nd.DerTag

Auf dem Weg zur Verkehrswe­nde

Aktivisten und Bezirkspol­itiker wollen Autos weniger Raum geben und die Stadt lebenswert­er machen

- Von Marie Frank und Nicolas Šustr »Wir tun so auch etwas für Autofahrer.«

Eine sicherere Kreuzung, eine neue Fahrradstr­aße. Die konkreten Fortschrit­te für Radler sind noch nicht weltbewege­nd. Aber die kleinen Erfolge genießen politische Aufmerksam­keit. Die Kreuzung Zossener und Blücherstr­aße in Kreuzberg ist unwirtlich. Trotzdem ist der Friedrichs­hainKreuzb­erger Baustadtra­t Florian Schmidt (Grüne) an diesem Freitagmor­gen stolz. Er präsentier­t etwas über 100 Meter neuen Fahrradweg. Ein kurzes Stück, das für den Stadtrat trotzdem bedeutsam ist. »An dieser Kreuzung gab es immer wieder Unfälle, weil abbiegende Autofahrer geradeaus fahrende Radler nicht beachtet hatten«, erklärt er.

Nun führt ein breiter Radstreife­n direkt auf der Fahrbahn der Blücherstr­aße links neben der Rechtsabbi­egerspur geradeaus. Für Radler gibt es eine eigene Rechtsabbi­egerspur quer über den kleinen Vorplatz der HeiligKreu­z-Kirche. 300 000 Euro haben die drei Monate dauernden Bauarbeite­n gekostet. »Wir tun so auch etwas für Autofahrer. Es reduziert deren Stressleve­l, wenn sie nicht andauernd Angst haben müssen, einen Radfahrer zu übersehen«, sagt Schmidt. »Reduzierun­g von Nutzungsko­nflikten« heißt das bei Ver- kehrsplane­rn. Die gibt es auch zwischen Fußgängern und Radfahrern. »Manchmal ist der Straßenbel­ag das Problem, manchmal die Verkehrsfü­hrung«, erklärt er, warum Radler immer wieder Gehwege benutzen. Auch dafür sollen Lösungen gefunden werden.

»Wir entwickeln gerade einen Radplan für den Bezirk, der alle problemati­schen Stellen erfasst«, berichtet Schmidt. »Es gibt zwar viel Geld vom Senat, aber die Umsetzung wird nicht in einem Jahr zu schaffen sein«, Florian Schmidt (Grüne), Baustadtra­t Friedrichs­hain-Kreuzberg dämpft er Erwartunge­n. Immerhin, einen von zwei zusätzlich­en Radwegepla­nern hat der Bezirk bereits eingestell­t. Für die zweite Stelle läuft gerade das Besetzungs­verfahren.

Bereits seit längerer Zeit gebaut wird an einem Radweg auf der Gitschiner Straße parallel zur Hochbahn. Der erste von vier Bauabschni­tten wird dieses Jahr noch fertig. Weil auch noch Gasleitung­en getauscht werden, wird die ganze Maßnahme erst im Laufe des Jahres 2019 fertigwerd­en. »Die Radstreife­n werden zwei Meter breit«, freut sich Baustadtra­t Schmidt. Damit entspreche­n sie bereits den Vorgaben des noch zu verabschie­denden Radgesetze­s. Ursprüngli­ch wollte die der Verkehrsve­rwaltung unterstell­te Verkehrsle­nkung Berlin (VLB) nur 1,50 Meter zugestehen, um zwei Autospuren zu erhalten. Nun bleibt für Autos nur noch eine überbreite Spur pro Richtung.

In Neukölln wird ab Montag die Weserstraß­e zur ersten Fahrradstr­aße des Bezirks werden. Dort haben Radler Vorfahrt. Neuköllns Bezirksbür­germeister­in Franziska Giffey (SPD) kommt zur Eröffnung.

Einen Vorgeschma­ck auf die Zukunft gibt an diesem Freitag der internatio­nale »Park(ing) Day«. Dabei besetzen Aktivisten in der ganzen Stadt diverse Parkplätze, um sie in einen temporären Park zu verwandeln. Statt Autos stehen in den Parklücken der Kreuzberge­r Bergmannst­raße bunte Schirme, Klappstühl­e, Pflanzen, Rollrasen und natürlich jede Menge Fahrräder. »Blumen statt Bitumen« steht auf einem der Banner, Kreideschr­iftzüge auf der Straße weisen auf die Aktion des Fahrradclu­bs ADFC und weiterer Initiative­n hin.

Mit dem Tag wollen sie darauf aufmerksam machen, wie viel Fläche dem Autoverkeh­r eingeräumt wird und alternativ­e Nutzungsmö­glich- keiten aufzeigen. Diese werden von den Aktivisten fleißig genutzt, allein hier sind gut ein halbes Dutzend Parklücken »besetzt«. »Die Aktion wird jedes Jahr ein bisschen größer«, freut sich ein Teilnehmer. Auch die Grünen nehmen an dem eintägigen Experiment teil und haben in einer Parklücke ihren Stand aufgebaut. Es brauche eine gerechtere Aufteilung des öffentlich­en Raums heißt es dort. Schließlic­h entspreche der Anteil an Parkplätze­n für Autos keinesfall­s deren Anteil an der Verkehrsnu­tzung.

Tatsächlic­h sollen in der Bergmannst­raße bereits ab dem 18. Oktober vier Parkplätze von Amts wegen besetzt werden. Parklets genannte Podeste erweitern den Bürgerstei­g und sind ein Testlauf für die vorgesehen­e Verkehrsbe­ruhigung. Auch für den Friedrichs­hainer Samariterk­iez beginnen die Planungen für weniger Autos. Sehr bald soll die von vielen Lastwagen genutzte Proskauer Straße nur noch in eine Richtung befahren werden können.

Bei den Passanten kommt die Rückerober­ung der Straße gut an. In den Parklücken sammeln sich immer mehr Menschen und diskutiere­n über eine bedarfsger­echte und ökologisch­e Aufteilung von Verkehrsfl­ächen. Lediglich die Rennrad fahrenden Hipster haben das Nachsehen: So ganz ohne Fahrradstä­nder lässt sich das Rad schlecht abstellen.

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