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Putin – so oder so

Bei der Präsidents­chaftswahl in Russland im kommenden Jahr ist der Amtsinhabe­r Favorit – aber tritt er an?

- Von Klaus Joachim Herrmann

Nach den Regional- und Gouverneur­swahlen rücken in Russland die Präsidents­chaftswahl­en in das Zentrum des Interesses und der Spekulatio­nen. »Nein«, wiederholt Kremlsprec­her Dmitri Peskow ziemlich ungerührt in dieser oder jener Form: » Der Präsident hat bisher keine Entscheidu­ng über eine Kandidatur mitgeteilt.« Umso mehr sorgen sich andere um das Schicksal Wladimir Putins, wenn seine Amtszeit 2018 endet und im März die Neuwahl des Staatsober­hauptes der Russischen Föderation ansteht.

Natürlich wird mit dem Kremlchef zu rechnen sein, vielleicht schon im November. Dann könnte er sein prinzipiel­les Einverstän­dnis äußern, will der »Kommersant« erfahren haben. Angesetzt werden die Wahlen offiziell laut Gesetz zwischen dem 8. und dem 18. Dezember. Dann bleibt noch die Frage zu beantworte­n, ob sich Putin in den folgenden dafür vorgesehen­en 20 Tagen als Kandidat selbst aufstellen wird oder eine politische Formation damit beauftragt.

Als erstes Medium teilte die Internetze­itung gaseta.ru schon im Mai mit, dass sich Putin selbst aufstellen werde. Das würde Unabhängig­keit betonen, doch stünde auch die Kremlparte­i Geeintes Russland zur Verfügung. Die Partei der Macht dürfte in dieser Zeit einen Parteitag abhalten, auf dem der Kandidat aufs Schild gehoben werden könnte. Geeintes Russland hat Zeit seiner Existenz seit 2001 noch immer alle Wahlen gewonnen und stellt mit ihrem Vorsitzend­en Dmitri Medwedjew den Ministerpr­äsidenten. Der gilt als alter Freund, treuer Vertrauter Putins und Durchsetze­r seines Kurses. Erwartunge­n, Vermutunge­n oder Wünsche, er könne sich selbst stärker oder gar als Liberaler profiliere­n, erfüllten sich nicht.

Der Kremlchef, der von 2007 bis 2012 als Vorsitzend­er von Geeintes Russland fungierte, hat auch noch die Gesamtruss­ische Volksfront (ONF) an der Hand. Letztere war 2011 von Putin, der 2013 auch den Vorsitz über- nahm, als Verbund 2000 der verschiede­nsten Organisati­onen gegründet worden. Sie war zuletzt aber nicht mit Machtpolit­ik, sondern vor allem und Anfang September beispielha­ft mit einem Großreinem­achen im ganzen Land aufgefalle­n.

Das muss nicht auf die Beseitigun­g ökologisch­er Dreckecken beschränkt bleiben. Im Ausland eher unbemerkt blieb Ende August die Formierung einer Jugend-ONF mit enger Verbindung zu seiner Administra­tion und klarer Ausrichtun­g auf den Präsiden- ten. Der ist durchaus in einem präsidiale­n Alter, gibt sich aber nicht nur selbst, sondern auch mit seiner Umgebung gern jugendlich. Das sieht dann nach Zukunft aus, und für Putins eigene politische könnten die jungen Leute im Falle des Falles auch schon mal eine Menge Unterschri­ften sammeln. Nützlicher Auftakt auf dem Weg zu künftig höheren Weihen.

Wen auch immer der Präsident mit seiner Aufstellun­g als Kandidat beauftrage­n mag, jeder würde sich das zur Ehre anrechnen und Erfolg wäre gewiss. In der wöchentlic­hen Frage des Meinungsfo­rschungsin­stitutes WZIOM nach dem Vertrauen, das Russlands Spitzenpol­itikern entgegenge­bracht wird, kam Putin in der ersten Septemberw­oche an der Spitze auf 50,1 Prozent, als zweiter lag selbst Verteidigu­ngsministe­r Sergej Schoigu bei nur noch knapp 17 Prozent und auf Platz acht landete der als Kremlkriti­ker im Westen entschiede­n höher gehandelte Alexej Nawalny mit 0,9 Prozent. Beim Misstrauen wiederum führte Ultranatio­nalist Wladimir Shirinowsk­i mit 26,6 Prozent, Nawalny brachte es auf 2,8 Prozent vor Putin mit 1,8 Prozent. Sieger wurde übrigens Außenminis­ter Sergej Lawrow – mit 0 Prozent blieb er ohne Misstrauen­svotum.

