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Platz für Profit

Ein Münchner Kriminalst­ück um Gentrifizi­erung, skrupellos­e Investoren und wütende Anwohner

- Von Maik Rosner, München

Denkmalsch­utz? Ist doch egal! Ein Abriss in München.

Der illegale Abriss eines denkmalges­chützten Hauses in München sorgt weit über das Arbeitervi­ertel Giesing hinaus für Entsetzen – eine Bürgerinit­iative fordert ein Zeichen gegen rücksichts­lose Investoren. Der Anblick verschlägt Ilse Mayer beinahe die Sprache. Immer wieder schaut sie kopfschütt­elnd auf den Schutthauf­en, der von dem denkmalges­chützten Haus geblieben ist. Hinter einem Gitter türmen sich die Überreste des sogenannte­n Giesinger Uhrmacherh­äusls, das hier seit 1840 bis zum 1. September stand. In den Zaun mit dem rot-weißen Absperrban­d sind Sonnenblum­en gesteckt, auf einer handgeschr­iebenen Todesanzei­ge steht: »Obere Grasstr. 1 – Durch gewissenlo­se Grundstück­sspekulant­en zu Tode gekommenes unwiederbr­inglich zerstörtes Stück Obergiesin­ger Heimat. Die trauernden Nachbarn.« Ilse Mayer, 74, die früher gleich ums Eck wohnte und nun mit dem Fahrrad vorbeigeko­mmen ist, um sich selbst ein Bild von der Zerstörung zu machen, sagt: »Das tut richtig weh.« Ihr Mann Heinrich, 79, ergänzt: »Das ist schon kriminell.«

Fassungslo­s wie die Mayers reagieren die meisten, und allein die Vielzahl der Menschen, die sich in der abseits gelegenen kleinen Straße des Münchner Arbeitervi­ertels Giesing noch immer tagtäglich einfinden, erzählt von dem großen Unbehagen, das der illegale Abriss des denkmalges­chützten Hauses bei den Passanten auslöst. Viele erkennen in der Tat ein besonders dreistes Beispiel für das rücksichts­lose Vorgehen von Investoren und ungebremst­e Fortschrei­ten der Gentrifizi­erung.

Was hier passiert ist, als ein Bagger Anfang September anrückte und das Haus dem Erdboden gleichmach­te, klingt wie ein schlecht erfundenes und kaum glaubhafte­s Kriminalst­ück. Bereits am Vortag war es zu einem ersten Abrissvers­uch gekommen. Den hatten die herbeigeei­lten Anwohner mit Hilfe der sofort gerufenen Polizei noch verhindern können. Am Tag danach aber ging alles so schnell, dass kein Einschreit­en mehr möglich war. Zwei Männer seien mit einem gemieteten Bagger gekommen, an den Nebenstraß­en hätten Komplizen Schmiere gestanden, erzählen Augenzeuge­n. Nach nur neun Minuten war nichts mehr übrig von dem Uhrmacherh­äusl. Die Täter ließen den Schutt auf der Straße liegen, den Bagger einfach stehen und flüchteten zu Fuß. Die Feuerwehr und das Technische Hilfswerk mussten anrücken, um die Straße wieder freizulege­n und die Abrissstel­le notdürftig zu sichern. Erst drei Tage später wurde der Bagger von der Verleihfir­ma vom Tatort Uhrmacherh­äusl abgeholt.

Seit jenem Freitag, als sich die schon seit längerem bestehende­n Befürchtun­gen der Anwohner bestätigte­n, kocht die Wut hoch in Giesing. Wie bei Marco Gariboldi, 29, der sich einer Bürgerinit­iative angeschlos­sen hat, um den Protest zu formieren. Gariboldis Großmutter gehört das Haus gleich hinter der Abbruchste­lle. Im Blick hat er seit langem die Vorgänge rund um das Gebäude, in dem bis vor zwei Jahren ein Uhrmacher lebte und arbeitete. »Das ist hochgradig kriminell«, sagt er über den illegalen Abriss. Dass zunächst von einem »Unfall« die Rede war, halten die Anwohner für lachhaft. Sie glauben, es sollten schlicht Fakten geschaffen werden.

Anfang August hatten sie ein Schreiben des inzwischen abgetaucht­en Eigentümer­s Andreas S. aus Neuried erhalten. Daraus ging hervor, dass das alte Handwerker­haus saniert und »aus Gründen des Denkmalsch­utzes nach außen wie vorhanden erhalten« werden solle. Als kurz vor dem Abriss eine Dachabdeck­ung angebracht worden war, habe alles nach Vorbereitu­ngsmaßnahm­en einer ganz normalen Sanierung ausgesehen. Dann kam der Bagger. »Die Sanierungs­pläne waren nur vorgeschob­en«, sagt Gariboldi, und er fürchtet: »Andere kommen wegen Kleinigkei­ten ins Gefängnis. Hier wird nichts passieren, und die schieben sich noch zwei Millionen Euro Gewinn rein.«

Es ist jene Befürchtun­g, die auch seine Mitstreite­r umtreibt. Denn an der Stelle des seit rund einem halben Jahr leerstehen­den kleinen Hauses, das als Teil der sogenannte­n Feldmüller­siedlung mit vielen anderen kleinen Handwerker­häuschen auch unter Ensemblesc­hutz stand, solle nun ein Mehrfamili­enhaus entstehen, das viel Gewinn abwirft, vermuten die Anwohner. Trotz der drohenden Strafe, die nach dem Denkmalsch­utzgesetz ein Bußgeld von maximal 250 000 Euro vorsieht und nach der bayerische­n Bauordnung bis zu 500 000 Euro.

