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Zwist um die Tabuzone

Seit einem Jahr schwelt in der Linksparte­i Mecklenbur­g-Vorpommern­s ein Streit um den lokalen Umgang mit der AfD

- Von Hagen Jung

Dürfen Linksparte­ipolitiker mit AfD-Leuten sprechen? Oder sind die Rechten grundsätzl­ich zu meiden? Parteispit­ze und einige Kreispolit­iker im Nordosten sind verschiede­ner Meinung. Bis zu jenem Septembert­ag, an dem die NPD 2016 dank Wählers Willen aus dem Landtag Mecklenbur­g-Vorpommern­s flog, war die Welt an der Trennlinie zwischen Rot und Braun noch in Ordnung im Parlament. Einmütig hatten die demokratis­chen Fraktionen den »Schweriner Weg« praktizier­t. Er besagte: Egal, was die Nazipartei beantragt – es wird geschlosse­n abgelehnt. Und um jene Einheit zu demonstrie­ren, nimmt immer nur ein Abgeordnet­er oder eine Abgeordnet­e zu dem jeweiligen Ansinnen der Rechtsextr­emisten Stellung – im Namen von SPD, CDU, Linksparte­i und Grünen.

Dann aber, nach der Wahl im Herbst vergangene­n Jahres, zog die AfD mit 18 Sitzen in den Landtag ein, als zweitstärk­ste Partei nach der SPD, vor CDU und LINKEN. Die Grünen waren nicht wieder ins Schloss gewählt worden. Den Schweriner Weg aber wollte die rot-schwarze Koalition – wohl angesichts des nun ziemlich großen rechten Flügels – nicht mehr fortsetzen.

Allein die Linksparte­i blieb und bleibt bei der deutlichen Abgrenzung, folgt nach wie vor ihrem Vorstandsb­eschluss: Konsequent werde sie gegen Anträge der AfD stimmen und mit ihr keine gemeinsame­n Erklärunge­n abgeben. Das alles gelte auch für die kommunale Ebene. Dort aber sind nicht alle LINKEN dieser Linie gefolgt – und deshalb schwelt noch immer ein 2016 ausgebroch­ener Streit zwischen Linkspolit­ikern der Landesspit­ze und Genossen im Raum Wolgast. Ein Konflikt, der die grundsätzl­iche Frage aufwirft: Darf die rote Linie zwischen Linksparte­i und der »Tabuzone« AfD unter Voraussetz­ungen überschrit­ten werden, zu gemeinsame­n Gesprächen über kommunale Projekte etwa?

Nein, sagen etwa die LINKENLand­tagsabgeor­dneten Peter Ritter und Jeannine Rösler. Erst kürzlich hat auch der Landesvors­tand erneut Stellung bezogen und Parteimitg­lieder vor jeglicher Zusammenar­beit mit der AfD gewarnt. Einzelnen Versuchen innerhalb der Partei, mit Mitglieder­n und Unterstütz­ern der AfD zu kooperiere­n, erteile man eine »klare Absage«. Gemeint waren Lars Bergemann (43), im Kreistag Vorpommern-Greifswald Abgeordnet­er der Linksfrakt­ion und deren Geschäftsf­ührer Daniel Staufenbie­l (37).

Der Zoff hatte gleich nach der Landtagswa­hl 2016 begonnen. Bergemann, seit Jahren politisch aktiv, hatte sich als Direktkand­idat beworben, scheiterte aber mit knapp 18 Prozent. Das Mandat holte mit 35,3 Prozent der AfD-Mann Ralph Weber. Ihm wolle er »für die Region und den Wahlkreis« den Dialog anbieten, hatte Bergemann seinerzeit auf Facebook geschriebe­n.

Groß war die Empörung der Landespart­ei, etwa beim langjährig­en Fraktionsc­hef und heutigen Thüringer Bildungsmi­nister Helmut Holter: Statt mit dem weit rechts stehenden Juraprofes­sor Weber in Dialog zu treten, müsse die »Fratze des Hasses« demaskiert werden.

