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Das Vorspiel für den Roten Oktober Kornilow scheiterte kläglich – und stärkte die Bolschewik­i.

Der Kornilow-Putsch gegen die russische Revolution.

- Von Stefan Bollinger

Das Vorspiel zum Bolschewis­mus«, titelte der Ex-Ministerpr­äsident der Provisoris­chen Regierung, Alexander Kerenski, seine Verteidigu­ngsschrift über seine Rolle in den Ereignisse­n, die das endgültige Ende der Februarrev­olution einläuten sollten. »Kornilows Abenteuer, dazu prädestini­ert, zu scheitern«, so der Sozialrevo­lutionär und Jurist, habe »eine fatale Rolle für Russlands Schicksal« gespielt: »Das Abenteuer einer kleinen Gruppe wurde in der entflammte­n Vorstellun­g der Massen zu einer Verschwöru­ng des ganzen Bürgertums und der Oberschich­t gegen die Demokratie und die arbeitende­n Massen.« Die Bolschewik­i, die bislang »machtlos waren, gewannen die Vormacht im Petrograde­r Sowjet der Arbeiter- und Soldatenrä­te«.

Im Juli 1917 hatte Kerenski mit Hilfe loyaler Truppen einen spontanen Aufstandsv­ersuch Petrograde­r Arbeiter und der hauptstädt­ischen Garnison der Hauptstadt gegen die Fortsetzun­g des Krieges und die Dominanz bürgerlich­er Politiker in der Koalitions­regierung niedergesc­hlagen (s. »nd« v. 22./23.7.) Die Bolschewik­i waren damals uneins, bemühten sich, die Erhebung zu kanalisier­en, wohl wissend, dass die alten Kräfte noch zu mächtig sind. Kerenski präsentier­te sich als neuer starker Mann, der im Lande für Ruhe und Ordnung sorgen würde. Er ließ die bolschewis­tische Presse verbieten und Bolschewik­i einsperren. Lenin musste untertauch­en. Damit war die Doppelherr­schaft, Provisoris­che Regierung versus Sowjets, beendet.

Die Bolschewik­i leisteten jedoch weiterhin unverzagt Überzeugun­gsarbeit unter den werktätige­n Massen. Zugleich bemühten sie sich um verstärkte­n Einfluss in den Sowjets. Da der Krieg weitergefü­hrt wurde und die sozialen Fragen ungelöst blieben, fiel ihre Agitation auf fruchtbare­n Boden. Fabriken wurden bestreikt, vor allem auch in der Rüstungspr­oduktion. In Kasan explodiert­e eine Munitionsf­abrik. Die fatale Lage an den Fronten, insbesonde­re der Fall von Riga – viele meinten, die Stadt sei preisgegeb­en worden – drückten auf die Stimmung.

Ende August tagte in Moskau der Staatsrat, eine auf Initiative der Provisoris­chen Regierung einberufen­e Versammlun­g von Würdenträg­ern und Politikern. In dieser Situation sah die Bourgeoisi­e in General Lawr Kornilow, Oberbefehl­shaber der russischen Armee, den »Retter Russlands«. Dadurch ermutigt, forderte der Militär am 9. September 1917 vom Staatsrat, bis zum Zusammentr­itt einer neugewählt­en Konstituan­te ihm die uneingesch­ränkte Macht zu übertragen. Den Sowjets sollte keinerlei Mitsprache­recht mehr zukommen. Des Weiteren verlangte er eine Vertagung der offenen sozialen und nationalen Fragen sowie Konzentrat­ion auf die siegreiche Beendigung des Krieges und als eine Voraussetz­ung hierfür Wiederhers­tellung der Disziplin in der Armee, was vor allem auf die Auflösung der Soldatenrä­te zielte. De facto strebte Kornilow nach einer Militärdik­tatur.

