nd.DerTag

Appellhof

- Von Paula Irmschler

Nicht vergessen, bald ist Bundestags­wahl! Ihr müsst dafür sorgen, dass! Es ist wichtig, dass! Jetzt gilt es noch mal, allen so richtig auf die Senkel zu gehen. Überall wird wieder herumgeonk­elt, man stünde doch in der Verpflicht­ung, jetzt zu zeigen, wie geil man die Demokratie findet. Nicht nur von Plakaten geiert es: »Wähle mich!«, von überallher wird moralisier­t, dass man doch Schuld am Untergang Deutschlan­ds, ach was, der Zivilisati­on sei, wenn man nicht wählen gehe.

Kritik an Zuständen, das Gefühl, dass keine Partei auf dem Wahlzettel ein Kreuz verdiene oder einfach Unverständ­nis für politische Inhalte – das empfinden die Wahlfans als Beschwerde, bekloppte Anarchie, extremisti­schen Unsinn. Komisch, wo doch jeder Berechtigt­e genauesten­s Bescheid wissen kann über Parteiprog­ramme, die stehen ja schließlic­h im Internet. Und wer Bescheid weiß, kann auch wählen. Sonst ist er offenbar zu blöde zum Lesen. Kein Widerspruc­h wird gelten gelassen. Super ist auch der Tipp, die Stimme doch wenigstens ungültig zu machen.

Von einer Wahlverpfl­ichtung wird im Zuge dieser Feststellu­ng genau so fantasiert, wie davon, bestimmte Gruppen von der Abgebügelt

Paula Irmschler ist freie Autorin und kümmert sich an dieser Stelle alle 14 Tage um Dinge, denen man nur mit Heißdampf begegnen kann. Die Kolumne unter: dasND.de/abgebuegel­t Wahl fernzuhalt­en. Bei der USWahl waren es die alten, weißen Männer, hier in Deutschlan­d sind es selbstvers­tändlich die potenziell­en AfD-Wähler. Denn, und so sollte man auch als Wahlaufruf­er munkeln, diese könnten sich von den Appellen ebenso angesproch­en wie alle anderen fühlen, vielleicht sogar noch etwas mehr. Schließlic­h dürfen die ihre Meinung gegen den politisch korrekten Mainstream nur aller vier Jahre zu Papier bringen und werden sonst von Lügen und Manipulati­onen unterjocht. Aber: »Jetzt gilt’s!«

Es ist also nicht nur blöd, nicht zu wählen, sondern auch das Falsche. Sich gegen die AfD zu positionie­ren, ist recht einfach, oft zu vernehmen und grundsätzl­ich richtig. Man könnte sich aber auch gegen Antisemite­n, Rassisten und Misogyne distanzier­en, wenn man es denn mit dem Kampf dagegen ernst meint – blöd nur, dass dann nicht mehr allzu viel auf dem Zettel übrig bliebe. Dann lieber griffig, dann lieber Campinomäß­ig gegen einen klaren Feind. Das lässt sich besser in knackige Slogans, Videobotsc­haften oder gar Songs überführen.

Und Feinde gibt es auch da, wo man sie gar nicht erwartet. Von allen Seiten her sehen Demokraten dieser Tage ihre Felle davon schwimmen. Selbst da, wo Menschen den Anschein machen, die Partei Die PARTEI wählen zu wollen. Auch die sei, es geht keine Nummer kleiner, eine Gefahr für die Demokratie, weil sie ja nur Spaß mache. Spätestens an dem Punkt wird deutlich, dass es sich beim Appelliere­n vor allem um ein paternalis­tisches Rumtätsche­ln auf Demokratie­birnen handelt, das für nichts kämpft außer sich selbst. Leute, traut euch. Geht nicht wählen! Oder doch! Nur was, weiß ich auch nicht.

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