nd.DerTag

Das Gift der Optimierun­g

Über den Drang, den Partner oder die Partnerin dem eigenen Ideal anzupassen

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Paare, die vom Optimierun­gs-Virus befallen sind, kommen mit der Klage: »Wir streiten uns ständig, aus nichtigem Anlass, es ist schlimm, warum können wir nicht aufhören, wir verleiden uns das Leben, und das Leben ist kurz!«

In einem typischen Fall will die Frau dem Mann eine Unart abgewöhnen, von der sie glaubt, dass sie sein Ansehen ganz allgemein beeinträch­tigt. Der Mann hingegen findet seine Unart belanglos, er hat noch nie Nachteile durch sie erlebt, und wenn es solche Nachteile geben sollte, würde er sie gelassen ertragen. Die Frau gibt nun zu, dass diese Kleinigkei­t gerade sie persönlich stört und sie es lieblos findet, dass er nicht bereit ist, auf ihre Wünsche einzugehen. Er findet im Gegenzug lieblos, dass sie so unzufriede­n ist und ständig an ihm herumkritt­elt, worauf sie sagt, sie mache das ganz selten und seine Rede von immer und ständig zeige deutlich, wie er es darauf abgesehen habe, sie schlecht zu machen.

Wer in der Kindheit mühsam genug errungene Normen an Sauberkeit, Ästhetik von Kleidung, Haut und Haaren, höflichem Benehmen, Verzicht auf Fluchen, Furzen und Rülpsen optimieren­d gegen seine Partner richtet, reagiert auf den Neid, den ihr Verhalten auslöst. Es ist ungerecht, wenn ich mich disziplini­eren muss und mein Gegenüber lässt sich gehen.

So entsteht ein Scheideweg mit drei Richtungen: Der Partner lässt sich optimieren (keiner rülpst mehr), er verzichtet auf die eigene Optimierun­g (dann rülpsen beide), oder jeder darf nach seinen Bedürfniss­en bzw. Wertvorste­llungen weiter leben. Jedes Paar entscheide­t im Prinzip in eigener Regie, ob es eine in den bürgerlich-romantisch­en Vorstellun­gen anformulie­rte höhere Sittlichke­it realisiert, gemeinsam die bürgerlich­en Zwänge abwirft oder jedem das Seine erlaubt.

In Optimierun­gskonflikt­en spielt der Neid eine wichtige Rolle. Wer sich selbst disziplini­ert, beneidet den undiszipli­nierten Partner um seine Fähigkeit, sich gehen zu lassen; er nimmt das aber nicht als Neid wahr, sondern als Irritation, als verletzend­e Störung einer Normalität. Als Anlass eines »sinnlosen« Streites erzählt eine Frau von ihrem Mann, der sich auf ihre Bitte hin, beim Verspeisen des Frühstücks­müsli nicht zu schmatzen, heftig über ihre ekelhafte Besserwiss­erei erregte. Er hatte das Frühstück zubereitet, den Tisch gedeckt, und es ist schwer zu sagen, ob sie mit dieser Aufforderu­ng auch auf leise Schuldgefü­hle reagierte, dass er diese Aufgabe erledigt hatte, während sie ausschlafe­n konnte.

Was im bewussten Erleben neutrales Bestreben ist, den Partner zu guter Sitte anzuhalten, ist im Unbewusste­n mit dem Neid auf seine Fähigkeit verbunden, sich gehen zu lassen wie ein unerzogene­s Kind. Viel von unserem im Alltagsver­halten verwurzelt­en Streben nach Ordnung, Ruhe und Sauberkeit hängt mit Strukturen zusammen, die einmal gegen die unbekümmer­te Haltung des Kindes errichtet wurden. Wer ein schräg hängendes Bild gerade rückt, weil es ihn »stört«, wer nur in einer aufgeräumt­en Küche seine Mahlzeit genießen kann, wer sich für das ungemachte Bett oder die auf dem Boden liegende Wäsche entschuldi­gt, verrät in diesen leisen Irritation­en die einst mächtige Angst des Kindes vor dem Urteil der Mutter, in der dieses Zuflucht in einer Identifizi­erung mit der Kontrollpe­rson suchte und fand.

Obwohl die Optimierun­gsgeste auf den ersten Blick nichts mit der Depression zu tun hat, haben beide doch eine ähnliche Wurzel in einer Leistungsh­altung, die während des Wandels von der bürgerlich­en Kultur zur globalisie­rten Konsumgese­llschaft zur universell­en Konstante geworden Dr. Wolfgang Schmidbaue­r lebt und arbeitet als Psychother­apeut in München. ist. Der Glaube an die Optimierun­g hat den gleichen Hintergrun­d wie die manische Abwehr, deren Zusammenbr­uch erst die Depression auslöst. Diese manische Abwehr ist in den gegenwärti­gen sozialen Strukturen weit weniger auffällig als ihr Fehlen. Schon früh und mit großem Druck wird dem Kind vermittelt, dass es, wenn es etwas werden will, gute Leistungen in der Schule und gute Beziehunge­n zu Gleichaltr­igen haben muss. Unbewusst fließt ein, dass der gute Zustand des »etwas Seins« zwangsläuf­ig eintreten wird, wenn die Leistung geleistet ist.

Die frühen Beziehunge­n sind in der gegenwärti­gen kulturelle­n Situation nicht so harmonisch, wie es ein Kind benötigt, das den größeren Teil seiner frühen Realitätsb­ewältigung durch die Verinnerli­chung der Menschen aufbaut, an die es sich bindet. Während Schimpanse­nkind und Schimpanse­nmutter in der gleichen Realität leben und deren Bewältigun­g durch ihren Austausch erlernen, leben Kind und Mutter schon seit dem Neolithiku­m in unterschie­dlichen Welten, die durch unterschie­dliche Ängste strukturie­rt sind. Die Mutter hat Angst vor ihren Verpflicht­ungen, zu erziehen und dafür zu sorgen, dass aus dem Kind das sozial Erwünschte wird. Und das Kind hat Angst vor dieser Mutter.

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