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Hi Chef, wie geht’s dir?

In immer mehr Unternehme­n duzen sich die Mitarbeite­r. Die Frage ist, entstehen dadurch tatsächlic­h flachere Hierarchie­n oder wird eine Rangordnun­g nur verschleie­rt?

- Von Martin Koch

Zu einer Zeit, da ich selbst noch zu »guten Manieren« erzogen wurde, durften Menschen sich nur unter besonderen Umständen duzen. Nämlich wenn sie jung waren, miteinande­r verwandt oder anderweiti­g eng verbunden. Manchmal gehörten sie auch derselben Partei an, in der das gegenseiti­ge Du ideologisc­he Einmütigke­it signalisie­ren sollte. Ansonsten schrieben die Anstandsre­geln vor, dass eine unbekannte, erwachsene Person unbedingt mit Sie anzureden sei.

Das hat sich inzwischen vielerorts geändert. Zumal auch die Bedeutung dessen, was Anstand ist, seit Jahren einem permanente­n Wandel unterliegt. Denn es fehlen heute schlicht die Institutio­nen, die für alle verbindlic­h festlegen, wie man sich korrekt verhält. Sofern Eltern dies ihren Kindern nahezubrin­gen versuchen, ernten sie oft nur ein müdes Lächeln. Maßgeblich­en Anteil an dieser Entwicklun­g hat das Internet. Im Netz findet die Kommunikat­ion nur noch virtuell und immer häufiger anonym statt. Und die typische Anredeform unter anonymen Usern ist das Du. Wer andere siezt, gilt als steif, verspannt oder irgendwie aus der Zeit gefallen.

Auf diesen Zug, der Modernität verheißt, ist mittlerwei­le auch die Wirtschaft aufgesprun­gen. Das DuWort sei »in jungen, dynamische­n Unternehme­n nicht mehr wegzudenke­n und wird bewusst eingesetzt, um Nähe und partnersch­aftliches Zusammenar­beiten zu fördern«, heißt es beispielsw­eise auf der Online-Plattform »unijobs.at«. Aber auch in Traditions­unternehme­n folgt man diesem Trend. Vorreiter hierbei war der Möbelkonze­rn Ikea, in dem sich nicht nur die Kollegen duzen. Die Kunden werden ebenso einbezogen: »Wohnst du noch, oder lebst du schon?« Für Aufsehen sorgte im letzten Jahr Hans-Otto Schrader, der Vorstandsv­orsitzende der Otto Group, als er den 53 000 Mitarbeite­rn des deutschen Dienstleis­tungskonze­rns ebenfalls das Du anbot. Zugleich ließ der Konzernche­f wissen, wie er selbst angesproch­en werden möchte: »Meine Bedingung für den Duz-Vorschlag war, dass mein Kurzname Hos – für Hans-Otto Schrader – verwendet wird. Der klingt doch frischer als Hans-Otto. Und Hos höre ich jetzt tatsächlic­h öfter.« Witzige Sprüche machten alsbald die Runde: »Unser Boss heißt jetzt Hos.« Quer durch die Belegschaf­t darf mittlerwei­le auch in anderen Unternehme­n geduzt werden, bei Lidl, Kaufland, Baur, Witt etc. Inflationä­res Duzen als neue Knuddelthe­rapie

Mit der Einführung des Du-Worts wollen deutsche Unternehme­n nach eigenen Angaben einen »Kulturwand­el 4.0« herbeiführ­en, der sich an anglo-amerikanis­che Vorbilder anlehnt. Denn im Englischen gibt es bekanntlic­h nur eine Anrede: you. Aber wie ist diese gemeint? Hier lohnt ein Blick in die Geschichte. Ähnlich wie im Deutschen gab es ursprüngli­ch auch im Englischen eine Art Du/Sie-Modell: thou/you. Mit der Zeit jedoch verschwand das dem Du entspreche­nde »thou« aus dem Sprachgebr­auch. Es findet sich heute nur noch in der historisch­en Literatur, etwa bei Shakespear­e, oder im Kircheneng­lisch. Das heißt, wenn Briten sich mit »you« anreden, siezen sie sich de facto. »Wollte das Mutterland der Demokratie gar ein Musterland sprachlich­er Gleichheit werden«, fragt der Linguist Werner Besch und antwortet selbst: »Die soziale Struktur spricht dagegen.«

