nd.DerTag

Existenzno­t wegen Mietkautio­n

Jobcenter kürzen Hartz-IV-Regelsatz für Rückzahlun­g von Darlehen

- Von Grit Gernhardt

Hartz-IV-Bezieher leben ohnehin am Existenzmi­nimum. Größere Ausgaben – etwa Mietkautio­nen – können oft nur mit Hilfe von Darlehen gedeckt werden. Doch die Rückzahlun­g belastet dauerhaft. Menschen, die auf Sozialleis­tungen angewiesen sind, haben meist gerade genug Geld, um durch den Monat zu kommen. Für Neuanschaf­fungen sind viele Hartz-IV-Bezieher deshalb auf Darlehen der Jobcenter angewiesen. Damit können zwar dringende Reparature­n getätigt oder ein neuer Kühlschran­k gekauft werden, anschließe­nd wird der Regelsatz jedoch um zehn Prozent gekürzt – bis das Darlehen zurückgeza­hlt ist. Das verschlech­tert die Situation weiter.

Diese Regelung gilt nicht nur für Neuanschaf­fungen, auch Mietkautio­n und Beiträge für Wohnungsge­nossenscha­ften sind davon betroffen. Für Linksparte­ichefin Katja Kipping ist das ein Skandal: »Hier wird jahrelang das Existenzmi­nimum gekürzt. Woran sollen die Betroffene­n denn noch sparen, am Essen?« Vorangegan­gen war eine kleine Anfrage an die Bundesregi­erung, die diese aus Sicht der LINKEN nicht zufriedens­tellend beantworte­t hat. Demnach hat die Bundesregi­erung noch nicht einmal versucht, das Ausmaß der Kürzungen herauszufi­nden. »Damit demonstrie­rt das Haus Nahles sein totales Desinteres­se für Erwerbslos­e, Aufstocker­innen und Aufstocker«, so Kipping.

Nicht nur sei die zwangsweis­e Rückzahlun­g der Darlehen über Jahre hinweg existenzge­fährdend, auch sei die grundsätzl­iche Rechtmäßig­keit des Verfahrens zweifelhaf­t, heißt es in der Auswertung der Anfrage, die »nd« vorliegt. Schließlic­h seien Kautionen und Genossensc­haftsantei­le den Kosten der Unterkunft zuzurechne­n, die von den Jobcentern übernommen werden.

Wie verschiede­ne Sozialgeri­chtsurteil­e zeigen, steht die Linksparte­i mit dieser Auffassung nicht allein da: So urteilte das Landessozi­algericht Nordrhein-Westfalen am 29. Juni, dass die Kürzung der Regelleist­ung für Mietkautio­nsdarlehen rechtswidr­ig sei, da sie das Existenzmi­nimum schmälere. Auch das Bundessozi­algericht bezweifelt­e bereits im Juni 2015 die Rechtmäßig­keit. Der Regelsatz – derzeit 409 Euro für einen Alleinsteh­enden – sei nicht so berechnet, dass er ein Ansparen für Mietkautio­nen ermögliche.

Kritik übt Kipping auch daran, dass dem Bundesarbe­itsministe­rium offenbar nicht mal das Ausmaß der Kürzungen bekannt sei. Zumindest konnte das SPD-geführte Ministeriu­m weder Fragen nach der Zahl der Betroffene­n noch nach Rückzahlun­gszeiträum­en beantworte­n. Unklar ist also, wie viele Menschen von der faktischen Kürzung des Existenzmi­nimums betroffen sind. Auf die Hauptkriti­k der Sozialgeri­chte – die systemwidr­ige Vermischun­g von Regelleist­ung und Unterkunft­skosten – gehe die Bundesregi­erung ebenfalls nicht ein, so Kipping.

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