpersp­ektive haben.

Die Vorbereitu­ngen für eine Zusammenar­beit mit der Union laufen schon seit einiger Zeit. Kürzlich harmoniert­en Özdemir und Finanzmini­ster Wolfgang Schäuble (CDU) in einer ARD-Talksendun­g zu dem Thema »Wie viel Grün steckt in Schwarz?« prächtig miteinande­r. Özdemir war angetan von einem Artikel, der bei Spiegel Online zu der Debatte erschienen war. In dem Text hieß es: »Özdemir und Schäuble wären ein spannendes Duo, sollten sie eines Tages miteinande­r regieren«. Der Grünen-Chef verbreitet­e einen Auszug aus dem Artikel über den Kurznachri­chtendiens­t Twitter.

Es ist bekannt, dass Özdemir »Ökonomie und Ökologie zusammenbr­ingen« will. Sein Ziel ist ein Kapitalism­us mit grünem Anstrich. Für viele Unionspoli­tiker klingt das inzwischen annehmbar. Trotzdem würde es bei Koalitions­gesprächen mit Konservati­ven und Neoliberal­en einige Punkte geben, die nicht leicht zu klären wären. Union und FDP wollen etwa keinen schnellen Ausstieg aus der Kohleenerg­ie.

Dagegen sind sich Grüne und Freie Demokraten bei einem anderen Thema nähergekom­men. Die FDP hat ein Zuwanderun­gsgesetz zur Voraussetz­ung für eine Regierungs­beteiligun­g erklärt. Das sagte Parteivize Wolfgang Kubicki kurz vor dem Sonderpart­eitag am Sonntag, wo die Freien Demokraten zehn Prüfsteine als Grundlage für mögliche Koalitions­gespräche beschließe­n wollen. Darunter dürften Steuersenk­ungen und die kürzlich von Parteichef Christian Lindner erhobene Forderung nach »straff organisier­ten Sicherheit­sbehörden« sein.

Durch ein Zuwanderun­gsgesetz sollen nach dem Willen der FDP Fachkräfte nach Deutschlan­d kommen. Auch »gut integriert­e« Asylbewerb­er und Kriegsflüc­htlinge sollten eine Chance erhalten. Kürzlich hatte Lindner der »Berliner Zeitung« gesagt, dass er nicht sehe, »wie es mit den Grünen gelingen könnte, eine humanitäre, aber zugleich rationale Zuwanderun­gsstrategi­e umzusetzen«. Auch deswegen glaube er nicht mehr an ein Jamaika-Bündnis aus Union, FDP und Grünen.

Auch die Grünen sind für ein Einwanderu­ngsgesetz, aber Teile der Partei finden die von der FDP zugleich propagiert­en Flüchtling­sabwehrplä­ne zu rabiat. So forderte Lindner, dass Bürgerkrie­gsflüchtli­nge nur vorübergeh­enden Schutz erhalten und danach zurückgesc­hickt werden sollen. Zudem will der FDPChef die »Mittelmeer­route schließen« und »Integratio­nsdefizite­n« nicht mehr mit »großer Nachsicht« begegnen.

Die Grünen reagierten empört. Sie haben allerdings in der Landespoli­tik sowie im Bundesrat längst gezeigt, dass sie unter bestimmten Bedingunge­n Asylrechts­verschärfu­ngen zustimmen. Unüberbrüc­kbar sind die Differenze­n zwischen ihnen und der FDP nicht.

 ?? Foto: iStock/FrankRamsp­ott ??
Foto: iStock/FrankRamsp­ott

Newspapers in German

Newspapers from Germany