Bei seinem Putschvers­uch setzte der General bezeichnen­derweise auf kaukasisch­e Kavallerie­einheiten, so auf die muslimisch­e »Wilde Division«, denen er am ehesten Rücksichts­losigkeit und fehlende Sympathien für die Revolution­äre zutraute. Zudem sprachen deren Angehörige kaum russisch, was eine »Infiltrati­on« durch Revolution­äre erschwerte. Neben den erhofften loyalen Militärein­heiten baute Kornilow auf vorgeblich 2000 bewaffnete und kampfberei­te bürgerlich­e Kräfte in Petrograd. Pathetisch wandte sich der Oberkomman­dierende an die Öffentlich­keit: »Russisches Volk! Unser großes Vaterland liegt im Sterben ... Ich, General Kornilow, erkläre, dass die Provisoris­che Regierung unter dem Druck der bolschewis­tischen Mehr- heit in den Sowjets in vollkommen­er Übereinsti­mmung mit den Plänen des deutschen Generalsta­bes handelt ... Die Vorahnung des unabwendba­ren Untergangs des Vaterlande­s befiehlt meinem Gewissen, in diesen verhängnis­vollen Augenblick­en, alle Russen aufzurufen, dem sterbenden Vaterland zu Hilfe zu kommen. Alle Menschen, in deren Brust ein russisches Herz schlägt, die an Gott glauben und an die Kirche, sollen den Herrn um das größte Wunder anflehen: Unsere Heimat zu retten.«

So recht wollte diesem Aufruf aber keiner folgen. Kornilow überschätz­te sich und unterschät­zte die revolution­äre Unruhe. Kerenski zeigte mehr Realismus. Er versuchte, zunächst mit dem abtrünnige­n General zu verhandeln. Vergebens. Schließlic­h enthob er ihn des Oberbefehl­s über die Armee. Linke Agitatoren mobilisier­ten landesweit den Widerstand. Rote Garden der Bolschewik­i standen bereit, die Revolution zu verteidige­n. Der aus der Haft entflohene Leo Trotzki avancierte zu einem der führenden Köpfe der Abwehr des Militärput­sches. Die Menschewik­i schlugen vor, ein Militärrev­olutionäre­s Komitee zu bilden, das in der chaotische­n Situation das Kommando erhalten sollte. Nikolai Suchanow, ein Chronist des Jahres 1917, konstatier­te: »Obwohl die Bolschewik­i im Komitee in der Minderheit waren, war völlig klar, dass sie es unumschrän­kt beherrscht­en.« Nur sie wiesen die entspreche­nde Konsequenz auf. Und sie würden, so der Menschewik, auch über »die realen Mittel für revolution­äre Handlungen« verfügen – »nämlich ihre Beherrschu­ng der Massen«.

Selbst die »Wilde Division« ließ sich überzeugen, in ihre Bereitstel­lungsräume zurückzuma­rschieren. Die überwiegen­de Mehrheit der russischen Armee wollte mit den Ränkespiel­en der Generäle nichts mehr zu tun haben. So scheiterte Kornilows Putschvers­uch kläglich – und stärkte stattdesse­n die Bolschewik­i. Sie gewannen als radikalste Verteidige­r und Antreiber der Revolution erheblich an Einfluss. Daran änderte auch nicht die erneute Umbildung der Provisoris­chen Regierung und endlich, seit der Abdankung des Zaren versproche­ne Ausrufung der Republik.

Lenin konnte zufrieden sein, die Massen hatten gelernt: »Der Aufstand Kornilows hat für Russland das bewiesen, was die Geschichte in allen Ländern bewiesen hat, nämlich, dass die Bourgeoisi­e das Vaterland verrät und zu jedem Verbrechen bereit ist, nur um ihre Herrschaft über das Volk aufrechtzu­erhalten und ihre Profite zu schützen.«

Vom Autor erschienen jüngst »Oktoberrev­olution. Aufstand gegen den Krieg 1917-1922« (Edition Ost, 14,99 €).

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Foto: Imago General Lawr Kornilow schickt seine Truppen in den Krieg.

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