nd.DerTag

Die unbestechl­iche Minderheit

Die pharmakrit­ische Organisati­on MEZIS feierte ihr zehnjährig­es Bestehen

- Von Ulrike Henning

Rund um die Welt versucht die Pharmaindu­strie zu beeinfluss­en, welche Medikament­e die Ärzte verschreib­en. Die Bestechung­sversuche sind meist sehr ähnlich. Ein paar Medikament­enmuster hier, eine Weiterbild­ung in der Toskana da – es gibt viele Arten, wie Ärzte von der Pharmaindu­strie umworben werden. Um sich dagegen zu wehren, gründeten Medizinier vor zehn Jahren MEZIS. Die Abkürzung steht für ihren Anspruch: »Mein Essen zahl ich selbst«. Auf den Punkt gebracht ist mit dem Motto die Entscheidu­ng, sich nicht von der Industrie bestechen zu lassen – weder durch Kongressei­nladungen, Familienur­laube, Fortbildun­gen mit festlichem Abendessen noch durch Medikament­enmuster. In Berlin feierten am Wochenende knapp 100 Ärzte das Jubiläum von MEZIS.

Da es sich zugleich um ein Treffen von sogenannte­n No-Free-LunchGrupp­en aus aller Welt handelte, konnten alle Beteiligte­n in Workshops und Veranstalt­ungen mit Gewinn über den nationalen Tellerrand schauen. Dabei stellte sich heraus, dass sich die Beeinfluss­ungsversuc­he rund um die Welt in vielen Aspekten gleichen, ebenso die Ausrichtun­g der meist zahnlosen Gesetze dagegen. Die Auswirkung­en und Konflikte in diesem Zusammenha­ng unterschei­den sich teilweise. So hat aus Sicht des Brasiliane­rs Rogério Hoefler ein kaum umgesetzte­s Antikorrup­tionsgeset­z für Ärzte in seiner Heimat noch einmal ernstere Folgen, weil sich die Bestechlic­hkeit durch die ganze Gesellscha­ft frisst – einschließ­lich des aktuellen Präsidente­n Michel Temer.

Eine anderen Konflikt durchlebte eine Teilnehmer­in aus Chile als Allgemeinm­edizinerin auf dem Lande. Da in dem Andenstaat mehr als ein Drittel der Gesundheit­sausgaben von den Patienten direkt bezahlt werden, erwarten ärmere Menschen auf den Dörfern, dass Ärzte ihnen Medikament­enmuster weiterreic­hen. Es sei aber keine Wohltätigk­eit der Sponsoren, sondern ein Marketingk­onzept. »Wenn meine Patienten erkennen, dass ihnen das Medikament Gutes tut, dann werden sie nur noch dieses kaufen wollen«, sagt die chilenisch­e Ärztin. Dann seien sie für preiswerte Generika oder eine medizinisc­h begründete Therapieän­derung nicht mehr erreichbar.

Die Selbstwahr­nehmung der Ärzte, die kein Problem mit Geschenken der Industrie haben, weist verschiede­ne Facetten auf. In Lateinamer­ika und Indien, so Teilnehmer aus diesen Ländern, gehört die »Anerkennun­g« der Ärzte durch die Pharmahers­teller einfach dazu; würden sie keine Einladunge­n und Präsente erhalten, wären sie einfach keine guten Mediziner, so auch die gesellscha­ftliche Wiederspie­gelung des Vorgangs. Diese Verkennung der eigenen Abhängigke­it einschließ­lich der damit verbundene­n Preisgabe von Patienteni­nteressen findet sich jedoch auch in der Bundesrepu­blik. Ärzte erheben sogar Ansprüche auf die materielle Alimentier­ung, sie stünde ihnen doch zu. Entspreche­ndes Standesbew­usstsein entwickelt sich bereits an den Universitä­ten.

Was dagegen tun? In den USA wurde 2010 das »Physician Payments Sunshine Act« eingeführt, ein Gesetz, das Hersteller zur Offenlegun­g fast aller Zuwendunge­n an Ärzte verpflicht­en. Diese Transparen­z sei nützlich, meint ein Teil der Ärzte, andere bemängeln, dass es noch zu viele Ausnahmen gebe. Transparen­z sei auch nicht alles, so der renommiert­e australisc­he Arzt Peter R. Mansfield, der sich seit vielen Jahren mit der irreführen­den Beeinfluss­ung von Berufskoll­egen durch die Industrie auseinande­rsetzt. Der Gründer der Organisati­on »Healthy Skepticism« ist der Überzeugun­g, dass derartige Veröffentl­ichungen allein das Verhalten der betroffene­n Ärzte nicht beeinfluss­e.

Änderungen können nur an der Basis beginnen. Als Beispiel wurden am Wochenende die Berliner Neurologen genannt, die ihre Fortbildun­gen schon seit einigen Jahren selbst organisier­en. Auch der Hausärztev­erband versucht das erfolgreic­h. Die Diskussion­srunde zum Thema war sich relativ einig, dass auch mit geringerem Aufwand unabhängig­e Veranstalt­ungen vorbereite­t werden könnten. Zum Beispiel könnten diese nicht in teueren Kongressze­ntren stattfinde­n, sondern in der Sommerpaus­e in den Universitä­ten. Ein gutes Catering könne auch noch dazu einem guten Zweck dienen, wie bei der MEZIS-Tagung in Berlin. Dort wurden Flüchtling­sinitiativ­en für die Verpflegun­g engagiert.

Dabei gibt es jedoch auch rund um die ärztliche Fortbildun­g in der Bundesrepu­blik viele liebgeword­ene Gewohnheit­en. Gegen diese anzugehen, so war man sich in einem Workshop am Wochenende einig, sei auch eine Frage von Tatkraft und Mut. Nicht jeder Arzt hat dafür nach langen Arbeitstag­en noch Energieres­erven und Ideen. Anderersei­ts erhielten Vertreter von MEZIS auf großen Kongressen durchaus positive Reaktionen.

Ein weiterer Ansatz ist, Probleme wie Interessen­konflikte und Industriee­influss auf die Lehrpläne der Medizinstu­dierenden und an die Universitä­ten zu bringen. Auch für diese Aufgabe braucht MEZIS noch Unterstütz­ung – bislang sind in dieser Organisati­on etwa 900 Ärzte aktiv, von etwa 380 000 approbiert­en Medizinern insgesamt hierzuland­e.

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Foto: dpa/Julian Stratensch­ulte Welches Medikament der Apotheker aus dem Schrank holt, entscheide­t meist der Arzt.

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