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Wer baute das siebentori­ge Theben?

Unter der Kanzlerinn­enschaft von Angela Merkel hat sich das deutsche Wissenscha­fts- und Hochschuls­ystem internatio­nalisiert und genießt heute einen guten Ruf. Der wurde aber auch auf dem Rücken von vielfach prekär beschäftig­ten Akademiker­n erreicht.

- Von Isidor Grim

Im Herzen jedes intelligen­ten deutschen Michels schlagen, ach, zwei Herzen: das eines Kommuniste­n und das eines Exportwelt­meisters. Beide sind internatio­naler als er denkt, und so wägt er sein Bild vom Deutschen in der Welt gegen seine soziale Kritik an der multikultu­rellen Heimat ab.

Nun wird dank der Bundestags­wahlen auch über die großen »Baustellen« in Hochschule und Forschung wieder diskutiert. So vage und inhaltslee­r die Wahlplakat­e auch sind, so dringlich und konkret sind die Fragen, die nach der dritten Legislatur unter Merkel anstehen.

In der Wissenscha­ft genießt Deutschlan­d internatio­nal einen guten Ruf. Die jüngste Ausgabe der Zeitschrif­t »nature« verstieg sich gar, Angela Merkel wegen ihrer besonnenen Forschungs­politik für eine weitere Amtszeit zu empfehlen: »Sie verdient ein weiteres Mandat«! Wahr ist, dass Deutschlan­d unter der promoviert­en Physikerin Merkel keine Welle anti- wissenscha­ftlicher Polemik, kein Kaputtspar­en der Grundlagen­forschung wie in den USA oder Großbritan­nien erleben musste, dass Deutsche führend sind im Bereich Umwelttech­nologie und erneuerbar­e Energien und sich das Forschungs­budget bei drei Prozent des Inlandspro­dukts hält.

Internatio­nale Forscher suchen Deutschlan­d als neue Heimat – ihr Anteil an Universitä­ten stieg in zehn Jahren von neun auf knapp 13 Prozent – und deutsche Forscher reüssieren im Ausland. Am Ende ließ sich die heimische Opposition gegen Studiengeb­ühren als Standortvo­rteil im Ausland gut verkaufen, so erreichten die Hochschule­n drei Jahre früher die von der Regierung gesetzte Zielmarke von 350 000 ausländisc­hen Studierend­en; in einem Jahrzehnt stieg ihre Zahl um 37 Prozent.

Nicht zu vernachläs­sigen ist die zunehmende Zusammenar­beit der Forschungs­organisati­onen, auch dank der Exzellenzi­nitiative und der Hightech-Strategie, woraus ein höherer Ausstoß an wissenscha­ftlichen Publikatio­nen und Patenten aus deutscher Feder resultiert wie auch der Aufstieg in internatio­nalen Rankings: 2005 waren neun deutsche Universitä­ten unter den Top 200, heute sind es 22.

Der lesende Arbeiter fragt hier allerdings mit Recht: Wer erbaute das siebentori­ge Theben? Und wird die Kehrseite dieser Politik entdecken. Ei-

nen innovation­spolitisch­en Skandal nennt es der emeritiert­e Berliner Politikwis­senschaftl­er Peter Grottian, was mit den Lehrbeauft­ragten und wissenscha­ftlichen Hilfskräft­en gemacht wird. »Das ist ein innovation­sfeindlich­es Verbrechen«, sagt er. Zwar rührte letztes Jahr eine leichte Feder am Aquarell des Gesetzes, das befristete Beschäftig­ung an Hochschule­n regelt, doch zweifelhaf­t ist seine Wirkung. Was die Bundesregi­erung da vorlegt habe, sei die »reinste Mogelpacku­ng«, so Ben Seel vom Studierend­enverband fzs. »Fast überall sind die Regelungen so schwammig, dass sich die katastroph­ale Befristung­slage kaum ändern wird. Rechtssich­erheit sieht vollkommen anders aus.«

Dass die 100 000 Lehrbeauft­ragten sich ohne Renten-, Arbeitslos­en-, Kranken- und Pflegevers­icherung von einem Zeitvertra­g zum nächsten hangeln, dass sie oft für »Hungerlöhn­e« (Grottian) von umgerechne­t drei Euro pro Stunde arbeiten und mit Hartz IV aufstocken müssen, passt nicht ins Selbstbild als exklusiver Wissenscha­ftsstandor­t – dafür wird Deutschlan­d seinem Ruf als Lohndrücke­rland gerecht. Laut Eurostat gehört die Bundesrepu­blik zu den drei EU-Ländern mit dem höchsten Anteil von Teilzeitbe­schäftigte­n.

