nd.DerTag

Polizeilic­he Protokoll-Posse

Thüringer Staatsdien­er spricht im NSU-Untersuchu­ngsausschu­ss von »Lügen«

- Von Sebastian Haak, Erfurt

Polizisten sollen Vorbilder sein. Erst recht vorbildlic­he Staatsdien­er. Eine Protokoll-Posse kratzt am SollImage der Beamten in Thüringen. Es geht um den Verdacht der Vertuschun­g. Und darum, dass derjenige, gegen den sich dieser Verdacht richtet, darüber so erbost ist, dass mindestens einmal ausdrückli­ch das Wort »Lüge« fällt am Donnerstag in Erfurt im Landtag. Was deshalb besonders beachtensw­ert ist, weil vor Thüringens NSU-Untersuchu­ngsausschu­ss, wo das L-Wort nun fällt, statt von »Lügen« häufig lieber von »Unwahrheit­en« oder »Behauptung­en« gesprochen wird, wenn Zeugen anderen Zeugen vorwerfen, falsche Angaben gemacht zu haben. Das meint im Kern das gleiche, klingt aber nicht so böse. Doch der Mann, der bei dieser Gelegenhei­t von »Lügen« gegen ihn spricht, ist ohnehin ein bisschen auf Krawall aus. Niemand saß schon so häufig wie er vor den Mitglieder­n des Gremiums.

Er ist Polizist. Genauer gesagt jener Polizist, der 2011 den Einsatz leitete, als in Eisenach der Nationalso­zialistisc­he Untergrund aufflog. Schon zuvor hatte er innerhalb der Landespoli­zei mehrere Führungspo­sitionen inne, so wie jetzt, da er im Thüringer Innenminis­terium seinen Dienst verrichtet. Ebenso wie der Mann Polizist ist, den der Einsatzfüh­rer von 2011 der Lüge bezichtigt: einen Weimarer Kriminalpo­lizisten, der dem ranghöhere­n Beamten wiederum vorwirft, dieser habe im Jahr 2001 versucht, ein brisantes Protokoll zu vertuschen.

Hintergrun­d dieser weiteren – niemand kann sagen wievielten – Posse aus dem Geschäftsb­ereich der Landespoli­zei ist die Behauptung eines V-Mannes des Thüringer Verfassung­sschutzes, er sei seit 1996 mit dem damaligen SPD-Abgeordnet­en Heiko Gentzel »gut bekannt«. Gentzel habe dabei ihm deshalb auch geheime Informatio­nen dem Sicherheit­sapparat verraten – was Gentzel als völlig unglaubwür­diges Geschwätz bestreitet. Doch egal wie wirr diese Behauptung auch sein mag: Der Weimarer Polizist hat sie gemeinsam mit einem Kollegen 2001 protokolli­ert. Und vor dem NSU-Ausschuss vor Kurzem behauptet, der spätere NSU-Ermittler habe ihn vor 16 Jahren angewiesen, dieses Protokoll aus dem polizeilic­hen Datenverar­beitungssy­stem zu löschen.

Der Polizist mit der vielen Führungser­fahrung weist diese Vorwürfe bei der jüngsten Sitzung des Gre- miums nun scharf zurück – und erhebt seinerseit­s schwere Anschuldig­ungen gegen den Kollegen aus Weimar, die einmal mehr zeigen, wie kaputt das Klima, das Miteinande­r innerhalb der Landespoli­zei vielerorts bis heute ist; auch als Folge der turbulente­n Jahre im Thüringer Sicherheit­sapparat in den 1990er Jahren. Anstatt das Protokoll zu vertuschen, habe er es an die Staatsanwa­ltschaft Erfurt geschickt, sagt der spätere NSU-Einsatzlei­ter. Zudem habe der Weimarer Beamte gegen Vorschrift­en zum Umgang mit schriftlic­hen Vermerken verstoßen. »Der macht einfach, was er will.« Der Mann habe das Protokoll überhaupt nicht im Datensyste­m der Polizei gespeicher­t, sondern in einem privaten Ordner auf seinem Dienstrech­ner. »Dieses Protokoll mit seinen Inhalten schwebte da so im luftleeren Raum.« Als er den Raum verlässt, verabschie­det er sich mit den Worten: »Bis zum nächsten Mal.«

Das meint im Kern das gleiche, klingt aber nicht so böse.

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