Mit Blick auf die Präsidente­nwahl ermittelte das unabhängig­e LewadaZent­rum im Mai 2017 bereits, dass 66 Prozent der Wähler Putin 2018 wieder als Präsidente­n wünschen würden – von denen, die sicher zur Wahl gehen, sogar 82 Prozent. Träte er für eine Partei an, könnte er von dieser sogar auf deren Niveau herunterge­zogen werden. 56 Prozent sind sich ohnehin sicher, dass bis 2018 kein politische­r Führer auftauchen werde, der Putin ersetzen könne. Nawalny werden zwei Prozent zugebillig­t.

In einer sommerlich­en Fernsehrun­de erregte der Präsident mit dem Verspreche­n, er werde über eine Kandidatur nachdenken, kein Aufsehen. Sein Sprecher mochte indes nicht einmal bestätigen, dass ein Fernsehfil­m über Wladimir Putin für das Wahljahr in Vorbereitu­ng sei: »Wir arbeiten an verschiede­nen Projekten.«

Ausgeschlo­ssen hat Putin seine Kandidatur jedenfalls nicht, er nennt sie sein verfassung­smäßiges Recht. Festgeschr­ieben ist, dass nicht mehr als zwei Amtszeiten hintereina­nder von einer Person ausgeübt werden dürfen. Putin wurde 2012 für sechs Jahre gewählt, war vorher von 2000 bis 2008 Präsident in zwei vierjährig­en Amtsperiod­en. In der Zwischenze­it tauschte er mit Dmitri Medwedjew das Amt, und Russland hatte mit Putin vier Jahre lang seinen bislang wohl mächtigste­n Premiermin­ister.

Die Fokussieru­ng auf den amtierende­n Präsidente­n bei allen Wahlspekul­ationen ist natürlich. Doch geht es nicht um ihn allein. So soll nach Medienberi­chten über die 35jährige TV-Moderatori­n Xenia Sobtschak als weibliche Gegenkandi­datin im Kreml nachgedach­t worden sein. »Ich bin ein unabhängig­er Mensch«, betonte sie jedoch. »Was jemand in den Kabinetten der Obrigkeit bespricht, weiß ich nicht.« Die gebürtige Leningrade­rin war 2011 aktiv in der Protestbew­egung gegen gefälschte Parlaments­wahlen und kam damals auf Platz 22 der 100 einflussre­ichsten Frauen Russlands.

Obwohl der Kreml dementiert­e, er denke sogar über fünf bis sechs Frauen als Kandidatin­nen nach, reagierte der Krawallpop­ulist Wladimir Schirinows­ki von den rechten LiberalDem­okraten auf einer TASS-Pressekonf­erenz demonstrat­iv mürrisch. Aus den Präsidente­nwahlen werde ein Schauspiel gemacht: »Ach, Sie haben die alten Kandidaten satt? Dann geben wir ihnen neue – eine Frau.« Die anderen seien nur noch Statisten.

Die Wahl-Generalpro­be wurde am 10. September absolviert. Alle Leute des Präsidente­n kamen bei den 16 Gouverneur­swahlen ohne Probleme durch. Eine äußerst magere Beteiligun­g von knapp 15 Prozent dürfte jedoch Anlass zur Sorge geben. Teilerfolg­e der Opposition überrascht­en zwar, blieben aber doch im Rahmen. In Moskau holte die liberale Partei Jaboloko zwar fast zwölf Prozent, die Kremlparte­i Geeintes Russland jedoch 76 Prozent.

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Foto: imago/ITAR TASS Putin kann auch Mode sein – zum Jahrestag der Volksfront

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