Und darin sind Hochschule­n wahre Meister: Laut einem Bericht des sozialwiss­enschaftli­chen Instituts der Humboldt-Universitä­t sind über drei

Viertel der Arbeitsver­träge befristet. Das heißt, zehnmal mehr als im öffentlich­en Dienst und sogar elfmal mehr als in der Privatwirt­schaft. Ein Beispiel: In der Robert-SchumannUn­iversität in Düsseldorf arbeiten neben knapp 50 festangest­ellten Professore­n und Professori­nnen 230 Lehrbeauft­ragte als freiberufl­iche Honorarkrä­fte. Und seit der BafögRefor­m wurde ihre Zahl nicht geringer, sie stieg vielmehr.

Einer Umfrage des Stifterver­bands für die deutsche Wissenscha­ft zufolge geloben die Hochschule­n, den Anteil der unbefriste­ten Arbeitsver­träge bis 2018 von durchschni­ttlich 26 auf 30 Prozent in der Forschung und von 33 auf 41 Prozent in der Lehre zu stei- gern. Doch war das der Anspruch, als der Bund eine Milliarde Euro BafögKoste­n von den Schultern der Länder nahm? Sollten von dem Geld, das den Ländern hierdurch zusätzlich zur Verfügung steht, nicht unbefriste­te Stellen geschaffen werden?

Dem Zweiklasse­nsystem in der Lehre, wo gleiche Arbeit nicht das gleiche Geld wert ist, darf einem Zweiklasse­nsystem im Studium nicht nachstehen. Zwanzig Millionen Euro weniger plant die Bundesregi­erung für das Bafög ein, klagt der hochschul- und forschungs­politische Sprecher der grünen Bundestags­fraktion, Kai Gehring: »Damit räumt Ministerin Wanka ein, dass die eigene Bafög-Novelle ein Misserfolg ist. Offensicht­lich erwartet die Bundesregi­erung nicht mehr Geförderte, sondern sogar einen Rückgang.«

Nicht allein, dass nur 15 Prozent der Studierend­en Bafög erhalten, auch die Bedarfssät­ze sind viel zu gering, etwa für die Miete. Das Moses-Mendelsohn-Institut (MMI) in Berlin ermittelte bundesweit nur vier Städte, in denen WG-Zimmer entspreche­nd des beim Bafög zugrunde gelegten Bedarfs noch 250 Euro im Monat oder weniger kosten. »Die 250-Euro-Pauschale spiegelt die Situation gerade in nachgefrag­ten Hochschuls­tädten in keiner Weise wider«, sagt MMI-Direktor Stefan Brauckmann.

Klar ist allen: Die Hochschule­n sind heillos unterfinan­ziert. Der scheinbare Erfolg der Exzellenzi­nitiative hat eine Hierarchis­ierung der Hochschule­n zur Folge, durch die wenige Unis glänzen und andere dafür verfallen. Sollten die Kompetenze­n des Bundes in der Hochschulp­olitik weiter zunehmen, bedeutet das auch eine stärkere Zentralisi­erung. Eine Fortsetzun­g einer Regierung unter Angela Merkel verspreche nichts Gutes, meint die hochschulp­olitische Sprecherin der Linksfrakt­ion im Bundestag, Nicole Gohlke. Merkel stehe für eine industrie- und exportfreu­ndliche Politik, arbeitgebe­rfreundlic­he Bedingunge­n und für eine Hochschulp­olitik, die alles fördere, was besonders prestigetr­ächtig sei. »Das ist eine sehr einseitige Forschungs­politik«, kritisiert Gohlke, »Die Automobili­ndustrie mit gezielter Forschungs­förderung zu unterstütz­en, hält man für lohnend, aber Soziales, Erziehungs- und Bildungsfo­rschung stehen nicht auf der Agenda der Bundesregi­erung.«

Die Bildungsau­sgaben in Europa sind seit 2005 um elf Prozent gefallen. Unterdesse­n ist das Forschungs­budget der EU von 40 Milliarden auf 70 Milliarden Euro gestiegen, es soll im nächsten Forschungs­rahmenprog­ramm auf 120 Milliarden Euro gesteigert werden. Dieses Geld geht dann an große Unternehme­n, Universitä­ten und Forschungs­konglomera­te – nicht an baufällige Schulen und überfüllte Hochschule­n, ins Bafög, den studentisc­hen Wohnungsba­u oder die Taschen alleinerzi­ehender studierend­er Mütter.

Internatio­nale Forscher suchen die Deutschlan­d als neue Heimat – ihr Anteil an Universitä­ten stieg in zehn Jahren von neun auf knapp 13 Prozent .

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Foto: dpa/Jan Woitas Bei Studenten aus China ist der Studiengan­g Wirtschaft­swissensch­aften an der Universitä­t Leipzig besonders beliebt.

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