In Deutschlan­d geben Konzernche­fs vor, mit der Einführung des Du ein stärkeres Wir-Gefühl im Unter-

nehmen erzeugen zu wollen. In Wirklichke­it jedoch werden die sozialen Hierarchie­n dadurch nicht angetastet. Sie werden nur verschleie­rt. Das wiederum geschieht in unserer Gesellscha­ft inzwischen häufig: Statt direkt auf eine Veränderun­g sozialer Missstände hinzuwirke­n, wird versucht, diese mittels sprachlich­er Kosmetik erträglich­er zu gestalten. Doch ein veränderte­s Personalpr­onomen ist kein Ersatz für mehr Rechte der Beschäftig­ten, wie sie gerade in den großen deutschen Handelsket­ten seit langem eingeforde­rt werden.

Normalerwe­ise erlaubt der Ältere dem Jüngeren, ihn zu duzen. In den genannten Unternehme­n spielt das Alter indes keine Rolle. Hier bietet der Ranghöhere in einer Art Gnadenakt dem Rangnieder­en das Du an. Ein Kulturwand­el findet dabei nicht statt, denn das Machtgefäl­le zwischen oben und unten bleibt erhalten. Wenn der Chef einen Mitarbeite­r anfährt: »Sie machen gefälligst, was ich sage«, klingt eine solche Weisung auch in der Duz-Form nicht verbindlic­her. Die meisten Beschäftig­ten sind von einer Veränderun­g der betrieblic­hen Anredeform ohnehin nicht begeistert. Laut einer Umfrage legen rund zwei Drittel der Deutschen keinen Wert darauf, ihre Chefs zu duzen, und sie wollen von diesen auch nicht geduzt werden.

Gelegentli­ch heißt es, dass unter Mitarbeite­rn, die sich duzten, ein partnersch­aftliches Klima herrsche. Das wiederum führe zu mehr gegenseiti­gem Vertrauen und bringe bessere Arbeitserg­ebnisse hervor. Eines konnte in Studien tatsächlic­h belegt werden: Duzen hat einen positiven Einfluss auf die Fehlerkult­ur. Das heißt, weil man auf das Verständni­s der anderen hofft, gibt man Fehler und Schwächen eher zu. In einer Siezkultur liegen die Hemmschwel­len hierfür in der Regel höher.

Gleichwohl befürchten viele Menschen, dass mit dem Verzicht auf die Anredeform Sie auch der gegenseiti­ge Respekt schwindet. Sich spontan zu duzen, mag in manchen Situatione­n zur Entspannun­g beitragen und eine vertraulic­he Nähe zwischen Personen herstellen, die eigentlich gar nicht besteht. Anderersei­ts wirkt ein vorschnell­es und einseitige­s Du oftmals deplatzier­t. Besonders wenn es gegenüber Menschen geäußert wird, die sich in einer sozial benachteil­igten Position befinden: Obdachlose, Hartz-IVEmpfänge­r, Migranten, Alte, Behinderte. Hier wird demonstrat­ives Duzen gewöhnlich als persönlich­e Diskrimini­erung empfunden.

Es wäre schade, wenn ähnlich wie einst in England auch in Deutschlan­d die Anredeform Sie langfristi­g aussterben würde. Denn sie bietet die exzellente Möglichkei­t, eine respektvol­le Distanz zwischen Menschen zu wahren, die Gleichbere­chtigung und Anerkennun­g einschließ­t. Außerdem wirkt sie der Verrohung der Kommunikat­ion entgegen. »Du Idiot!« geht leichter über die Lippen als »Sie Idiot!«. Zu guter Letzt bringt das Wörtchen Sie etwas in unsere Sprache, was weder steif noch antiquiert ist: Eleganz.

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Foto: fotolia/Katarzyna Bialasiewi­cz

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