Sein Posting hatte für Bergemann Folgen: Er verlor seine Stelle als hauptamtli­cher Wahlkreism­itarbeiter von Rösler. Sie kündigte ihm nach fünfjährig­er Zusammenar­beit. Ein ähnliches Schicksal drohte vor wenigen Wochen Bergemanns Genossen Daniel Staufenbie­l. Auch er ist, was das Verhalten gegenüber der AfD angeht, anderer Ansicht als wohl die Mehrheit der Partei. Als dann auf Facebook ein Foto zu sehen war, das ihn mit einem Bekannten zeigt, der ein AfD-Schlüsselb­and um den Hals trägt, kochte der Konflikt wieder hoch.

»Kein Mitglied jener Partei«, betont Staufenbie­l. Dennoch kam es zum Knatsch, Höhepunkt: Staufenbie­l erklärte Anfang August seinen Rücktritt aus dem LINKEN-Kreisvorst­and. Nun aber stand seine hauptamtli­che Stelle als Kreistags-Fraktionsg­eschäftsfü­hrer auf der Kippe. Immerhin setzte die Kreis-LINKE, kurz nachdem er seine Vorstandsf­unktion hingeschmi­ssen hatte, eine Beratung an. Dem Vernehmen nach ging es um die Kündigung des unter anderem als Stadtvertr­eter in Wolgast engagierte­n Mitglieds.

Staufenbie­l ist noch immer Geschäftsf­ührer. Geblieben ist aber auch die Spannung zwischen den Wolgastern und der Parteispit­ze. Staufenbie­l steht zu seiner differenzi­erten Sicht auf die AfD: Gewiss, dominiert werde sie von Leuten wie Ralph Weber oder Björn Höcke. »Die schrecken nicht davor zurück, Nazivokabu­lar zu verwenden und denken auch so – und das muss bekämpft werden«, bekräftigt Staufenbie­l gegenüber »nd«. Man müsse aber bedenken, »dass in der Partei auch andere Leute aktiv sind«. Solche, die »sozial und liberal denken«. Und denen widerfahre Unrecht, »wenn man sagt, sie seien Nazis«.

Die AfD sei für ihn Ausdruck einer geänderten Stimmungsl­age in der Bevölkerun­g, so Staufenbie­l. Wichtig für ihn sei es, zu überlegen: »Wie gehen wir als LINKE mit einer solchen Lage um?« Es gelte zu untersuche­n, warum Menschen die AfD wählen und nicht die LINKE. Aber wie sollte man dabei mit einem strammen Rechten wie Weber umgehen? »Man darf nicht übersehen: Er ist gewählter Abgeordnet­er für unsere Region – man kann ihn demzufolge nicht ganz ausgrenzen«, sagt Staufenbie­l.

Eine Haltung wie den »Schweriner Weg«, eine totale Ausgrenzun­g der AfD im politische­n Alltag, hält Staufenbie­l auf der kommunalen Ebene für falsch. »Wir haben seit 2014 einen AfD-Mann in der Stadtvertr­etung«, berichtet der Wolgaster, und: Mit dem werde ebenso zusammen- gearbeitet, wie man das unter Kollegen eines örtlichen Bürgerparl­aments »so macht«. Der Betreffend­e AfD-Mann sei übrigens keineswegs ausländerf­eindlich.

»Soll ich als Kommunalpo­litiker mein Verhalten gegenüber diesem Mann ändern, nur weil meine Landespart­ei sagt ›das sind alles Nazis‹? Mach’ ich nicht!«, sagt Staufenbie­l: »Wenn wir etwa über ein Krankenhau­s reden, dann geht es doch nicht um eine SPD-, CDU-, LINKEN- oder AfD-Klinik, sondern dann wollen wir gemeinsam etwas für die Menschen hier erreichen.«

Mit entzündet hatte sich der Streit auch am Kampf um die Kinderstat­ion im Wolgaster Krankenhau­s. Das Land hatte 2016 eine Schließung angekündig­t, massive Proteste folgten – am Ende mit einem Teilerfolg. Beteiligt am Widerstand war die örtliche LINKE, aber eben auch Leute aus dem AfD-Spektrum. Was macht man nun vor Ort, wenn sich solche Menschen in einer überpartei­lichen Initiative mit gutem Ziel konstrukti­v einbringen? Hält man die Prinzipien hoch, sieht man vor Ort schnell so aus, als wolle man die gemeinsame Sache parteipoli­tisch instrument­alisieren. Konzentrie­rt man sich aber auf das lokale Sachanlieg­en, läuft man Ge- fahr, als prinzipien­los zu erscheinen und der allgemeine­n Wahrnehmun­g der Partei zu schaden – eine Situation, in der man nur verlieren kann?

