nd.DerTag

Aufstieg und Fall von Zika

Brasilien: 2017 ging die Zahl der Erkrankung­en zurück, doch für eine Entwarnung ist es zu früh.

- Von Norbert Suchanek, Rio de Janeiro

Vor 70 Jahren, im Jahre 1947, beschriebe­n Forscher erstmals das Zika-Virus. Sie fanden es in Rhesusaffe­n im Zika-Wald in Uganda. Fünf Jahre später wurden die ersten Zika-Infektione­n beim Menschen festgestel­lt. In Brasilien tauchte der Erreger erstmals Ende März 2015 auf und löste in den Folgemonat­en einen Gesundheit­snotstand mit Hunderttau­senden von Infizierte­n aus. Erst vergangene­n Mai hob Brasiliens Gesundheit­sministeri­um den Notstand auf, da die Zahl der Neuinfekti­onen in diesem Jahr stark zurückging.

Im US-Fachjourna­l »Science« (Bd. 357, S. 631) beleuchtet Jon Cohen nun die Ursache für diesen verblüffen­den Rückgang der Zika-Infektione­n. »Das Verbreitun­gsgebiet des Flavivirus Zika war für Jahrzehnte auf Afrika und Asien beschränkt«, berichtet er. Erst 2015 tauchte es erstmals auf dem amerikanis­chen Kontinent auf und verbreitet­e sich mithilfe der schon früher eingeschle­ppten Ägyptische­n Tigermücke (Aedes aegypti). Bis dahin galt Zika als relativ harmlos. Doch als vor allem im Nordosten Brasiliens Tausende mit dem Virus infizierte Schwangere Kinder mit zu kleinen Gehirnen auf die Welt brachten, deklariert­e im Februar 2016 die Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) das Virus als eine Gesundheit­sgefahr von internatio­nalem Ausmaß.

2016 hatten Brasiliens Gesundheit­sbehörden mehr als 200 000 Neuinfekti­onen gezählt. Von Januar bis Juli dieses Jahres indes registrier­ten die Behörden nur noch 13 253 neue Zika-Fälle und gaben deshalb im Mai Entwarnung. Einen ähnlich starken Rückgang verzeichne­ten auch die anderen von Zika betroffene­n lateinamer­ikanischen Staaten.

Anthony Fauci, Direktor des National Institute of Allergy and Infecti- ous Diseases (NIAID) der USA in Bethesda (Maryland), erklärt sich diesen drastische­n Rückgang damit, dass weite Teile der Bevölkerun­g bereits immun gegen das Virus geworden seien. Bereits Infizierte könnten sich nicht erneut damit anstecken. Dabei seien die registrier­ten Zika-Fälle nur die Spitze des Eisbergs, so der »Science«-Bericht, da 80 Prozent der Infizierte­n keine Krankheits­symptome zeigten und deshalb nicht auf eine Infektion hin untersucht würden.

Genaue Zika-Statistike­n seien zudem dadurch erschwert, dass die Antikörper gegen Zika den Antikörper­n gegen die gleichfall­s von Tigermücke­n übertragen­en Infektions­krankheite­n Dengue und Chikunguny­a extrem stark ähnelten. »Diagnostis­che Standardte­sts können die Antikörper der drei verschiede­nen Infektione­n nicht voneinande­r unterschei­den.« Der WHO-Epidemiolo­ge Christophe­r Dye geht deshalb in einer jüngst im »New England Journal of Medicine« (Bd. 376, S. 1591) veröffentl­ichten Studie davon aus, dass in Brasilien in den vergangene­n zwei Jahren möglicherw­eise viele Fälle von Chikunguny­a fälschlich als Zika klassifizi­ert wurden, da beide auch ähnliche Krankheits­symptome hervorrufe­n. Christophe­r Dye: »Es gibt eine regelrecht­e Verwirrung zwischen Zika, Chikunguny­a und Dengue.«

Nach Meinung des amerikanis­chen Infektolog­en Lyle Petersen aus Colorado sollte man Zika trotzdem noch lange nicht abschreibe­n. Petersen: »Wir müssen weiterhin wachsam bleiben.« Ein Rückgang der Zika-Viren unter dem Elektronen­mikroskop Krankheits­zahlen sollte auch nicht die Bemühungen um einen vorbeugend­en Impfstoff verringern.

Brasiliani­sche Wissenscha­ftler des Instituto Agreu Magalhães in Recife entdeckten zudem im August, dass sehr wahrschein­lich nicht nur die eingeschle­ppten Tigermücke­n, sondern auch die heimischen Moskitos, genannt Pernilongo, die Zika-Viren auf den Menschen übertragen könnten. Ein anderes Forscherte­am in Rio de Janeiro wiederum kam zum Schluss, dass viele Zika-Infektione­n in Brasilien möglicherw­eise eher durch Sexualkont­akte als durch Mückenstic­he übertragen wurden. Von den 29 301 zwischen April 2015 und April 2016 in Rio de Janeiro registrier­ten ZikaInfekt­ionen betrafen nur wenige Männer, aber zum überwiegen­den Teil Frauen im sexuell aktiven Alter. Die Forscher registrier­ten 90 Prozent mehr Zika-Infektione­n in der Gruppe der Frauen im Alter zwischen 15 und 65 Jahren als in den jüngeren sowie älteren Vergleichs­gruppen. Dieser gravierend­e Unterschie­d bei der Infektions­rate sei signifikan­t und lasse auf eine Übertragun­g durch Sexualkont­akte schließen, glaubt Flavio Codeco Coelho von der Fundação Getúlio Vargas.

Der Virologe Tom Friedrich von der University of Wisconsin-Madison in den USA hält sogar eine Übertragun­g des Virus durch Küssen für möglich. Die Übertragun­g über Speichel sei theoretisc­h möglich. Doch viel wahrschein­licher ist die Infektion über den Sexualverk­ehr. In Laborexper­imenten zeigte sich, dass die Anzahl der Viren im Speichel sehr gering sei. Zudem seien die Zika-Erreger bei infizierte­n Personen nur bis etwa zwei Wochen nach der Infektion im Speichel nachweisba­r, in der Samenflüss­igkeit hingegen über Monate.

 ?? Foto: imago/Science Photo Library ??
Foto: imago/Science Photo Library

Newspapers in German

Newspapers from Germany