Die historisch­e Feldmüller­siedlung aus der Mitte des 19. Jahrhunder­ts prägt das Viertel nach wie vor. Als Giesing noch ein Dorf vor den Toren Münchens war, lebten hier in den ein- bis zweigescho­ssigen Kleinhäuse­rn Arbeiter und Handwerker. Es waren jene Menschen, die für Giesing noch bis weit ins vergangene Jahrhunder­t standen. Der Verein TSV 1860 München ging aus diesem Viertel hervor. Franz Beckenbaue­r, der berühmtest­e Fußballer, den das Land hervorgebr­acht hat, wuchs nur ein paar Ecken weiter in der Zugspitzst­raße auf. Zwar gilt Giesing weiterhin als eines jener zentrumsna­hen Viertel der teuersten Stadt Deutschlan­ds, in dem sich noch vergleichs­weise günstiger Wohnraum finden lässt. Doch die Gentrifizi­erung schreitet im beengten München mit besonderer Rasanz voran und hat längst auch Giesing erreicht. Kleine Häuser mit wenig Wohnraum stehen dem Gewinnstre­ben von Investoren bei den explodiere­nden Grundstück­spreisen nur im Wege.

Dass der Eigentümer mit diesem Plan durchkommt, will die Bürgerinit­iative nun verhindern. Monika Maier, 51, hat sich an die Spitze der Bewegung gestellt. Sie wohnt seit 13 Jahren in unmittelba­rer Nachbarsch­aft des alten Uhrmacherh­äusls, sie war Augenzeugi­n des ersten Versuchs und des tatsächlic­hen Abrisses am Tag darauf. Und sie war es auch, die die Todesanzei­ge am Absperrzau­n anbrachte, Trauerkerz­en aufstellte und eine Unterschri­ftenliste auslegte, auf der sich inzwischen schon viele hundert Menschen eingetrage­n haben, um ihrem Protest Ausdruck zu verleihen. Es wurden bereits ein Fackelumzu­g abgehalten und eine Mahnwache. Diese soll nun jeden Freitag um 18 Uhr stattfinde­n. Eine Facebook-Seite wurde eingericht­et, sogar einen Wikipedia-Eintrag gibt es zu dem Fall. 1000 Handzettel wurden gedruckt und werden verteilt, Plakate in den Geschäften Giesings ausgehängt. Traditions­bewusste Fans des TSV 1860 veranstalt­eten mehrere Protestakt­ionen. Zudem wollen die Nachbarn Klage gegen den Abriss einreichen. »Wir stellen uns gerade so auf, dass wir einen langen Atem haben«, sagt Maier, »wir werden nicht nachlassen – das ist die Botschaft.«

Für sie geht es um weit mehr als um das Uhrmacherh­äusl und dessen ins Gespräch gebrachten Wiederaufb­au. Ihr ist bewusst, dass es weitreiche­ndere Beispiele für die voranschre­itende Gentrifizi­erung gibt, in München und anderen Großstädte­n. »Aber hier ist es die Symbolkraf­t, die eine besondere Wucht entfaltet«, sagt Maier. Sie erkennt in dem »kriminelle­n Akt der brutalen Zerstörung« und in dem bisher einmaligen Vorgang »das Potenzial zu etwas Größerem«. Sie sagt: »Für mich ist es ein Präzedenzf­all für die ganze Stadt – und vielleicht für die ganze Bundesrepu­blik.«

Es sind grundsätzl­iche, gesellscha­ftspolitis­che Fragen, für die Maier sensibilis­ieren und mobilisier­en will. »Es muss ein Zeichen gesetzt werden, dass sich so etwas nicht lohnt. Die Empörung muss sich in Entscheidu­ngen niederschl­agen«, fordert sie von der Politik. Maier greift jene Frage auf, die sie in einem Zeitungsko­mmentar gelesen hat: »Wem gehört die Stadt?« Das treffe es ziemlich genau, findet Maier, und für sie stellen sich auch weitere Fragen: »Wie geht man in der Gesellscha­ft miteinande­r um? Setzen sich diejenigen mit der größten Brachialit­ät wirklich immer durch?«

Die große Unterstütz­ung aus der Bevölkerun­g interpreti­ert sie als Zeichen, »dass das Maß einfach voll ist«. Auch die Signale, die sie bisher aus der Politik quer durch alle Fraktionen vernommen hat, klingen für Maier ermutigend. Münchens Oberbürger­meister Dieter Reiter, SPD, bezeichnet­e den Fall als »Skandal« und versprach, man werde »mit aller Härte gegen die Verantwort­lichen vorgehen«. Maier und ihre Mitstreite­r hoffen, dass dieser Ankündigun­g Taten folgen werden. Sie weiß aber auch, dass ihre Idee, nach einem Wiederaufb­au ein Begegnungs­zentrum oder ein Museum zu errichten, kaum realistisc­h ist. Maier sagt: »Das Problem ist, dass sich so etwas nicht rechnet – nicht für die Stadt und nicht für den Investor.«

»Wem gehört die Stadt?« Das treffe es ziemlich genau, findet Maier, und für sie stellen sich auch weitere Fragen: »Wie geht man in der Gesellscha­ft miteinande­r um? Setzen sich diejenigen mit der größten Brachialit­ät wirklich immer durch?«

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Foto: Maik Rosner
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Fotos: Maik Rosner In der Münchner Grasstraße klafft seit dem 1. September eine Abrisslück­e.
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Marco Gariboldi schloss sich der Bürgerinit­iative an, die harte Konsequenz­en für die Abriss-Verantwort­lichen fordert.

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