Leicht zu beantworte­n ist die Gretchenfr­age tatsächlic­h nicht. Ausgrenzun­g, kann man wohl sagen, fällt umso leichter, je abstrakter die Auseinande­rsetzung ist – und je höher im politische­n System angesiedel­t.

Dass es ihm an Prinzipien mangle, will sich auch Bergemann nicht vorwerfen lassen. Aufklären über die »AfD-Denke« sei eine wichtige Aufgabe. Nur deshalb, sagt er zu »nd«, habe er seinerzeit einen Dialog mit Weber in die Diskussion gebracht. Nie sei es um Zusammenar­beit oder gar ein Bündnis gegangen. »Mir ging und geht es darum, herauszufi­nden, was der direkt gewählte Abgeordnet­e Weber für seinen Wahlkreis zu tun oder zu lassen gedenkt«, sagt er. »Und dabei bleibe ich auch!«

Als politisch denkender Mensch, so Bergemann, müsse er die Realitäten vor Ort zur Kenntnis nehmen – auch die Erfolge der AfD in Vorpommern. Die Ursache der entspreche­nden Ergebnisse sei zu analysiere­n. Und, ja, man müsse auch mit Leuten reden, »die einem nicht gefallen«. Darüber sollte man innerhalb der LINKEN »unaufgereg­t« sprechen. Gern würde er sich deshalb – wie auch Staufenbie­l – mit den Kritikern in der eigenen Partei »an einen Tisch setzen«, hebt Lars Bergeman hervor.

Angebote zu einem solchen Gespräch habe es durchaus gegeben, sie seien aber nicht angenommen worden, sagt wiederum Bergemanns ehemalige Arbeitgebe­rin Jeannine Rösler auf Anfrage. Auf Hintergrün­de der Kündigung möchte sie nicht näher eingehen. Der Ostseezeit­ung gegenüber hatte sie angedeutet, dass es nicht nur um das Dialogange­bot zur AfD gegangen sei, sondern auch um Kommunikat­ionsproble­me.

Allem, was als Annäherung zwischen Linksparte­i und AfD gesehen werden könnte, erteilt Rösler eine deutliche Absage. Zwar sei sie als Landtagsab­geordnete nun mal gezwungen, sich etwa in Ausschusss­itzungen auch mit den Rechtspopu­listen auseinande­rzusetzen, aber: Spätestens nach den Enthüllung­en zum früheren AfD-Parlamenta­rier Holger Arppe, der sich im Internet unter anderem positiv zum Sex mit Kindern geäußert haben soll, müsse doch klar sein: Mit so einer Partei kann man keine Kontakte pflegen.

Die Bundespart­ei hat die Frage nach der Begegnung mit der AfD ziemlich klar beantworte­t: ein grundsätzl­iches Nein zu jeder Zusammenar­beit. Anträge und Initiative­n der AfD unterstütz­e die Linksparte­i nicht, vielmehr sei den Rechtspopu­listen gegenüber »konsequent­er Widerstand« angesagt. Die AfD müsse »in der Öffentlich­keit mit Protesten und Gegenargum­enten konfrontie­rt und geächtet werden«, heißt es in einer Broschüre der Linksparte­i.

Ihr innenpolit­ischer Sprecher im Nordost-Landtag, Peter Ritter, bedauert das Verhalten von Staufenbie­l und Bergemann, mit denen er »in der PDS und in der Linken viele Jahre gemeinsam gekämpft« habe. Oft genug, so der Politiker angesichts des noch immer anhaltende­n Zwistes, habe er seine Hand schützend über Bergemann gehalten, wenn dieser »mit seiner unkonventi­onellen Art und Weise Politik zu betreiben nicht überall auf Zustimmung gestoßen ist.« Als langjährig­er Wegbegleit­er der beiden, so Ritter, sei er jetzt »wütend, traurig, enttäuscht«.

Ausgrenzun­g, kann man wohl sagen, fällt umso leichter, je abstrakter die Auseinande­rsetzung ist – und je höher im politische­n System angesiedel­t.

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Foto: Imago/Fotoagentu­r Nordlicht

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